ÜbereinkunftÜbereinkunft) will sagen, daß kein Nomen von Natur ein solches ist, sondern erst wenn es zum Zeichen geworden ist. Denn auch die artikulierten Laute, z.B. der Tiere, zeigen etwas an, und doch ist keiner dieser Laute ein Nomen. (16 a)5
Um die Position des Aristoteles zu verdeutlichen, will ich versuchen, seine Aussagen in reformulierter Form aufzulisten (wobei ich die über die Schrift beiseite lasse):
1 Laute sind konventionelle Zeichen von VorstellungVorstellungen.
2 Laute sind sprachspezifisch.
3 Vorstellungen sind Abbilder von Dingen.
4 Vorstellungen und Dinge sind universal.
5 Die Bedeutung eines Nomens ist nicht kompositionell.
6 Ein natürliches Zeichen kann kein Nomen sein.
Das Zeichenmodell enthält somit drei Elemente und zwei Relationen:
Laut | Vorstellung | Ding | |
Symbolisiert (konventionell) | bildet ab (natürlich) |
Norman KretzmannKretzmann faßt dieses Zeichenmodell wie folgt zusammen: „lt seems that, according to this account, words signify things in virtue of serving as symbols of mental modifications resembling those things.“6Coseriultkonen Gegenüber Platons im „Kratylos“ entfalteter Zeichentheorie stellt die Aristotelische Theorie einen großen Fortschritt dar. Der Fortschritt besteht in den folgenden vier Punkten:
1 Wahrheit und Falschheit wird nicht mehr Wörtern zugeschrieben, sondern nur der Rede, wobei Aristoteles selbst den Fall nichtassertiver Sprechakte berücksichtigt: „So ist die Bitte zwar eine Rede, aber weder wahr noch falsch.“ (17 a)
2 Die Bedeutung von Wörtern und Namen wird nicht als zusammengesetzt aus der Bedeutung von Wortteilen oder Lauten angesehen.
3 Die Bedeutung von Eigennamen wird nicht mehr etymologisierend gedeutet. (Vgl. Aristoteles’ Beispiel Kallippos vs. Platons Beispiel Hermogenes.)
4 Symbolcharakter wird nur konventionell symbolisierenden Lauten zugesprochen. Damit wird eine erste Unterscheidung von Symbolen und Symptomen (z.B. Tierlauten) getroffen.
Allerdings enthält diese Theorie auch – aus heutiger Sicht – drei deutliche Fehleinschätzungen bzw. Schwächen und – aus der Sicht der im folgenden propagierten Zeichenauffassung – einen Nachteil gegenüber PlatonPlatons Auffassung:
1 Die Welt der Dinge sowie die der Vorstellungen von den Dingen wird objektivistisch konzipiert. Die Sprache ist für Aristoteles ein konventionelles Nomenklatursystem kognitiver Abbildungen objektiv vorgegebener Dinge.
2 KonventionKonvention wird mit ÜbereinkunftÜbereinkunft gleichgesetzt.
3 Die Relation des Symbolisierens bleibt unexpliziert.
Aristoteles scheint in etwa von dem folgenden Weltbild ausgegangen zu sein: Die Welt der Dinge ist objektiv so, wie wir sie wahrnehmen. Durch die Wahrnehmung entstehen innere Bilder der Dinge. Die inneren Bilder werden durch Übereinkunft mittels Lauten symbolisiert. Daraus folgt: (i) Die inneren Bilder, die Vorstellungen, müssen eine „natürliche Richtigkeit“ in Platons Sinne haben; d.h. sie sind physei. (ii) Da eine Sprache die Vorstellungen von den Dingen nur noch symbolisiert, können die Klassifikationen, die wir mit unserer Sprache vornehmen, nur von der Natur der Dinge vorgegeben sein. ArbiträrArbiträr ist also nur die Bezeichnung der Vorstellung, nicht die Vorstellung selbst und nicht die begriffliche KlassifikationKlassifikation, die wir mit unserer Sprache vornehmen. Es ist dieser Theorie gemäß wohl kaum zu verstehen, weshalb Angelsachsen den BegriffBegriff ‚Fleisch‘ in zwei Begriffe „aufspalten“, nämlich ‚flesh‘ und ‚meat‘; oder weshalb es im Spanischen keinen Begriff gibt, der unserem Begriff ‚Salat‘ entspricht.7 Es gibt meines Wissens keine befriedigende Theorie über den Zusammenhang der Einheiten der ontologischen, epistemischen und sprachlichen Ebene. Die objektivistische Sicht von Aristoteles ist jedoch mit Sicherheit falsch. Angemessener dürfte eine Theorie sein, wie sie beispielsweise von Derek BickertonBickerton vertreten wird: „The categories, into which we divide nature are not in nature, they emerge solely through the interaction between nature and ourselves.“8 Das System unserer Begriffe ist kein Spiegel der Welt, sondern ein Spiegel unserer Auseinandersetzung mit der Welt. Es ist zu vermuten, dass es ein Kontinuum gibt zwischen Begriffen, die mehr oder weniger universaler Natur sind, wie ‚Baum‘, ‚rot‘, ‚Wasser‘ oder ‚fünf‘ und solchen, die sehr kulturspezifisch und/oder sprachspezifisch sind, wie etwa ‚Sünde‘, ‚Salat‘, ‚Geschenkartikel‘, ‚gemütlich‘ oder ‚Geflügel‘. Auf diese Fragen werden wir in Kapitel 7 zurückkommen.
