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Die Rede von Jesus Christus als Glaubensaussage


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genannte Aspekt ist von besonderem Interesse. Harnack selbst hat auf die reformatorischen Wurzeln seiner Idee aufmerksam gemacht. In einem Zusatz zu seiner aus Anlass des Apostolikumstreits verfassten und in zahlreichen Auflagen erschienenen Abhandlung »Das apostolische Glaubensbekenntnis«[75] |79|hat er erwähnt, dass Luther in sein »Taufbüchlein«[76] gerade nicht die tradierte Gestalt des Apostolikums übernommen hatte, »sondern eine verkürzte Form desselben, die aus dem frühen Mittelalter stammt« (42). Dabei fehlen bemerkenswerterweise insbesondere im zweiten Artikel nahezu alle Formulierungen, die für den denkenden Christen der Moderne eine Zumutung darstellen könnten.[77] Zugleich stand Harnacks Vorschlag in der Tradition der auf der Preußischen Generalsynode von 1846 – freilich unter ganz anderen Vorzeichen – durch Karl Immanuel Nitzsch vorangetriebenen Bemühungen um die Formulierung eines Ordinationsgelübdes, das faktisch ein Unionsbekenntnis darstellte.[78] Der äußerst umstrittene und polemisch als »Nitzschenum« bezeichnete Vorschlag[79] wurde seinerzeit jedoch von König Friedrich Wilhelm IV. abgelehnt.

      a) Eine atmosphärische Bemerkung bezieht sich auf die »sowohl bei vielen evangelischen Geistlichen, als auch in weiten Kreisen des evangelischen Volkes« verbreitete »Beunruhigung«, die »durch die Auslassungen des Professors D. Harnack« hervorgerufen worden sei. Diese Beunruhigung sei, so stellt der Text weiter fest, »in ihrem innersten Grunde darauf zurückzuführen, daß man durch die Äußerungen jener Kundgebung über das Apostolische Glaubensbekenntnis [gemeint ist das Votum Harnacks vom 18. August] den Vollbestand des Christenglaubens, insbesondere auch die zum Grundbestande gehörende Lehre von der Menschwerdung des Sohnes Gottes für gefährdet erachtet« (677).

      c) Die Pointe des Zirkularerlasses wird man freilich eher in einer pragmatischen Erwägung finden. Der Oberkirchenrat betont seine Verantwortung für die Aufrechterhaltung der kirchlichen Ordnung, gerade auch »in Betreff des liturgischen Gebrauches des Apostolikums«. Eine Freigabe der gottesdienstlichen Nutzung des Apostolikums ist damit nachdrücklich abgelehnt. Dabei wird aber zugleich die Auffassung zurückgewiesen, nach der die Zustimmung zum Apostolikum als ein schlichtes Für-wahr-Halten des Wortlauts all seiner Einzelaussagen zu verstehen sei. Der Oberkirchenrat möchte also »bei aller evangelischen Weitherzigkeit und entfernt davon, aus dem Bekenntniß oder aus jedem Einzelstück desselben ein starres Lehrgesetz zu machen, doch etwaige agitatorische Versuche, das Apostolikum aus seiner Stellung zu verdrängen, […] nicht dulden« (678).

      Evangelische Weitherzigkeit – an dieser Formel lässt sich am besten zeigen, wie jedenfalls das pragmatische Argument des Zirkularerlasses faktisch zu Schleiermacher zurücklenkt. Denn dieser war ja der Auffassung, dass der innerprotestantische Pluralismus am ehesten dann gewahrt bleibt und kultiviert werden kann, wenn die Bekenntnisse einerseits unverändert belassen werden, andererseits aber ein freier Umgang mit den in den überlieferten Texten enthaltenen Aussagen konzediert und gefördert wird. Schleiermachers Überlegungen aus dem ersten Drittel des 19. Jh. stehen also ebenso für einen pragmatischen Konservatismus wie das Oberkirchenrats-Votum von 1892. Und in beiden Fällen ist damit die Absage an einen ideologischen Konservatismus (im Sinne einer Einschärfung des Wortlauts |82|der antiken und/oder reformatorischen Bekenntnisse als obligatorisches Glaubensgut) verbunden. Hinzu kommen die (freilich nur bei Schleiermacher explizit gemachten) Vorbehalte gegenüber neuen (und vermeintlich unanstößigen) Bekenntnisaussagen, deren Formulierung Harnack vorgeschwebt hat.

      Wenn nicht alles täuscht, ist der beschriebene pragmatische Konservatismus in besonderer Weise dazu geeignet, die Differenz zwischen dem christlichen Glauben selbst und seiner in den kirchlichen Bekenntnissen fixierten symbolischen Form festzuhalten. Insofern kann diese usualistische Lösung, ungeachtet dessen, dass sie weit davon entfernt ist, innovativ zu sein, auch gegenwärtig als die angemessenste Form der Bearbeitung des für den Protestantismus konstitutiven ambivalenten Verhältnisses zwischen Bekenntnisbindung und Freiheit gelten.

      Fußnoten

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      Im Unterschied zum lutherischen Verständnis, dem gemäß den Aussagen der Bekenntnistexte eine dauerhafte Verbindlichkeit für die kirchliche Lehre zukommt, betrachtet der reformierte Protestantismus die Bekenntnisschriften als einen zunächst situativ verbindlichen Ausdruck menschlichen Glaubens und wahrheitsgemäßer Schriftauslegung, dessen Geltung weitgehend auf den Kontext der Bekenntnisentstehung beschränkt ist. Daher sind, anders als im Luthertum, auch in den Jahrhunderten nach der Reformation zahlreiche reformierte Bekenntnistexte entstanden. Aus lutherischer Sicht ist dagegen die Bekenntnisbildung mit dem Konkordienbuch abgeschlossen. Dem widerspricht nicht die etwa in der Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland vom 7. Januar 2012 begegnende Nennung der Barmer Theologischen Erklärung, von der lediglich gesagt wird, in ihr sei das »in den altkirchlichen Bekenntnissen und in den lutherischen Bekenntnisschriften« ausgelegte »Evangelium von Jesus Christus […] aufs Neue bekannt worden« (http://www.kirchenrecht-nordkirche.de/document/24017#s00000040 – Zugriff am 29.08.2017).

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      Textgrundlagen: (1) Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Ausgabe für die Gemeinde. Im Auftrag der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) hg.v. Amt der EKD. Redaktionell betreut von Johannes Hund und Hans-Otto Schneider, 6., völlig neu bearbeitete Auflage, Gütersloh 2013 (= UG); (2) I. DINGEL (Hg.), Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland, Göttingen 2014 (= BSELK).

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      G. KRETSCHMAR, Die Bedeutung der Confessio Augustana als verbindliche Bekenntnisschrift der Evangelisch-Lutherischen