soll nun erläutert werden, was Frege als Sinn und was er als Bedeutung der Namen, Prädikate und Sätze ansieht. Für die Namen habe ich es schon angedeutet: Unter der Bedeutung des Namens versteht Frege den Gegenstand, auf den sich der Name bezieht. Dies ist, bezogen auf die natürliche Sprache, eine sehr ungewöhnliche Gebrauchsweise des Ausdrucks Bedeutung, denn ihr gemäß kann man von Bedeutungen ungewöhnliche Dinge aussagen, etwa dass sie aus Holz sind, oder tot, oder 25 Jahre alt, und dergleichen. Die Bedeutung des Namens Köln hat beispielsweise eine Million Einwohner, und die Bedeutung des Namens Gottlob Frege ist gestorben. Diese Terminologie mutet zwar zunächst befremdlich an, aber sie fügt sich, wie wir gleich sehen werden, zu einem konsequenten Gebäude; und für den Bereich der Mathematik, dem ja Freges Hauptinteresse galt, klingt es weit weniger befremdlich, etwa zu sagen, dass die Bedeutung des Zahlzeichens 4, ebenso wie die des Zahlzeichens 2+2 oder 16:4, die Zahl 4 ist. Zahlzeichen kann man beispielsweise ausradieren, die Bedeutung von Zahlzeichen kann man beispielsweise teilen. Die Bedeutung eines Namens ist also sein tatsächlicher Referent. Daraus folgt, dass nicht jeder Name eine Bedeutung hat. Die Namen Schneewittchen oder die größtmögliche Zahl oder 4:0 haben beispielsweise keine Bedeutung. Wohl aber haben diese Namen einen Sinn. „Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache […] hinreichend kennt, der er angehört.“13 Man kann also sagen: Der Sinn eines Namens ist seine IntensionIntension und die Bedeutung ist seine ExtensionExtension.14Extension In bezug auf die eigentlichen Eigennamen hat dies eine Besonderheit zur Folge, die nicht ganz so unproblematisch ist, wie Frege anzunehmen scheint. „Man könnte z.B. als Sinn [des Eigennamens Aristoteles] annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexanders des Großen. Wer dies tut, wird mit dem Satze ‚Aristoteles war aus Stagira gebürtig‘ einen anderen Sinn verbinden, als einer, der als Sinn dieses Namens annähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen.“15 Das heißt, wenn wir einen wirklichen Eigennamen verwenden, wissen wir nie, ob unser Gesprächspartner mit diesem NameNamen denselben Sinn verbindet. Aber dies schadet normalerweise auch nicht. „Solange nur die Bedeutung dieselbe bleibt, lassen sich diese Schwankungen des Sinnes ertragen“, glaubt Frege, denn es kommt uns bei der Verwendung von Eigennamen ohnehin meist nur auf die ReferenzfixierungReferenzfixierung an.16Aristoteles
Als erstes Zwischenfazit können wir festhalten: Jeder „grammatisch richtig gebildete Ausdruck, der für einen Eigennamen steht“,17 hat einen Sinn, nicht jedoch notwendigerweise eine Bedeutung. Die Bedeutung eines Namens ist sein Referent, der Sinn ist das, was man weiß, wenn man „die Sprache […] hinreichend kennt“.18 Frege nennt dies „die Art des Gegebenseins“. Die Bedeutung eines Eigennamens ist somit sprachunabhängig, der Sinn hingegen ist nur sprachbezogen zu fassen.
Betrachten wir nun Sinn und Bedeutung der Prädikate. Vom Verständnis der Verhältnisse beim Prädikat hängt das Verständnis des gesamten Fregeschen Theoriegebäudes ab. Eine etwas ausführlichere Darstellung ist deshalb geboten. Erinnern wir uns: Prädikate sind sprachliche Zeichen, die eine Leerstelle mit sich führen. Durch Sättigung dieser Leerstelle mit einem Eigennamen entsteht ein Satz. Sättigen wir das Prädikat eroberte Gallien mit dem Eigennamen Caesar, so erhalten wir den Satz Caesar eroberte Gallien. Prädikate sieht Frege in Analogie zu mathematischen Funktionsausdrücken. Mathematische Funktionen sind „unvollständig, ergänzungsbedürftig oder ungesättigt zu nennen. Und dadurch unterscheiden sich die Funktionen von den Zahlen von Grund aus.“19 Namen verhalten sich somit zu Prädikaten wie Zahlzeichen zu Funktionsausdrücken. Die FunktionFunktion 8:x2 ergibt, wenn sie mit 1 gesättigt wird, den Wert 8:12, also den Wert 8; mit 2 gesättigt ergibt sie den Wert 2, und mit 4 gesättigt den Wert 0,5 etc. Die Zahlen, mit denen die Funktion gesättigt wird, nennt man Argumente, und „das, wozu die Funkion durch ihr Argument ergänzt wird, den Wert der Funktion für dies Argument“.20 Der Wert der Funktion 8:x2 für das Argument 4 ist somit 0,5. Funktionen sind AbbildAbbildungen; die Funktion 8:x2 bildet 4 in den Wert 0,5 ab und –2 in den Wert 2.
