Gespräche sind sie nicht gemacht. So gesehen ist es nur konsequent, dass die Gäste einer Party im Allgemeinen der Küche, auch wenn sie noch so klein ist, als Aufenthaltsraum den Vorzug geben.
Was haben Wohnzimmermöbel mit sprachlichen Zeichen gemein? Beides sind Mittel der Beeinflussung. Wir nutzen sie in der AbsichtAbsicht,dem anderen damit etwas zu erkennen zu geben. Dies ist die wesentliche Eigenschaft kommunikativ genutzter Zeichen. Von nun an werden wir uns im Wesentlichen mit sprachlichen Zeichen und den Formen ihrer Genese befassen. Beginnen werden wir mit der ersten überlieferten Zeichentheorie, die, im Gegensatz zu Sprachursprungsmythen, wissenschaftlichen Anspruch erheben darf, Platons Kratylos.
I Zwei Zeichenauffassungen
3 Platons instrumentalistische Zeichenauffassung
Symbole gibt es nicht von Natur aus. Sie werden gemacht; oder vielleicht unverfänglicher ausgedrückt: sie entstehen. „Symbols grow“, schrieb der amerikanische Philosoph und Zeichentheoretiker Charles SandersSanders PeircePeirce.1 Das Wort growth hatte in den Sozial- und Kulturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, ebenso wie das Wort Wachsthum in der Linguistik, eine besondere BedeutungBedeutung, nämlich die, die wir ihm auch heute noch beilegen, wenn wir etwa von einer Stadt sagen, sie sei „organisch gewachsen“, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie nicht „künstlichkünstlich am Reißbrett“ entstanden ist. Es handelt sich dabei um eine der im 19. Jahrhundert so beliebten organizistischen Metaphern, die, solange sie nicht aufgelöst ist, wenig besagt. Eines der Ziele dieser Arbeit ist es, diese Metapher aufzulösen. Die WachstumWachstumsmetapher weist jedoch korrekterweise darauf hin, dass Symbole normalerweise nicht willentlich und planvoll von Menschen erfunden werden und dass ihr Entstehen prozesshaft ist. Das gilt für sogenannte Statussymbole, wie die in Kapitel 2 betrachteten, ebenso wie für sprachliche Symbole. Natürlich gibt es auch künstlich und willentlich entworfene Symbole, wie etwa Firmenlogos oder durch definitorische Akte hervorgebrachte wissenschaftliche Termini. Aber die sind genau aus diesem Grunde zeichentheoretisch relativ uninteressant. Dass die Geschichte einer Sprache mit einer Phase der „Urschöpfung“ begonnen habe – dem dann typischerweise die des „Verfalls“ folgt – ist ist einer der hilflosen Mythen unserer Wissenschaft.2 Letzte Reste des linguistischen Schöpfungsmythos sind auch heute noch zu finden. So schreibt Johannes ErbenErben: „Für eine entwickelte Kultur- und Literatursprache wie das Deutsche oder Englische ist natürlich die Anfangsphase der Wortschöpfung, der erstmaligen Zuordnung völlig neuer Lautformen zu bestimmten Inhalten und der KonventionalisierungKonventionalisierung als Sprachzeichen, die verständlich und reproduzierbar sind, längst vorbei.“3 Ob man daraus schließen darf, dass in weniger entwickelten Sprachen diese Phase noch in vollem Gange ist? Wenn wir das Wesen unserer Zeichen und, was eng damit zusammenhängt, die Prinzipien ihrer VerwendungVerwendung verstehen wollen, müssen wir versuchen zu explizieren, wie Symbole entstehen, wie Zeichen „wachsen“. Die Frage, wie die Zeichen der Sprache entstehen oder entstanden sind, hat die Menschen offenbar schon immer beschäftigt. Es gibt kaum einen Schöpfungsmythos, der nicht auch Aussagen darüber enthält, wie der Mensch zu seiner Sprache gekommen ist.4Peters Die früheste uns erhaltene wissenschaftlich-philosophische Schrift zu der Frage nach dem Wesen der Zeichen ist Platons Dialog „Kratylos“, vermutlich aus dem Jahre 388 v. Chr. Ich möchte auf diese Schrift näher eingehen, und zwar nicht wegen ihres einzigartigen philosophiegeschichtlichen Ranges und ihres eminenten Einflusses auf die Sprachphilosophie bis in unsere Tage. Beides ist schon mehrfach in hinreichendem Maße und von kompetenter Seite dargestellt und gewürdigt worden.5SteinthalGadamerDerbolavItkonen Das Motiv, Platons „Kratylos“ eingehender zu untersuchen, liegt vielmehr in seiner Aktualität. Die meisten der zeichentheoretischen Fragen, die heute in Diskussion sind, werden in Platons Schrift bereits angesprochen. Meine Absicht ist also nicht, PlatonPlaton philosophiehistorisch gerecht zu werden, hingegen will ich versuchen, „Kratylos“ sozusagen mit heutigen Augen zu lesen, die zentralen Argumentationen des Dialogs darzustellen, und auf der Basis heutigen Wissens zu bewerten.6
