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Handbuch Bibeldidaktik


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den Möckmühler Arbeitsbogen „Tempel in Jerusalem zur Zeit Jesu“ verwiesen.

      Das Jahr 70 n. Chr. bedeutete für das Judentum einen tiefen Einschnitt. Mit der Tempelzerstörung endeten alle kultischen Opferhandlungen. An deren Stelle traten u.a. die täglichen Gebete, die zu den Zeiten verrichtet werden, zu denen einst im Tempel die Opfer dargebracht wurden, das Studium der Tora sowie der Auftrag zu „Taten der Barmherzigkeit“.

      Im Bar Kochba-Aufstand 132 bis 135 n. Chr. lehnten sich die Juden gegen die Entscheidung Hadrians auf, das in Trümmern liegende Jerusalem als römische Colonia Aelia Capitolina neu zu erbauen. Nach der Niederschlagung des Aufstandes mussten sie Jerusalem und dessen unmittelbares Umland verlassen. Auf dem ehemaligen jüdischen Tempelareal wurde ein Heiligtum zu Ehren Jupiters gegründet.

      Seit dem 3., spätestens aber dem 4. Jh. n. Chr. gedenken fromme Juden in Jerusalem am 9. Tag des jüdischen Monats Av mit einem Fast- und Gedenktag der Zerstörung des Tempels durch Nebukadnezar II. und durch die Römer. Was bedeutet ein zentraler Ort der Erinnerung? Welche Funktion haben Mahnmale, Gräber, Gedenkorte und -tage? Welche vergleichbaren Orte des geschichtlichen Gedenkens besuchen Schüler noch heute?

      Die Juden beten heute außerhalb des ehemaligen herodianischen Tempelbereichs an der Westmauer, der sogenannten Klagemauer. Als einziger für sie verbliebener Teil des ehemaligen Tempelareals wurde die westliche Umfassungsmauer des früheren Tempelberges angesichts ihrer Nähe zum zerstörten Allerheiligsten zum wichtigsten heiligen Ort des Judentums. Der Legende nach hat die Gegenwart Gottes (hebr. šekῑnā) diesen Ort auch nach der Tempelzerstörung nicht verlassen. Hier könne man deshalb Gott räumlich so nahe sein wie nirgends sonst auf der Welt. Daher stecken Gläubige bis heute ihre auf Zettel geschriebenen Anliegen in die Mauerritzen der Westmauer, um sie Gott nahe zu bringen. Es würde sich ein Vergleich verschiedener Orte und Formen des |67|Gottesdienstes anbieten. Tempel, Synagoge, Kirche, Moschee – was ist ähnlich, was ganz anders?

      Christliche Traditionen

      Als Kaiser Hadrian um das Jahr 135 n. Chr. auf dem Schutt des zerstörten Jerusalem die römische Stadt „Colonia Aelia Capitolina“ neu erbauen ließ, befahl er, auf dem ehemaligen jüdischen Tempelplatz ein Jupiterheiligtum und nördlich der heutigen Erlöserkirche ein Forum sowie einen großen römischen Tempel zu errichten. Häufig wird darauf hingewiesen, dass Hadrian den jüdischen Glauben durch seine Entweihung des Tempelberges in Vergessenheit bringen wollte und folglich auch den „anderen Juden“, den christlichen „Sektierern“, Gleiches antun musste, indem er das von ihnen schon früh verehrte Grab durch seinen Tempelbau überdeckte. Wieso konnte Hadrian die Christen als „jüdische Sekte“ ansehen?

      Dennoch wurde Jerusalem zum Zentrum der frühen Christenheit – die Stadt gewann ihre Bedeutung als Ort der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Hier lebten die Urgemeinde und viele Apostel. Möglicherweise waren die ersten Christen angesichts der von ihnen erhofften Wiederkunft Jesu zu ihren Lebzeiten (1 Thess 4,13–181 Thess 4,13–18) weit mehr mit dem himmlischen Jerusalem beschäftigt als damit, lokale Marksteine des irdischen Lebens Jesu zu sichern.

      Bereits im 3. und vor allem im 4. Jh. n. Chr. wurde Jerusalem Ziel christlicher Pilgerreisen. Die bedeutendste der Pilgerinnen war die Kaisermutter Helena, die 326 n. Chr. nach Jerusalem reiste und der Legende nach viele christliche Erinnerungsorte wiederfand (u.a. auch das Kreuz Jesu). Nach dem Konzil von Nicäa 325 n. Chr. gab Kaiser Konstantin den Befehl, den von Hadrian errichteten Tempel abreißen zu lassen und an dessen Stelle die Grabeskirche zu errichten, weil man hier Golgota und das Grab Jesu vermutete.

