den Sätzen unsrer Sprache, sondern die Sätze drücken sie aus. Ein gefasster Gedanke muss weder ausgedrückt noch muss er Gegenstand des Urteilens sein. In dem Behauptungssatz Wenn ich Hunger habe, esse ich Leberwurst ist weder dem Vordersatz noch dem Nachsatz ein WahrheitswertWahrheitswert zugeordnet. Wer diesen Satz mit behauptender Kraft äußert, behauptet weder, dass er Hunger hat, noch, dass er Leberwurst isst! Beide Gedanken werden ausgedrückt ohne „Anerkennung“ eines Wahrheitwertes. Behauptet wird nur ihre Wenn-dann-BeziehungBeziehung.
Was spricht nun dagegen, den SinnSinn eines Behauptungssatzes als seinen InhaltInhalt zu betrachten? Dagegen spricht die enge Verbindung, die Frege zwischen dem Gedanken und den Wahrheitswerten schafft: Alles, was den Wahrheitswert nicht betrifft, ist nicht Teil des Gedankens. „Wörter wie ‚leider‘ oder ‚gottlob‘ gehören hierher.“41 Nur der wahrheitsfunktional relevante Teil des SatzinhaltSatzinhalts ist der Gedanke. So drückt etwa der SatzSatz Alfred ist noch nicht gekommen den gleichen Gedanken aus wie der Satz Alfred ist nicht gekommen. Mit dem noch „deutet [man lediglich] an, daß man sein Kommen erwartet“.42 Zum Wahrheitswert der Aussage trägt die angedeutete Erwartung des Sprechers hingegen nichts bei. Das Analoge gilt beispielsweise für das Won aber. Es „unterscheidet sich von ‚und‘ dadurch, daß man mit ihm andeutet, das Folgende stehe zu dem, was nach dem Vorhergehenden zu erwarten war, in einem Gegensatze. Solche Winke in der Rede machen keinen Unterschied im Gedanken.“43 Solche Winke sind jedoch durchaus Teil dessen, was man in nicht-Fregescher Terminologie die SatzbedeutungSatzbedeutung nennt. Wenn Frege sagt: „Ob ich das Wort ‚Pferd‘ oder ‚Roß‘ oder ‚Gaul‘ oder ‚Mähre‘ gebrauche, macht keinen Unterschied im Gedanken“,44 so macht dies unmittelbar deutlich, dass Frege mit seiner Kategorie des Sinns nur den extensionalen Aspekt der Wortbedeutung und somit der Satzbedeutung im Auge hat.
Der SemantikSemantik einer natürlichen Sprache, dem, was Frege den Inhalt nennt, gerecht zu werden, war nicht Teil der Bestrebungen Freges. Über den Inhalt sagt er nicht viel mehr, als dass er nicht mit dem Sinn identisch ist. „So überragt der Inhalt eines Satzes nicht selten den in ihm ausgedrückten Gedanken.“45 Was Frege Inhalt nennt, ist nicht Gegenstand seiner Untersuchungen. Aber aus seinen Ausführungen ergibt sich folgendes Bild: Wir fassen einen Gedanken mittels eines Satzes, der diesen Gedanken ausdrückt, und bezeichnen damit, wenn der Satz mit behauptender Kraft geäußert wird, das Wahre oder das Falsche. Dank welcher Eigenschaft ist der Satz in der Lage, den gefassten Gedanken auszudrücken? Oder anders gefragt: Welches ist das Kriterium des Sprechers für die Wahl eines Elements genau derjenigen Klasse von Sätzen, die den von ihm gefassten Gedanken ausdrücken? Frege stellt und beantwortet diese Frage nicht, aber es kommt nur eine Antwort in Frage: Das Kriterium der Wahl ist der Inhalt des Satzes. Er muss dergestalt sein, dass er den Gedanken auszudrücken im Stande ist. Der Inhalt „ist der Gedanke oder enthält wenigstens den Gedanken“.46 Der Sprecher muss die Wahl seines Satzes so treffen, dass der Inhalt des Satzes „wenigstens“ den Gedanken enthält. Der Gedanke ist außerindividuell und zeitlos, der Inhalt ist einzelsprachlich und somit zeitgebunden.
Ich will damit die Darstellung der Fregeschen Theorie über Sinn und BedeutungBedeutung abbrechen. Die Darstellung ist nicht vollständig; insbesondere fehlt der Teil, in dem sich Frege mit verschiedenen Typen von Nebensätzen befasst. Aber sie sollte ausreichen, um das Kategoriensystem Freges verständlich zu machen. Der Deutlichkeit halber will ich versuchen, einen schematischen Überblick zu geben, und zwar einmal aus der Perspektive der sprachlichen Zeichen und zum zweiten aus der des Sprechers.
