Rudi Keller

Zeichentheorie


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      1. Ich habe eine Marotte. Immer wenn ich erkältet bin, trage ich eine gelbe Krawatte. (Dies ist noch kein Beispiel für eine RegelRegel, sondern eines für eine Regularität. Denn zum Begriff der Regel gehört es, Fehler machen zu können. Wenn ich einmal keine gelbe Krawatte trüge trotz Erkältung, könnte mir niemand den Vorwurf fehlerhaften Verhaltens machen, sondern höchsten den der Inkonsequenz. Regelhaftes Verhalten ist immer eine Sache von vielen, einer Population.)

      2. Die Menschen meiner Umgebung durchschauen diese Marotte. (Damit ist meine gelbe Krawatte in gewisser Weise für die anderen ein Zeichen dafür geworden, dass ich erkältet bin. Aber es ist kein Zeichen, wie ein sprachliches Zeichen ein Zeichen ist. Auf den Unterschied werde ich in Kapitel 13 zu sprechen kommen. Die Basis der ZeichenhaftigkeitZeichenhaftigkeit ist in diesem Falle die Kenntnis einer Regelmäßgkeit; so wie mein voller Briefkasten für mich ein Zeichen dafür sein kann, dass es bereits zehn Uhr ist, nämlich dann, wenn ich weiß, dass der Postbote immer gegen zehn Uhr kommt.)

      3. Die andern finden Gefallen an meiner Marotte und übernehmen sie. (Dies ist immer noch nicht der Zustand, in dem eine Regel des Gebrauchs der gelben Krawatte gilt. Es handelt sich lediglich um eine Vielzahl von Verhaltensregularitäten.)

      4. Durch Beobachtungen, Gespräche, Sanktionsverhalten („Was, du trägst, obwohl du stark erkältet bist, eine grüne Krawatte?“) und dergleichen entsteht in dieser Population kollektives Wissen bezüglich dieser VerhaltensregularitätVerhaltensregularität: Jeder weiß von jedem, dass er bei Erkältung eine gelbe Krawatte trägt; und jeder weiß von jedem, dass er das von ihm selbst weiß. Damit ersteht auch eine gewisse Verhaltenserwartung auf den anderen bezogen und, resultierend daraus, eine gewisse Verhaltensverpflichtung auf sich selbst bezogen. Man trägt bei Erkältung eine gelbe Krawatte. (Damit ist aus einer individuellen Marotte eine RegelRegel entstanden. Die gelbe Krawatte ist zum Zeichen für Erkältung geworden. Nun kann nicht nur der andere erkennen, dass ich erkältet bin, sondern die Krawatte wird von nun an dazu verwendet, dem andern erkennen zu geben, dass der Krawattenträger erkältet ist. Von nun an lässt sich mit ihr auch lügen.)

      Was zeigt uns dieses Beispiel? Es gehört nicht viel dazu, damit etwas bedeutungsvoll wird. Auf diese oder ähnliche Weise ist wohl die lila Latzhose zum Zeichen der Emanzipation und das lila Tuch zum Zeichen der Osterpassion geworden. Wenn ein solcher Prozess dann abgeschlossen ist und die Regelbefolgung Bestandteil der alltäglichen Lebensform geworden ist, dann geben die Kinder auf die Frage „Warum trägt man bei Erkältung eine gelbe Krawatte?“ die Antwort: „Weil Gelb so eine kranke Farbe ist.“ Und die Vorstellungstheoretiker können dann sagen: „Weil die Menschen mit Gelb die VorstellungVorstellung von Schnupfen und Erkältung verbinden, deshalb wird die gelbe Krawatte getragen, um dem andern mitzuteilen, dass man erkältet ist. Der Krawattenträger enkodiert seine Vorstellung von Erkältung in die gelbe Krawatte, und der Beobachter dekodiert sie und gelangt auf diese Weise in den Besitz der Kenntnis der Vorstellung des Krawattenträgers.“ Für Merkmalssemantiker hat Gelb von nun an die semantischen Merkmale [+ MENSCHLICH, + MÄNNLICH, + ERWACHSEN, + ERKÄLTET].

      II SemantikSemantik und Kognition

      7 Begriffsrealismus versus Begriffsrelativismus

      Es ist nun an der Zeit, ein Zwischenresümee zu ziehen. Zwei grundlegende Zeichenauffassungen wurden einander gegenübergestellt: die repräsentationistische und die instrurnentalistische. Als Vertreter einer repräsentationistischen Zeichenauffassung wurden AristotelesAristoteles und FregeFrege vorgestellt, als Vertreter einer instrumentalistischen Auffassung PlatonPlaton und WittgensteinWittgenstein.

      Die zentralen Fragen, die repräsentationistische Zeichenauffassungen zu beantworten versuchen, sind: Wofür steht ein Zeichen? Welches sind die außersprachlichen Entsprechungen der Zeichen? Dahinter steht natürlich eine ganz bestimmte Auffassung darüber, was Kommunizieren ist. Kommunizieren heißt dieser Konzeption gemäß, dem anderen Ideen, BegriffBegriffe, Konzepte u.ä. zu übermitteln, indem man ihm Stellvertreter dieser Ideen, Begriffe und/oder Konzepte anbietet: Zu meinen Ideen hast du keinen unmittelbaren Zugang, so verschaffe ich dir Zugang mittels Zeichen, die für meine Ideen stehen. In einem solchen Szenario können die an der KommunikationKommunikation beteiligten Menschen getrost aus der Betrachtung herausgehalten werden. Sie spielen für die Konzeption des Zeichenbegriffs keine wesentliche Rolle. Mit einem großen Geheimnis müssen repräsentationistische Theorien jedoch leben: Vermöge welcher Eigenschaften schaffen es die Zeichen, für die Ideen zu stehen? Die Antwort „dadurch, dass die Zeichen die Ideen symbolisieren“ ist eine Scheinantwort, denn sie lässt die analoge Frage ein zweites Mal zu.

