das wir durch den GebrauchGebrauch unserer Sprache erwerben, bringt uns in den Besitz von Lösungsstrategien von Problemen, mit denen der einzelne selbss nie in Berührung gekommen zu sein braucht. Indem wir unserer Sprache erwerben, „we learn to classify things in a certain manner without acquiring the actual experiences which have led successive generations to evolve this system of classification“.12Hayek„Learning without insight“,13 nennt Viktor Vanberg treffend diese Form des Wissenszuwachses. Gesellschaften sind nicht nur arbeitsteilig, sie sind sozusagen auch wissensteilig und erfahrungsteilig. Mit meiner Sprache erwerbe ich Erfahrungswissen, das Generationen vor mir gemacht haben. In seinem Aufsatz „Über den ‚Sinn‘ sozialer lnstitutionen“14 äußert sich von Hayek ausführlich über das implizite Erfahrungswissen, das in jenen „ohne Absicht entstandenen Bildungen wie Moral, Sitte, Sprache und […] Markt“15 enthalten ist und tradiert wird:
Das Wichtige ist hier, daß wir uns nicht nur der Sprache bedienen lernen, ohne wirklich zu wissen, was für komplizierte Regeln wir ständig anwenden […], sondern daß wir mit der Sprache sehr viel Wissen über die Welt erwerben, Wissen, das gewissermaßen in der Sprache enthalten ist und uns, ohne daß wir es formulieren könnten, ständig leitet, wenn wir in der Sprache denken oder sprechen. Daß uns die Sprache oft irreführt, ist natürlich oft betont worden. Aber viel öfter hilft uns der erlernte Gebrauch der Sprache, uns in der Welt, in der wir leben, zu orientieren, hilft uns, gewissermaßen automatisch viele Probleme zu lösen, ohne daß wir wirklich erklären könnten, wie wir zu dieser Lösung kommen. […] Es ist keineswegs selbstverständlich, daß sich die Dinge und Ereignisse gerade so gruppieren, wie wir sie mit gleichen oder verschiedenen Namen belegen; in der Zusammenfassung an sich verschiedener Dinge unter demselben Namen oder einer verschiedenen Benennung liegt schon viel Erfahrung verborgen.16
Die Kategorien, die sich durch unsere kommunikative Praxis bilden, überdauern nach Maßgabe ihrer funktionalen Tauglichkeit innerhalb der betreffenden KulturKultur. Logisch spricht nichts dagegen, eine Kategorie zu bilden, die all die Lebewesen umfasst, die essbare Eier legen: Hühner und einige andere Vögel, Seeigel, Ameisen, Störe und einige ander Fische. Wir könnten die Kategorie all der Dinge bilden, die man mit dem Fahrrad transportieren kann. In unserer Sprache gibt es keine Wörter, die diese Klassifikationen erzeugen. Dass es sie nicht gibt, liegt nicht an der „Unsinnigkeit“ solcher Kategorien, sondern allein daran, dass in unserer Lebensform offenbar dafür kein rekurrenter Bedarf besteht. Wörter und Begriffe sind (im wohlverstandenen Sinne) WerkzeugWerkzeuge unseres Kommunizierens und Denkens. Werkzeuge sind Mittel, die Standardlösungen für rekurrent auftretende Probleme bereitstellen. Logisch und technisch spricht auch nichts dagegen, dass es ein Werkzeug gibt, um in Milchflaschen gefallene Tischtennisbälle wieder herauszuholen. Dass es ein solches Werkzeug nicht gibt, liegt ausschließlich daran, dass dieses Problem in zu geringer FrequenzFrequenz zur Lösung ansteht. Hätten wir eine Religion, die eierlegende Tiere verehrt, oder ein Transportsystem, in dem das Fahrrad eine besondere Rolle spielt, so hätte sich auch der dazu geeignete Wortschatz mit den entsprechenden Kategorien gebildet. Die Kategorien, die durch eine natürliche Sprache hervorgebracht werden, sind aus logischer Sicht bisweilen äußerst verwirrend und wild. Was in evolutionären Prozessen zählt, ist nicht Logik, sondern Nützlichkeit. Sprachliche Evolution ist ad hoc und hemmungslos utilitaristisch. (Darunter scheinen besonders Sprachkritiker zu leiden.)
Betrachten wir beispielsweise die Kategorie ‚Vieh‘. Noch im Mittelalter bestand der Unterschied zwischen ‚Tier‘ und ‚Vieh‘ darin, dass wildlebende Tiere Tier (vgl. engl. deer) genannt wurden und die Nutztiere des Bauernhofs Vieh. Diese Unterscheidung ist offenbar mit der Verwissenschaftlichung einerseits und der Entbäuerlichung der Gesellschaft andererseits obsolet geworden. ‚Tier‘ ist zu einer biologischen Kategorie geworden; die SemantikSemantik des Wortes Tier enthält keine Gebrauchsbedingungen mehr, die den menschlichen Umgang oder den Nutzen für den Menschen betreffen (im Gegensatz etwa zu dem Wort Wild, das von der Wachtel bis zum Elefanten auf alles anwendbar ist, das von Jägern als jagbar angesehen wird).17 Die Kategorie ‚Vieh‘ ist für den heutigen Sprecher einigermaßen unklar geworden: Darunter fallen immer noch bäuerliche Nutztiere, aber offenbar nicht mehr alle. Bei Wilhelm Busch ist zwar noch von Witwe Boltes „Federvieh“ die Rede, aber ich würde heute von einem Gänsezüchter nicht mehr sagen, dass er Viehhaltung betreibe; und bei den „neuartigen“ Nutztieren wie Damwild oder Straußenvögeln wäre ich unsicher. Selbst von Pferden weiß ich nicht, ob ich sie zur Kategorie ‚Vieh‘ rechnen sollte. Möglicherweise ist ‚Vieh‘ auf bäuerliche Nutztiere, die primär der Ernährung dienen, beschränkt. Diese Unsicherheit der Zuordung ist eine Unsicherheit in bezug auf den Gebrauch des Wortes Vieh. Mangelnde kommunikative Kontakte zu Sprechern mit mehr Sicherheit und mangelnde Frequenz der aktiven wie passiven Verwendung des Wortes Vieh haben den Effekt, dass ich mich bei meiner aktiven Verwendung auf die Fälle beschränke, wo ich glaube, Gewissheit zu haben, und das sind die Rinder. So führt Unsicherheit zu Selbstbeschränkung im Gebrauch, und die Selbstbeschränkung vieler führt auf dem Wege der Kumulation mittelfristig zu Gebrauchsbeschränkung und somit zu BegriffsverengungBegriffsverengung.