In dem Dialog diskutieren Hermogenes, Kratylos und Sokrates das Problem, ob die Bedeutung eines Zeichens von der Natur dessen, was es bezeichnetbezeichnen, bestimmt wird oder ob die Bedeutung auf KonventionKonvention beruht. In moderner Terminologie könnte man sagen: Der Dialog hat die Frage zum Gegenstand, ob die Zeichen einer Sprache arbiträrarbiträr sind (nomo) oder ob sie den Dingen, die sie benennen, zu entsprechen haben (physei ).7 Kratylos vertritt die These, „jegliches Ding habe seine von Natur ihm zukommende richtige Benennung; […] es gebe eine natürliche Richtigkeit der Wörter, für Hellenen und Barbaren insgesamt die nämliche.“ (383 b) Hermogenes hat die Rolle des Opponenten. Ihm fällt die Aufgabe zu, die ArbitraritätArbitraritätsthese zu vertreten: „Ich meines Teils, Sokrates, habe schon oft mit diesem und vielen andern darüber gesprochen, und kann mich nicht überzeugen, daß es eine andere Richtigkeit der Worte gibt, als die sich auf Vertrag und ÜbereinkunftÜbereinkunft gründet.“ (384 d) Sokrates schließlich ist der scharfsinnige Dialogpartner, der, vor allem im Gespräch mit Hermogenes, versucht, diesen aufs Glatteis zu führen und auf diese Weise dessen These auf ihre Haltbarkeit hin zu prüfen. Wohlgemerkt, die Diskussion hat nicht die Frage zum Gegenstand, ob der Mensch seine Sprache von Natur aus hat bzw. ob die Zeichen ihre BedeutungBedeutung von Natur aus haben oder ob sie ihnen von Menschen beigelegt wurde. Dass die Benennungen der Dinge von Menschen gemacht sind, genauer gesagt vom Wortbildner (nomothetes), ist unstrittig. Es geht vielmehr um die Frage, ob es sinnvoll ist, in bezug auf die Benennung eines Dings richtige Benennung von falscher Benennung zu unterscheiden. Kratylos vertritt die These „Ja, es ist sinnvoll“, Hermogenes vertritt die These „Nein, es ist nicht sinnvoll“. Das Gespräch verläuft in zwei Argumentationssequenzen, einem destruktiven und einem konstruktiven Teil. Im ersten Teil versucht Sokrates, die These der BeliebigkeitBeliebigkeit sprachlicher Zeichen zu destruieren; im zweiten Teil versucht er zu erläutern, worin die „Richtigkeit“ der Wörter zu suchen ist. Das Ganze hat einen versöhnlichen Ausgang. Den ersten Teil des Schlagabtauschs können wir wiederum in drei Runden einteilen. Betrachten wir nun die Argumente im Detail.
Erster Teil, erste Runde
Die Beispiele, die für die These des Kratylos angeführt werden, geben einen ersten Hinweis, wie die These der Richtigkeit der Benennung gemeint sein könnte: „Ich frage ihn also“, berichtet Hermogenes dem Sokrates, „ob denn Kratylos in Wahrheit sein NameName ist, und er gesteht zu, ihm gehöre dieser Name. – Und dem Sokrates? fragte ich weiter. – Sokrates, antwortete er. – Haben nun nicht auch alle andern Menschen jeder wirklich den Namen, mit dem wir jeden rufen? – Wenigstens der deinige, sagte er, ist nicht Hermogenes, und wenn dich auch alle Menschen so rufen.“ (383 b) Wie kann Kratylos auf die Idee kommen, dass Hermogenes in Wahrheit nicht der Name des Hermogenes ist, obwohl ihn alle so nennen? (Sokrates vermutet, „daß er spöttelt“. (348 c)) Das zugrundeliegende Argument ist die etymologische Analyse: Hermo-genes ist nicht der von Hermes Abstammende!
Hermogenes seinerseits fügt seiner Konventionalitäts- und Arbitraritätsthese eine Erläuterung hinzu, die sich für seine Argumentation als verhängnisvoll erweisen wird: „Denn mich dünkt, welchen Namen jemand einem Ding beilegt, der ist auch der rechte, und wenn man wieder einen andern an die Stelle setzt und jenen nicht mehr gebraucht, so ist der letzte nicht minder richtig als der zuerst beigelegte, wie wir unsern Knechten andere Namen geben.“ (384 d) Hermogenes schießt mit dieser radikalen Beliebigkeitsannahme bei weitem über sein Argumentationsziel hinaus. Seine eigentliche These, „kein Name irgendeines Dinges gehört ihm von Natur, sondern durch Anordnung und GewohnheitGewohnheit derer, welche die Wörter zur Gewohnheit machen und gebrauchen“ (348 e), impliziert natürlich nicht die Annahme, dass ein Individuum nach eigenem Gutdünken, Benennungen verändern kann, so wie man damals offenbar nach Belieben die Namen der Knechte ändern konnte. Sokrates lässt sich diese Chance nicht entgehen und hakt sofort nach. „Wie nun, wenn ich irgendein Ding benenne, wie, was wir jetzt Mensch nennen, wenn ich das Pferd rufe und was jetzt Pferd, Mensch: dann wird dasselbe Ding öffentlich und allgemein Mensch heißen, bei mir besonders aber Pferd, und das andere wiederum bei mir besonders Mensch, öffentlich aber Pferd? Meinst du es so?“ (385 a) Und Hermogenes fällt darauf rein: „So dünkt es mich.“ (385 b)
Die erste Runde endet offenbar mit einem Punktverlust für Hermogenes. Seine These, der Name komme