      Die Frage, die eine repräsentationistische Zeichenauffassung offenlässt, ist genau die Frage, die instrumentalistische Zeichentheorien zu beantworten bestrebt sind: Die Wörter müssen dir auf irgendeine Weise zeigen, was ich denke. Ich sage dir, was ich denke, indem ich Mittel verwende, die dir dies zeigen. Dies scheint Platons Grundidee gewesen zu sein. Die einzige Art und Weise jedoch, wie er sich vorstellen konnte, dass Wörter zeigen können, woran der Sprecher denkt, war die des AbbildAbbildens. Die Wörter, die ich verwende, sind Bilder der Dinge, an die ich denke. Auch damit ist offenbar eine ganz bestimmte Vorstellung verbunden, was es heißt, zu kommunizierenkommunizieren. Während das Grundproblem einer repräsentationistisch begründeten Kommunikationsauffassung ein Transportproblem ist – wie schaffen die Zeichen es, Ideen von A nach B zu transportieren? –, stellt sich für eine instrumentalistisch begründete Kommunikationstheorie das Grundproblem des Kommunizierens als Beeinflussungsproblem: Wie kriege ich dich dazu, zu erkennen, was ich denke, was ich von dir möchte, was du tun oder glauben sollst? Die Zeichen werden als Mittel der Beeinflussung konzipiert. Mittel der Beeinflussung sind Spezialfälle von Werkzeugen. Allerdings darf die Analogie mit den Werkzeugen, wie wir gesehen haben, nicht zu weit getrieben werden, sonst verliert die Arbitraritätsthese auf einmal ihren SinnSinn. Repräsentationistische Zeichenaufassungen sehen gemeinhin die BedeutungBedeutung eines Zeichens in dem, wofür das Zeichen steht. lnstrumentalistische Zeichentheorien sehen die Bedeutung des Zeichens in dem, was es zu Zeichen macht. Die beiden Fragen, wofür ein Zeichen steht und was ein Zeichen zu einem Zeichen macht, sind nicht äquivalent. Was ein sprachliches Zeichen zeichenhaft macht, ist die Tatsache, dass ein geregelter GebrauchGebrauch ihm kommunikative FunktionFunktion verleiht. Es spielt eine RolleRolle im SpielSpiel des Kommunizierens. Dies ist, auf einen kurzen Nenner gebracht, die Zeichenauffassung WittgensteinWittgensteins. „Wenn wir[…] irgendetwas, das das Leben eines Zeichens ausmacht, benennen sollten, so würden wir sagen müssen, daß es sein Gebrauch ist.“1 Stellen wir uns vor, wir wollten ein Brettspiel erfinden, das mit verschiedenfarbigen Knöpfen gespielt wird. Wenn wir versäumen, den roten Knöpfen Spielregeln zuzuweisen, bleiben sie Knöpfe. Erst und ausschließlich die Spielregeln machen sie zu Figuren mit Funktion im Spiel. Zeichen sind Figuren im Spiel der Kommunikation.

      Erinnern wir uns an das zum Ende des Kapitels 5 Gesagte: Um den Fregeschen Sinn zu kennen, muss man das kennen, was Frege „InhaltInhalt“ nennt, und wissen, was daran wahrheitswertfunktional relevant ist. Was es heißt, den Inhalt eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, darüber hat sich Frege nicht ausgelassen. Vermutlich hätte er auf die Frage, was es heißt, den InhaltInhalt eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, nicht geantwortet: Das heißt zu wissen, wie er in der Sprache gebraucht wird. Aber unabhängig davon, ob Frege diese Antwort gegeben hätte oder nicht, ist dies die angemessene Antwort, und sie steht, wenn ich recht sehe, zu nichts, was Frege gesagt hat, im Widerspruch. Den Fregeschen SinnSinn eines Ausdrucks kennen, heißt, die RegelRegel des Gebrauchs des Ausdrucks kennen und wissen, welche Gebrauchsbedingungen davon die wahrheitsfunktional relevanten Gebrauchsbedingungen sind. Wenn wir Abhandlungen lesen, die einen Überblick über verschiedene Bedeutungstheorien2Alston geben, so müssen wir stets den Eindruck gewinnen, dass eine repräsentationistische Theorie und die GebrauchstheorieGebrauchstheorie alternative Theorien seien, die sich gegenseitig ausschlössen. Das ist jedoch nicht der Fall! Es handelt sich um unterschiedliche Antworten auf unterschiedliche Fragen, die unabhängig voneinander angemessen oder unangemessen sein können. Beide Fragestellungen haben ihre Berechtigung und sind miteinander kompatibel. Die Frage des Bezugs zur Welt, sei es zur Welt der Dinge oder zur Welt der kognitiven Einheiten, ist ebenso berechtigt wie die Frage, auf welche Weise eine solcher Bezug,