Die unter (2) und (3) genannten Schwächen der Theorie des Aristoteles kann man auch heute noch finden. Ich will sie hier nur vorläufig ansprechen und die eingehendere Behandlung einem späteren Kapitel vorbehalten. Zunächst ein Wort zu dem Begriff ‚Konvention‘. Konventionen und Übereinkünfte sind verschiedene Dinge. Nicht alle Übereinkünfte sind Konventionen, und nicht alle Konventionen sind aus Übereinkünften entstanden. Sprachliche Symbole gehen normalerweise nicht auf Übereinkünfte zurück. Konventionen sind, das hat David LewisLewis9 gezeigt, Verhaltensregularitäten von Individuen einer Gruppe, die durch komplexe, wechselseitig aufeinander gerichtete Erwartungen erzeugt werden. Aber nehmen wir der Einfachheit halber für einen Augenblick an, Aristoteles hätte recht mit der Annahme, Laute symbolisierten Vorstellungen aufgrund einer Übereinkunft. Kommen wir überein, der Laut [kulp] möge die Vorstellung eines runden halbhohen Tisches mit drei Beinen symbolisieren. Wie können wir [kulp] dazu bringen, diese Vorstellung auch tatsächlich zu symbolisieren? Wenn wir darin übereinkommen, [x] möge ‚y‘ symbolisieren, wie macht [x] das? Symbolisiert [x] ‚y‘, wenn wir vereinbaren, dass dies so sei? Diese Frage muss jede Theorie beantworten können, die eine Relation zu einem Korrelat als wesentlichen Bestandteil der Zeichenhaftigkeit ansieht. Man könnte annehmen, [x] symbolisiere ‚y‘ genau dann, wenn [x] für ‚y‘ steht oder wenn [x] ‚y‘ repräsentiert. Mit einer solchen Antwort hätten wir jedoch das Rätsel nur verdoppelt oder verdreifacht. Denn „stehen für“ und „repräsentieren“ bedürfen nicht weniger der Erläuterung als „symbolisieren“ selbst.10Tugendhat Mit anderen Worten, es muss klar gemacht werden, was es heißt zu sagen, etwas symbolisiere etwas. Selbst wenn wir annehmen, dass ein Laut genau dann BedeutungBedeutung hat, wenn er für etwas steht oder etwas symbolisiert, sei es eine Vorstellung oder ein Ding (Annahmen, die ich nicht vertreten werde), müssen wir die Frage beantworten, wie Sprecher und Hörer denn wissen oder auch lernen können, für welche Vorstellung oder für welches Ding der Laut steht. Die Annahme, dass die Bedeutung eines Lautes oder die Bedeutung eines Zeichens in seiner Entsprechung zu einem wie auch immer gearteten Korrelat besteht, enthebt uns nicht der Verpflichtung, anzugeben, wie die Verbindung zu dem Korrelat hergestellt und aufrechterhalten wird.
Kommen wir noch einmal für einen Augenblick auf Platons Sprach- und Zeichenverständnis zurück und vergleichen wir dieses mit dem des Aristoteles: Für PlatonPlaton sind die Wörter dazu da, vermöge ihrer ÄhnlichkeitÄhnlichkeit und/oder ihrer Konventionalität dem Adressaten die Gedanken des Sprechers zu verraten. Kommunizieren heißt für Platon offenbar, dem Hörer Mittel „an die Hand“ zu geben, damit dieser erschließen kann, woran der Sprecher denkt. Für Aristoteles sind die Wörter dazu da, Dinge zu bezeichnenbezeichnen, indem sie Vorstellungen symbolisieren, die AbbildAbbilder der Dinge sind. Auf die Frage, um die Platon gerungen hat: „Wie schaffen es die Wörter, etwas über die Gedanken zu verraten?“ gibt Aristoteles eine Scheinantwort: Sie schaffen es dadurch, dass sie sie symbolisieren! “The famous question of […] the rightness of names, which was the subject of Cratylus, can no longer arise”, schreibt Hans ArensArens und fügt enthusiastisch hinzu: „This is a remarkable progress.“11 Diese Fortschrittseuphorie kann ich nicht teilen. Denn Platons unangemessene Antwort spricht nicht gegen die Angemessenheit der Frage, die weiterhin im Raume steht. Die Sprache wird von Aristoteles als lautliches Repräsentationssystem eines kognitiven Repräsentationssystems angesehen.