Der Ausdruck 8:x2 ist eine „Art“, die FunktionFunktion 8:x2 zu „geben“; der Ausdruck (4+4):x² ist eine andere „Art des GegebenseinsArt des Gegebenseins“ dieser Funktion. Das heißt: Die Funktionsausdrücke 8:x² und (4+4):x² haben verschiedenen Sinn, aber die gleiche Bedeutung, nämlich die Funktion 8:x² Es gibt zahllose Arten des Gegebenseins ein und derselben Bedeutung. Kehren wir nun zurück zur natürlichen Sprache.
Prädikate bezeichnenbezeichnen wie die Funktionsausdrücke der Mathematik Funktionen. Die Funktionen, die von Prädikaten der natürlichen Sprache bezeichnet werden, nennt Frege „Begriffe“. Die Bedeutung eines Prädikats wie eroberte Gallien ist also ein BegriffBegriff. Wenn der Begriff eine Funktion ist, so stellt sich die Frage, welches seine Argumente und welches seine Werte sind. Freges Antwort lautet: Begriffe sind Funktionen, die Gegenstände in Wahrheitswerte abbilden. Wird ein Begriff durch einen Gegenstand (= Argument) gesättigt, ergibt sich ein WahrheitswertWahrheitswert (= Wert). Die Bedeutung des Begriffs ‚eroberte Gallien‘ zu kennen, heißt somit zu wissen, welche Sättigung welchen Wahrheitswert ergibt; heißt beispielsweise zu wissen, dass der Wahrheitswert „wahr“ entsteht, wenn dieser Begriff die Person Caesar als Argument nimmt. Wird der Begriff ‚eroberte Gallien‘ hingegen durch Aristoteles gesättigt, ergibt sich der Wahrheitswert „falsch“. Das heißt natürlich nichts anderes, als zu sagen, die Behauptung des Satzes Caesar eroberte Gallien behauptet etwas Wahres und die des Satzes Aristoteles eroberte Gallien behauptet etwas Falsches. Als zweites Zwischenergebnis können wir somit festhalten: Prädikate bezeichnen Begriffe; d.h. die Bedeutung eines Prädikats ist ein Begriff.21Searle Ein Begriff ist eine Funktion, die, gesättigt mit einem Gegenstand, einen Wahrheitswert ergibt. Der Sinn eines Prädikats ist die Art des Gegebenseins seines Begriffs.
Ich habe bereits angedeutet, dass Sinn und Bedeutung nicht generell mit IntensionIntension und ExtensionExtension gleichgesetzt werden dürfen. Anhand der Prädikate wird dies deutlich. Die Bedeutung des Prädikats ist der Begriff und nicht die Extension des Begriffs, die Frege BegriffsumfangBegriffsumfang22 nennt. Die Extension eines Begriffs ist die Menge der Gegenstände, die unter den Begriff fallen. Die BeziehungBeziehung eines Begriffs zu seinem Umfang nennt er SubsumtionSubsumtion.23
Wir haben gesehen, dass zwar jeder sprachlich korrekt gebildete NameName einen Sinn hat, nicht jedoch notwendigerweise eine Bedeutung. Namen, denen kein Gegenstand entspricht, haben keine Bedeutung – beispielsweise Odysseus, Schneewittchen oder der gegenwärtige Kaiser von China. Stellen wir die analoge Frage bezüglich der Prädikate. Gibt es Prädikate, die zwar einen Sinn haben, nicht aber eine Bedeutung? Die Antwort sollte sein: Ja, und zwar solche Prädikate, die keinen Begriff bezeichnen. Was für welche sind das? Es sind nicht diejenigen Prädikate, die einen leeren Begriff bezeichnen, also etwa das Prädikat ist ein rundes Viereck! Denn ein Begriff, unter den kein Gegenstand fallt, dessen Extension 0 ist, ist zwar leer, aber dennoch ein Begriff. Es muss ein Begriff sein, um leer sein zu können! Ein Prädikat, das keinen Begriff bezeichnet, sollte nach allem, was bisher gesagt wurde, ein Prädikat sein, dessen Sättigung durch einen Namen keinen wahrheitswertdefiniten SatzSatz ergibt. Denn Begriffe bilden Gegenstände in Wahrheitswerte ab. So wie es Namen gibt, die „nur so tun“, als bezeichneten sie Gegenstände, so gibt es Prädikate, die „nur so tun“, als bezeichneten sie Begriffe, in Wahrheit aber Scheinbegriffe bezeichen. Ein echter Begriff muss für jeden beliebigen Gegenstand einen der beiden Wahrheitswerte „wahr“ oder „falsch“ ergeben; ist dies nicht der Fall, so handelt es sich nicht um einen Begriff. Leere Begriffe wie ist ein rundes Viereck ergeben für jeden beliebigen Gegenstand einen Wahrheitswert, nämlich den Wahrheitswert „falsch“. Sie erfüllen somit diese Forderung.
Frege schreibt in seinen nachgelassenen Schriften, ein Prädikat müsse „die Eigenschaft haben, durch jeden bedeutungsvollen Eigennamen gesättigt, einen eigentlichen Satz zu ergeben; das heißt, den Eigennamen eines Wahrheitswertes zu ergeben. Dies ist die Forderung der scharfen Begrenzung des Begriffs. Jeder Gegenstand muss unter einen gegebenen Begriff fallen oder nicht fallen, tertium non datur.“24 Das heißt, ein Begriff muss so klar sein, dass von jedem beliebigen Gegenstand eindeutig entscheidbar ist, ob er unter diesen Begriff fällt oder nicht. Damit erhebt Frege freilich eine Forderung, die von Begriffen der natürlichen Sprache nur