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Handbuch Bibeldidaktik


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denn diese ganz einfach menschliche Sprache ist randvoll von Gotteserfahrung; ohne sie wären diese Sätze der Klage nie formuliert worden. Sie sind ja nicht einfach „Klage“, larmoyant und hilflos, es sind Hilferufe, die in der Verzweiflung nicht aufhören, auf Hilfe zu hoffen.

      Ohne diese Grunderfahrung, dass alles Schreien und Weinen nicht ins Leere geht, wäre kein Satz der Psalmen je ausgesprochen worden. Nur ist diese Erfahrung nicht wie eine denknotwendige Voraussetzung rational präsent, sondern emotional als Ahnung und Hoffnung. Hier sind nicht Dichter am Werk, die persönliche oder kollektive Erfahrungen in eine kunstvolle Form bringen, sondern emotionale Erfahrungen von unerhörter Intensität, auf der Suche nach einer Sprache, die ihnen angemessen ist und doch kommunikabel bleibt. Diese Sprache aber kann sich nicht als Monolog entfalten, das ist nur als ästhetische Attitüde so möglich; im Ernstfall braucht sie ein Gegenüber – die Ursprungssituation des Gebets.

      Die Klage sucht Antwort

      Die Klage wartet auf Antwort, und so fragen wir weiter nach Worten, die denen der Angst entgegenkommen. Es müssen Worte sein, die nicht weniger elementar sind; nur so können sie der Angst antworten. Sie dürfen nicht vorspiegeln, eine „Lösung“ zu haben, die es existenziell ja gar nicht gibt; sie müssen aber in der Lage sein, eine Gegenerfahrung zu mobilisieren:

      Du bist mein Fels (31,4Ps 31,4).

      Deine Hand hält mich fest (63,9Ps 63,9).

      Du bist mein Lied (118,14Ps 118,14).

      Du bist bei mir (23,4Ps 23,4).

      Folgen wir den Psalmen, so erteilen sie uns eine didaktisch nachdrückliche Warnung: Sie bringen ihre Gegenerfahrung nicht wie eine Lösung ins Spiel, so als sei mit dem Hinweis auf „Gott“ alles gelöst. Die Bibel lebt aus einer Gotteserfahrung, die nicht mit einem einzigen Namen einzufangen ist, schon gar nicht |154|mit dem farblosen Wort „Gott“; aber mit der Frage nach dem Namen sind wir didaktisch auf der Spur zu dem theologischen Kern der Bibel.

      Denn die geläufige Übersetzung „der Herr“ ist nicht wirklich ein Name, vielmehr nur eine Umschreibung des unaussprechlichen Namens, der sich hinter den Buchstaben JHWH verbirgt: Er offenbart sich dem Mose aus dem brennenden Dornstrauch mit einem hebräischen Wort, das die Zusage gibt: Ich bin da, ich will mit euch sein, das ist mein Name – der sich sogleich aber dem allzu direkten Zugriff wieder entzieht: Ich bin, der ich bin (Ex 3,14Ex 3,14).

      Das Geheimnis dieses Namens ist: Er ist die Antwort, nach der die Klagen suchen, Inbegriff allen Trostes; in der reziproken Form als Anrede erscheint er im 23. Psalm: „Du bist bei mir“; und dies ist auch für Kinder das Vertrauenswort, das alle anderen in sich schließt. Es schließt auch ganz menschliche Erfahrungen ein, den Trost, der von der Gegenwart der Mutter ausgeht, vom Beistand der Freundin, von der Erfahrung, nicht allein zu sein in der Angst.

      Dies ist eine Erfahrung, die immer neue Namen sucht, weil keiner sie ganz zu fassen vermag. Es sind Namen des Suchens, nicht des Besitzens, Namen der Sehnsucht, ja auch Namen der Zärtlichkeit, wie sie Liebende einander oder Eltern ihren Kindern geben. Deshalb bleibt das Grundgesetz des Verstehens: Wir müssen sie offen halten für künftige Erfahrung, um keinen Preis dürfen wir sie ablösen durch das Wort Gott, als sei dies die endgültig richtige Lösung.

      Gespräche mit der Seele

      Viel hängt aber davon ab, dass wir den „Sitz im Leben“ dieser Worte nicht verschieben. Die Worte des Vertrauens haben keinen anderen als die der Klage; sie sind nicht auf den Höhen des Wohlfühlens formuliert, sondern in den Tiefen der Angst; erst dort werden sie beredt.