      638 n. Chr. wurde Jerusalem vom christlichen Patriarchen Sophronius friedlich an den Kalifen Omar übergeben. Es begann die mehr als hundert Jahre andauernde tolerante Herrschaft der Omayyaden. Die folgenden muslimischen Herrscher (Abbasiden, Fatimiden und Seldschuken) zeigten weniger Toleranz |68|gegenüber den „Ungläubigen“ und die Restriktionen nahmen zu. Die Zerstörung der Grabeskirche durch den Kalifen al-Hakim gab letztlich einen Anstoß für die Kreuzzüge. 1099 gelang es den Kreuzfahrern, Jerusalem einzunehmen (wobei sie ein Massaker anrichteten) und das Königreich von Jerusalem zu gründen. Im Jahr 1187 fand dieses durch die Eroberung Saladins ein Ende.

      Muslimische Traditionen

      Im Islam gelten alle Stätten als heilig, denen Muslime einen religiös motivierten Besuch abstatten oder zu denen sie pilgern, denn an diesen Orten spüren sie nach ihrer Glaubensvorstellung eine besondere Nähe zu ihrem Gott. Der muslimische Glaube basiert – wie auch der christliche – zu einem erheblichen Teil auf der jüdischen und christlichen Glaubenstradition. Die jüdischen Überlieferungen der hebräischen Bibel ebenso wie christliche Traditionen werden im Islam in ausgewählter und interpretierter Form aufgenommen. Der Islam bringt diese Traditionen nach seiner Überzeugung zu ihrer eigentlichen Vollendung. So kann es nicht erstaunen, dass es in der südlichen Levante zahlreiche Überschneidungen zwischen muslimischen, jüdischen und christlichen Verehrungsorten gibt.

      Der ehemals jüdische Tempelberg erhielt sehr bald nach der Eroberung der Stadt im Jahre 638 n. Chr. eine muslimische Neuinterpretation, die mit dem Bau eines islamischen Heiligtums an gleicher Stelle dokumentiert wurde. Dieser Akt war nicht als Provokation gegenüber dem Judentum gedacht. Eigentlich war die Inbesitznahme des von den Christen in weiten Teilen baulich frei gelassenen Bereichs eine logische Konsequenz der omayyadischen Machtentfaltung in Jerusalem. Seit etwa 691 n. Chr. steht auf dem Haram asch-Scharif, der heute von den Muslimen als „edles Heiligtum“ verehrt wird, nahe der Stelle des ehemaligen herodianischen Tempels der Felsendom. Er wurde von Kalif Abd al-Malik (685–705 n. Chr.) errichtet. Die südlich davon gelegene Al-Aqsa-Moschee erbaute vermutlich sein Sohn Al-Walid I. (705–715 n. Chr.) und nutzte dabei auch die herodianischen Substruktionen (der seit der Kreuzfahrerzeit sogenannten „Ställe Salomos“). Welche Funktion hat eine Moschee? Welche architektonischen Merkmale gehören dazu? Wie oft fordert der Muezzin zum Gebet auf? Wann? Welches ist der heilige Tag der Muslime?

      Nach der Überlieferung des Korans und der Hadithen („Mitteilung“, „Erzählung“) unternahm der Prophet Mohammed auf seinem geflügelten Pferd Buraq eine göttlich initiierte Nachtreise von Mekka zur Al-Aqsa, womit heute der ehemalige Tempelberg in Jerusalem identifiziert wird (Sure 17,1 f.Sure 17,1f.). Der Legende nach wurde Mohammed nach dem Gebet in Jerusalem eine Leiter gereicht, auf der er Sprosse um Sprosse bis zum Himmelstor emporstieg. Schließlich erreichte er den Thron Gottes und empfing Allahs Weisungen, u.a. die Pflicht, fünfmal täglich zu beten. Über dem Felsen, von dem aus Mohammed in den Himmel gestiegen sein soll und der schon als Altar für Abrahams Opfer und Standort |69|des Engels an der Tenne Arawnas gedient habe, erhebt sich deshalb heute der Felsendom.

      Auf dem Haram asch-Scharif gründen weitere religiöse Traditionen. Zwei von ihnen sollen hier noch erwähnt werden: Zum einen betrachten die Muslime wie die Juden den Felsen unter dem Felsendom als „Mittelpunkt der Welt“. Zum anderen sieht die jüdische wie die muslimische Tradition in Jerusalem den Ort der letzten Schlacht der Heiden/des bösen Drachen al-Dadschal („der Betrüger“) gegen die Gerechten – und als endgültigen Ort des dann anbrechenden Heils. An diesen Beobachtungen lässt sich ein häufiges Phänomen verdeutlichen: Eine Religion errichtet ihre heilige Stätte auf der einer anderen und besetzt sie auch interpretativ neu. Mit welcher Motivation geschieht dies? Wo lassen sich vergleichbare Vorgänge in der christlichen Tradition finden?

      Der Tempelberg Haram asch-Scharif in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen

      Innerhalb