Linguistische Ebene | Epistemische Ebene | Ontologische Ebene | |
Zeichen | Sinn | Bedeutung | |
(1) | Prädikat | Art des GegebenseinsArt des Gegebenseins | Begriff |
(2) | Eigenname | Art des Gegebenseins | Gegenstand |
(3) | Satz | Gedanke | Wahrheitswert |
Ein Zeichen drückt seinen Sinn aus und bezeichnet seine Bedeutung. Wird ein Element der Reihe (1) durch ein Element der Reihe (2) der gleichen Spalte gesättigt, ergibt sich das Element der Reihe (3) der entsptrechenden Spalte. Das heißt:
Die Sättigung eines PrädikatPrädikats durch einen EigennameEigennamen ergibt einen Satz.
Die Sättigung des Sinns eines Prädikats durch den Sinn eines Eigennamens ergibt einen Gedanken.
Die Sättigung eines BegriffBegriffs durch einen Gegenstand ergibt einen WahrheitswertWahrheitswert.
Aus der Perspektive des Sprechers, der etwas behauptet, ergibt sich folgendes Bild:
Der Sprecher fasst einen Gedanken.
Er erkennt (möglicherweise) die Wahrheit des Gedankens an, d.h. er urteilt.
Er gibt (möglicherweise) das Urteil kund, d.h. er vollzieht eine Behauptung, indem er mit Wahrheitsanspruch einen Satz äußert, dessen Inhalt den Gedanken ausdrückt, d.h. diesen wenigstens enthält.
Frege hat damit ein konsistentes begriffliches Instrumentarium geschaffen, dessen zentrale Idee die der RepräsentationRepräsentation ist. Sprachliche Zeichen sind Mittel zur Repräsentation von Begriffen und Gegenständen, wobei man, wenn man Freges Theorie aus linguistischer Sicht adaptieren, ablehnen oder auch nur beurteilen will, sich stets vor Augen halten muss: Sie ist nicht geschaffen zum Zwecke der Beschreibung natürlicher Sprachen und schon gar nicht dazu, dem Vorgang des Kommunizierens gerecht zu werden. Sie beschränkt sich auf die wahrheitsfunktional relevanten Aspekte der Sprache. „Dem auf das Schöne in der Sprache gerichteten Sinne kann gerade das wichtig erscheinen, was dem Logiker gleichgültig ist.“47 Ich will die Beschränkung auf die repräsentationistische Sicht nicht kritisieren, sondern vielmehr ergänzen. Denn, um es noch einmal zu betonen, die Sprache dient uns zum Zwecke der Kategorisierung, der Repräsentation und der Kommunikation. Alle drei Aspekte gilt es im Auge zu behalten.
„Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache […] hinreichend kennt, der er angehört“,48 schreibt Frege. Wir dürfen wohl annehmen, dass es in Freges Sinne ist, wenn wir diese Aussage verallgemeinern auf den Sinn sprachlicher Zeichen überhaupt, also auch auf den Sinn von Prädikaten und Sätzen. Um den Sinn eines Zeichens erfassen zu können, ist es notwendig, seinen Inhalt zu kennen und zu wissen, welcher Anteil daran wahrheitsfunktional relevant ist. Was kennt man, wenn man seine Sprache hinreichend kennt? Worin besteht das sprachliche Wissen, über das man verfügt, wenn man den Inhalt eines Zeichens kennt? Frege gibt darauf keine Antwort. Vom Inhalt interessiert ihn nur der Teil, der den Sinn ausmacht. Es gelingt ihm nicht einmal zu explizieren, was es heißt, einen Gedanken zu fassen. „Vielleicht“, so gesteht er, „ist dieser Vorgang der Geheimnisvollste von allen.“49 Frege gibt nicht vor, beschreiben zu wollen, wie wir Sätze verstehen.50Tugendhat Rein repräsentationistische Theorien sollten dies auch nicht vorgeben. Denn um dies leisten zu können, müssten sie immer noch erläutern, wie die Repräsentation zustande kommt! Sie müssten Platons Rätsel lösen, das er sich im Kratylos vorgenommen hatte. Eine Lösung dieses Rätsels scheint mir Wittgensteins heuristische Maxime zu ermöglichen: „‚Die Bedeutung eines Wortes ist das, was die Erklärung der Bedeutung erklärt.‘ D.h.: willst du den GebrauchGebrauch des Worts ‚Bedeutung‘ verstehen, so sieh nach, was man ‚Erklärung der Bedeutung‘ nennt.“51 WittgensteinWittgenstein hat die Lösung des Rätsels in die Maxime bereits eingeschmuggelt: Die Bedeutung ist der Gebrauch. Dieser These will ich mich im nächsten Kapitel zuwenden.
6 Wittgensteins instrumentalistische Zeichenauffassung
Von einem sprachlichen Zeichen zu sagen, es habe Bedeutung, heißt zu sagen, es sei mit einer Vorstellung