      Sind wir so in die Tiefen der Seele hineingestiegen, dann liegt es aber auch nahe, den Kindern bewusst zu machen, wer da eigentlich in ihnen und mit ihnen redet. „Meine Seele will sich nicht trösten lassen“ (Ps 77,3Ps 77,3) – das ist eine widerständige Erfahrung, die alle Kinder kennen. Sie finden dann aber auch die Spur zu anderen Erfahrungen mit der eigenen Seele. Sie will oft anders als ich es will; sie kann tieftraurig sein, aber auch grenzenlos übermütig. Dies aber führt uns zuletzt auf eine noch andere Spur in den Psalmen: Die Seele ist es, die den Impuls erfährt, IHN, der so viele Namen trägt, zu „loben“ (Ps 103Ps 103; 104Ps 104).

      Das Lob – Sprache des Glücks

      Die herkömmliche Bezeichnung „Lob“ allerdings ist missverständlich; erst wenn wir alle pädagogischen Konnotationen beiseite lassen, entdecken wir in den Lobpsalmen eine ähnlich ursprüngliche Sprache wie in der Klage; es ist die Sprache des Staunens, der Bewunderung: Da ist das Meer – so groß und weit (Ps 104,25Ps 104,25)! Wie bist Du schön (Ps 104,1Ps 104,1)! – es sind Worte des Glücks wie die, mit denen Liebende einander erkennen.

      |155|Die Sprache des Glücks aber ist Kindern nicht fremd; bringen wir sie auf die Spur, elementare Erfahrungen von Glück und Schönheit bewusst wahrzunehmen, dann werden wir staunen, zu welcher Intensität und Klarheit lyrischer Sprache schon Kinder fähig sind. Die Sprache des Glücks aber ist für sie lebensnotwendig wie die der Klage, nur in ganz anderer Weise: Die Erfahrung des Glücks, immer nur die Sache eines Augenblicks, bleibt darauf angewiesen, dass wir sie immer neu erinnern, um nicht unterzugehen in dem Chaos des Beängstigenden.

      Anders aber als die Sprache der Klage führt die des Glücks in eine unendliche Weite: Die Klage kommt mit wenigen wiederkehrenden Bildern aus; wir kennen sie aus der Sprache unserer Träume; der Umgang mit ihnen ist wie eine Engführung. Die Sprache des Glücks dagegen ist so vielfältig wie die Schönheit der Schöpfung; sie führt in die Weite und entbindet eine geradezu grenzenlose Kreativität.

      Diese Explosion der Kreativität spiegelt sich auch in den Verben: Das Grundwort des Lobens in den großen Lobpsalmen 103/104 heißt: segnen; in anderen Verben aber zeigen sich noch andere Formen des Lobens: überschäumende Freude will singen, tanzen, spielen auf allen Instrumenten, im Chor mit der ganzen Schöpfung vereint, mit Feuer, Hagel, Schnee und Dampf – das Lob braucht auch die Fähigkeit zur Ekstase, um die Last des alltäglich Bedrohenden abzuschütteln; und das „Ich will Dir singen“ – das entdecken auch Kinder – ist nicht nur ein jubelnder Impuls der Liebe, sondern auch ein Wort trotzigen Widerstandes.

      Leseempfehlungen

      Albrecht, Folker et al., Psalmen. Einfach Religion. Paderborn 2012.

      Baldermann, Ingo, Wer hört mein Weinen? Kinder entdecken sich selbst in den Psalmen. Neukirchen-Vluyn 112011.

      Ders. Art. Psalmendidaktik. In: WiReLex (2015). [http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100042/]; Zugriff am 12.12.2017.

      Geiger, Michaela/Theis, Stefanie, Psalter. In: Dressler, Bernhard/Schroeter-Wittke, Harald (Hg.), Religionspädagogischer Kommentar zur Bibel. Leipzig 2012, 167–181.

      Itze, Ulrike/Moers, Edelgard, Psalmen: Gestalten – erleben – verstehen. Werkbuch Religionsunterricht 1 bis 6. Hamburg 52006.

      Janowski, Bernd, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen. Neukirchen-Vluyn 2003.

      Lessmann, Beate, Mein Gott, mein Gott … Mit Psalmworten biblische Themen erschließen. Neukirchen-Vluyn 2002.

      Oberthür, Rainer/Mayer, Alois, In Bildworten der Bibel sich selbst entdecken. Heinsberg 1995.

      Seybold, Klaus, Poetik