die als Attraktion im Gottesdienst vorgeführt wurden, oder das acht Monate lange Vorlesen der Bibel ohne Kommentar im Unterricht. Eine Auseinandersetzung mit den Inhalten fand dabei nicht statt.
Seit dem 18. Jh. kam die Frage auf, ob die Vollbibel, eine Auszugsbibel oder eine Nacherzählung geeigneter als Lehrbuch sei. Als Prototyp neuer Lehrbücher gilt die 1714 erschienene „Zwei mal zwei und fünfzig auserlesene Biblische Historien“ des Hamburger Rektors J. Hübner. Der kurzen Nacherzählung biblischer Texte wurden als didaktischer Dreischritt „deutliche Fragen“, „nützliche Lehren“ und „gottselige Gedanken“ beigefügt. Ab dem 19. Jh. erschienen „Biblische Geschichten“ (J.P. Hebel ab 1824; C.G. Barth ab 1831), die Wert auf die Kenntnis der Texte legten, und „Biblische Geschichte“ (C. Schmid ab 1801; F.L. von Zahn ab 1831), worin es um das Erfassen der Heilsgeschichte ging.[9]
Noch bis in die 1960er Jahre hatten Schüler in der Regel solche Bibelübertragungen als Lehrbuch, die zur Vollbibel hinführen sollten. Kritiker bemängelten Auswahl, Sprache, Moralisierung sowie die Illustration – besonders die Gottesbilder von J. Schnorr von Carolsfeld und dass diese Lernmittel als Instrument der Verkündigung im Religionsunterricht gedacht waren.
Mit der didaktischen Wende in den 1960er Jahren stellte sich der „Hermeneutische Religionsunterricht“ (M. Stallmann) gegen die „Verzweckung“ der Bibel. Lernende sollten kritisch-konstruktiv mit den biblischen Texten der Vollbibel umgehen können. Da jedoch der Ansatz den Erfordernissen der Zeit nicht mehr |73|genügte, kam es infolge des „Problemorientierten Religionsunterrichts“ (H.B. Kaufmann; K.E. Nipkow) zum Bedeutungsverlust der Bibel als Lehrbuch im deutschsprachigen Kontext.[10] Beeinflusst durch das Korrelationsmodell P. Tillichs setzte man Lebensfragen und die Aussagen der Bibel miteinander in Beziehung. Geradezu gegenläufig zum Trend in Mitteleuropa ist die Bedeutung der Bibel als Lehrbuch in Afrika, Asien und Lateinamerika. Bis heute findet die Verschriftlichung vieler Sprachen im Übersetzungsprozess der Bibel statt, die beispielsweise vom Weltbund der Bibelgesellschaften geleistet wird. So dienen biblische Texte auch zur Alphabetisierung der Bevölkerung oder als Protest- und Ermutigungsschriften für die Widerstandsbewegung.[11]
Die Bibel als Lehrbuch in der aktuellen Bibeldidaktik
Die Frage, wie die Bibel als Lehrbuch eingesetzt werden kann, begleitet die aktuelle Debatte der Bibeldidaktik. Für I. Baldermann ist die Bibel von existenzieller Bedeutung und daher sei sie ein „Buch des Lernens“,[12] das ohne Vorwissen gelesen werden kann, weil in ihm die großen Fragen des Lebens beantwortet werden. Er möchte elementare biblische Aussagen früh zugänglich machen, da Kinder hier Orientierung finden und sprachfähig werden. H.K. Bergs These lautet[13]: Die Bibel ist ein Lehrbuch, da sie zur kritischen Auseinandersetzung mit Problemen und zu deren Bewältigung fähig macht. Er analysiert die Lebenssituation Jugendlicher und wählt Bibelgeschichten als Orientierungs- und Hoffnungsmöglichkeit aus – in befreiungstheologischer, tiefenpsychologischer und symboldidaktischer Perspektive. G. Theißen möchte diejenigen „zur Bibel motivieren“,[14] die der Bibel kritisch gegenüberstehen.[15] Die Bibel sei ein wichtiges Lehrbuch, weil man dadurch die Kultur und die „Sprache religiöser Erfahrung“ verstehen lernt. P. Müller möchte darüber hinaus „die Bibel im Unterricht so zur |74|Sprache bringen, dass sie sich in ihrer Vielfalt und Lebensdienlichkeit erschließt“.[16] Da sie aber für die meisten Menschen ein „Buch mit sieben Siegeln“ (Offb 5Offb 5), also unverständlich sei, will er den Lesern Zugänge zur Bibel öffnen – sogenannte „Schlüssel zur Bibel“.[17] Spannend sind auch Ergebnisse der „Kindertheologie“, wenn Kinder über sperrige Bibeltexte philosophieren. Die im „Jahrbuch für Kindertheologie“ dokumentierten Beispiele zeigen, dass Kinder gemeinsam mit der Bibel lernen und selbst über Texte wie Sodom und Gomorra ins Gespräch kommen.[18]
Ertrag und Ausblick
Die Bibel ist nicht nur Quelle göttlicher Offenbarung, sondern auch Grundlage des Lehrens und Lernens. Ziel ist, dass sich Lernende selbst dieses „Lehrbuch“ aneignen. Zwar fragt C. Grethlein, „ob die Zielsetzung, Schüler zu einer eigenständigen Lektüre der Bibel zu befähigen, realistisch und für das Hauptziel, mit den Schülern das Evangelium zu kommunizieren, notwendig ist“.[19] Doch ist das Lesen der Bibel als Buch kaum zu ersetzen.