Betrachten wir ein Beispiel für eine ziemlich „wilde“ Kategorie, die Kategorie ‚Salat‘. Die GebrauchsregelGebrauchsregeln des Wortes Salat sind dergestalt, dass es weder scharfe Grenzen dafür gibt, was unter die Kategorie fällt und was nicht, noch einheitliche Kriterien. Dennoch, das sei vorausgeschickt, macht uns der Gebrauch des Wortes Salat keinerlei Schwierigkeiten. Wir merken normalerweise gar nicht, wie verworren und aus logischer Sicht ad hoc wir dieses Wort verwenden. Salat wächst im Garten. Salat ist auch das, was bei Tisch in der Salatschüssel ist. Der Zusammenhang zwischen den Pflanzen, die man Salat nennt, und den zubereiteten Speisen, die man Salat nennt, ist alles andere als klar. Salatherzen kann man dünsten, dann entsteht Gemüse. Gemüse – wie Blumenkohl oder Paprika – kann man mit einer Vinaigrette anmachen, dann entsteht Salat. Der Salat in der Salatschüssel muss nicht aus Salat hergestellt sein, und aus Salat aus dem Garten kann man auch andere Speisen zubereiten als Salat. Bestimmte Gurken werden nahezu ausschließlich zur Herstellung von Salat verwendet,18 aber indem ich Gurken pflanze, pflanze ich nicht Salat. Man könnte annehmen, das Wort Salat sei zweideutig, so wie etwa Schloss. Gegen diese Annahme spricht das Sprachgefühl, und nicht nur dieses. Es gibt auch einen recht zuverläßigen Test: Bei ambigenAmbiguität Wörtern besteht Disambiguierungsverpflichtung. PinkalPinkal nennt dies „PräzisierungsgebotPräzisierungsgebot“.19 Bei Wörtern mit uneinheitlicher oder unklarer ExtensionExtension besteht keine solche Verpflichung. Wer sagt, Ich habe mir ein kleines Schloss gekauft, der kann nicht offenlassen, ob es sich um ein Vorhängeschloss oder ein feudales Gebäude handelt. Wer aber beispielsweise sagt, Ich habe mir eine Waffe gekauft, der kann durchaus offen lassen, ob es sich um einen Kampfpanzer oder ein Jagdmesser handelt. Im ersten Fall haben wir die Äußerung nicht verstanden, wenn uns die DisambiguierungDisambiguierung nicht gelingt. Im zweiten Fall haben wir die Äußerung auch dann verstanden, wenn wir nicht wissen, um welche Art von Waffe es sich handelt.
Zurück zum Salat. Wenn meine Frau sagt, Wir müssen noch Salat kaufen, so muss ich nicht in der Lage sein zu präzisieren, ob sie die Pflanze meint, die Salat genannt wird, oder Pflanzen, die sich zum Herstellen von Salat eignen. Ich würde nicht protestieren, wenn sie Tomaten und Gurken kaufte. Allerdings würde ich es für befremdlich halten, wenn sie Rindfleisch und Käse meinte, um einen Straßburger Fleischsalat zuzubereiten. Tomatensalat ist Salat, obwohl Tomaten nicht zu den Pflanzen gehören, die unter die Kategorie ‚Salat‘ fallen. Fleischsalat hingegen ist nicht Salat, so wenig wie Kartoffelsalat, Nudelsalat oder Obstsalat.20 Man kann nicht sagen, Ich habe heute viel Salat gegessen, und damit Fleischsalat meinen. Aber Fleischsalat ist auch keine metaphorische Übertragung wie beispielsweise Bandsalat (im Tonbandgerät). Betrachten wir zum Vergleich das spanische Wort ensalada. Im Garten wächst keine ensalada, sondern (beispielsweise) lechuga. Wenn die gewaschene und zerteilte lechuga auf dem Teller mit Essig und Öl übergossen und gesalzen ist, dann ist sie en-salada, was in etymologisierender Übersetzung ‚ein-gesalzen‘ heißt. Obstsalat wird nicht ‚eingesalzen‘; vielleicht ist es deshalb ungewöhnlich (wenn auch nicht völlig ausgeschlossen), Obstsalat ensalada de frutas zu nennen; er heißt macedonia de frutas. In Spanien wird Salat eher angerichtet (mit