Dass Schülerinnen und Schüler mit der Bibel als Buch umgehen können, ist eine Kernkompetenz, die durch den Religionsunterricht angebahnt werden soll.[20] Dabei stellt sich die Frage, ob man die richtige Bibel als „Lehrbuch“ in der Hand hält. Wenn jedes Lesealter für die jeweilige Lese- und Lernkompetenz eigene Lernmittel braucht, braucht es für jede Phase des Bibellernens eine passende Bibelausgabe – also ein passendes Lehrbuch, das dem kumulativen Aufbau von Kompetenzen gerecht wird. Vorschulkinder brauchen Vorlesebibeln, die Geschichten so visualisieren, dass sie selbst die Bilder „lesen“ und darüber ins Gespräch kommen können.[21] Erstleserinnen und Erstleser brauchen eine Erstlesebibel mit elementarer Sprache,[22] lesestarke Kinder spannende Erzählbibeln.[23] Es braucht für Jugendliche, die noch keine Vollbibel lesen können, eine Ausgabe, die ihnen anspruchsvollere Texte, Erklärungen und altersgemäße Illustrationen als Brücke zur Vollbibel bietet.[24] Schließlich können auch Vollbibelausgaben als |75|„Lehrbuch“ dienen – so wie die „Lutherbibel/Gute Nachricht-Bibel für dich“ oder die „Basisbibel“.[25]
Auch müssen Lebenswelt und das Angebot der Bibel aufeinander bezogen sein, denn um als Lehrbuch Akzeptanz zu finden, muss klar sein, was Bibeltexte mit dem eigenen Leben zu tun haben.[26] Wenn Lernende fragen: „Was bringt mir eigentlich die Beschäftigung mit der Bibel?“, dann hat dies seinen Grund. Hilfreich ist es, nach den Lebenssituationen („Sitz im Leben“) der Bibeltexte zu suchen und zu klären, was denn das „Lehrbuch Bibel“ damals Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation „gebracht“ hat. Diese Herangehensweise legt Ausgangsfragen offen, auf die die Bibel Antworten gibt.[27] So ist beispielweise die Josefgeschichte ein „Lehrbuch“, das für Jugendliche in der Pubertät gut nachvollziehbar ist, denn Josef erlebt ein persönliches Auf und Ab. Auch kann die Auseinandersetzung mit einem Prophetenbuch bereits in der Klassenstufe 3/4 erfolgen, denn da spielt die Frage nach der Gerechtigkeit bereits eine große Rolle. Hier gilt es, von der Eigendynamik der biblischen Texte und der Lebens- und Lernsituation her zu entscheiden, damit aus einem Lehrtext der Bibel ein Lebenswort wird.
Leseempfehlungen
Büttner, Gerhard, Wie wurde in biblischer Zeit (in der Schule) gelernt? Fragen einer historischen Bibeldidaktik. ThBeitr 43 (2012), 34–48.
Landgraf, Michael/Metzger, Paul, Bibel unterrichten. Stuttgart 2011.
Fußnoten
Zu diesem Artikel ausführlich: Landgraf/Metzger, 2011, 29–45.
Vgl. Liss, Hanna, Tanach. Lehrbuch der jüdischen Bibel. Heidelberg 22008.
Vgl. Büttner, 2012, 34–48.
Älteste Zeugnisse dokumentiert in: Schefzyk, Jürgen, Alles echt. Älteste Belege zur Bibel aus Ägypten. Darmstadt 2006.
Abbildung in Landgraf, Michael, Kinderbibel damals – heute – morgen. Neustadt a.d.W. 2009, 10.
A.a.O., 5–11. Vgl. dazu → Art. Kinder- und Schulbibeln.