populistisch Schalom rufen (Jer 6,13f.), spricht der JHWH-Prophet seine oft unbequemen Worte gegen die Machthabenden im Volk.[6]
|140|Die Aufgabe
JHWH übermittelt den Menschen seinen Willen durch die Propheten, somit sind sie „Instrumente seines Wirkens in der Geschichte“.[7] Sie allerdings nur als ein Sprachrohr JHWHs zu begreifen, wäre zu wenig. Obwohl die Propheten vorrangig JHWHs Worte verkünden, sind sie doch auch als Mittlergestalten zwischen JHWH und dem Volk anzusehen, die durch ihr beherztes Eingreifen ein Gegenüber zu ihm darstellen und seine Entscheidung zu Gunsten des Volkes beeinflussen können. Dies geschieht in der Fürbitte des Propheten, eine der wichtigsten Aufgaben, von der das Überleben des Volkes abhängt. So gelingt es Mose, JHWH von seinem Vernichtungsbeschluss abzubringen (Ex 32,7–14Ex 32,7–14). Im Amosbuch erkennen wir die Grenze der prophetischen Fürbitte und die aus der Grenze entstehende erschreckende Konsequenz für das Volk.[8]Am 7Am 8,1–3 Von hier lässt sich verstehen, welche Qual Jeremia erleiden muss, wenn ihm die Fürbitte verboten wird (Jer 7,16Jer 7,16; 11,14Jer 11,14).
Die Botschaft
Von der Botschaft der Propheten zu reden, ist kaum möglich, da sie durch ihre Kontextabhängigkeit in einem hohen Reichtum an Formen, Inhalten und Gestalten vorliegt. Um die zahlreichen Botschaften exemplarisch in systematisierender Form darzustellen, werden die Wolffschen Kategorien „das Ende, die Wende, das Neue“ herangezogen.[9]
Das Ende
Nicht zu Unrecht wird Amos als der härteste Unheilsprophet angesehen, der dem Nordreich sein schonungsloses Ende verkünden muss (Am 8,2bAm 8,2b). Der Grund liegt in der übermäßig großen Schuld Israels, welche sich z.B. im sozialen Miteinander (Am 2,6; 4,1–3Am 4,1–3), in der Beugung des Rechts (Am 5,7Am 5,7) und im Missbrauch des Gottesdienstes (Am 5,21–27Am 5,21–27) äußert. Amos leistet Sozialkritik, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um der von JHWH eingesetzten Ordnung willen. Ein Verbrechen gegen die Armen ist ein Verbrechen gegen JHWH selbst. Der Umgang mit denen, die am Rande der Gesellschaft stehen, erweist sich als Indikator für ein intaktes oder gestörtes Gottesverhältnis.[10]
|141|Politisch sind es vor allem zwei Endpunkte, die im Zentrum der klassischen Prophetie stehen: die traumatisierenden Untergänge von Nord- und Südreich durch die Großmächte Assur (722 v. Chr.) und Babylon (587 v. Chr.). Gerade das babylonische Exil hat die Sicht auf die Unheilspropheten stark verändert, da sich ihre Worte dadurch als wahr erwiesen.[11] Die Geschichte der Eroberung durch die Großmächte wird als Schuldgeschichte Israels verstanden. Im Kontext der Vormachtstellung Assurs berichten Hosea und Jesaja vom Verhalten des Volkes, das JHWHs Zorn stark werden lässt (Hosea spricht vor allem von kultischer Schuld [Hos 8,5Hos 8,5], während Jesaja das Volk beschuldigt, sein Vertrauen nicht in JHWH festzumachen, sondern in der Hilfe durch andere Völker [Jes 30Jes 30]). Die Deutung des babylonischen Exils als Schuld wird am härtesten in Ezechiels Zeichenhandlungen sichtbar, die er selbst erleiden muss (z.B. Ez 4f.). In all ihren Schuldaufweisen, seien sie nun als Mahnung oder retrospektiv als Deutung verkündigt, zeigen die Propheten, dass Israel als auserwähltes Gottesvolk Verantwortung für sein Handeln trägt, welche in der Relation zu JHWH begründet liegt.
Die Wende
Der zentrale Begriff für die Kategorie der Wende ist der prophetische Ruf nach „Umkehr“. Diese Forderung klingt wie eine Mahnung an das Volk Israel, wird aber oft retrospektiv in der Anklage eingesetzt (Am 4,6–11Am 4,6–11; Jes 30,15Jes 30,15; Jer 44,2–6Jer 44,2–6), um zu verdeutlichen, dass es die Fähigkeit zur Umkehr nicht besitzt.[12] Selbst die Stellen, an denen der Umkehrruf als Warnung ausgesprochen wird, zeigen, dass eine Umkehr ohne JHWHs Hilfe kaum gelingen kann (Jer 36,7Jer 36,7).[13] Einhergehend ist damit das illusionslose Menschenbild der Propheten, das stark an einer Abkehr vom Bösen zweifelt (z.B. Jer 13,23Jer 13,23). Trotzdem wendet JHWH sich nicht von seinen Geschöpfen ab. Er ist es, der in seinem Wesen eine Umkehr von begründetem Zorn zur unverdienten Gnade vollzieht (Hos 11Hos 11). Das Übermaß der Gnade JHWHs lässt sich an der Gnadenformel ablesen, welche einen Kristallisationspunkt in der prophetischen Rede über JHWHs Wesen darstellt.[14]Ex 34,6Joel 2,13Jona 3,9
|142|Das Neue
So ist es auch JHWH, der für sein Volk Neuanfänge schafft. Die wohl stärksten Prophetenworte, die davon Zeugnis ablegen, sind bei Deuterojesaja zu finden. Zum Ende des Exils entstanden, versuchen sie, nach der Katastrophe den Blick auf eine hoffnungsvolle Zukunft zu richten. Nicht mehr die Schuld steht im Vordergrund, sondern das Festhalten JHWHs an seinem Volk über den Bruch hinaus. „Tröstet, tröstet mein Volk“ so beginnt die Botschaft des Propheten, die sich als wahre Trostbotschaft erweisen soll (Jes 40Jes 40). JHWH als Subjekt des Trostes meint kein billiges Vertrösten, sondern Taten, welche den Neuanfang vorantreiben. Er, der sein Volk geschaffen hat, lässt es nicht fallen, sondern setzt zu einer Neuschöpfung an (Jes 41,17–20Jes 41,17–20). Auch bei Jeremia und Ezechiel lassen sich in der Rede von einer gottgewirkten Veränderung des menschlichen Herzens (Jer 31,33Jer 31,33; Ez 36,26Ez 36,26) solche Neuanfänge beobachten. Ezechiel geht in seiner Vision von der Auferweckung von Totengebeinen (Ez 37,1–14Ez 37,1–14) noch einen Schritt weiter.
Die Auseinandersetzung mit den Propheten und ihren Botschaften ist so alt wie die Propheten selbst. Ihre Worte wurden gehört und riefen (aufgrund ihrer Sperrigkeit) vermutlich eher Ablehnung hervor. Sie wurden aufgeschrieben, damit sie sich als wahr erweisen und von anderen Propheten interpretierend in ihrer jeweiligen Gegenwart weitergedeutet werden konnten. Ein produktiver Tradierungsprozess nahm seinen Lauf, so dass die Worte ein Gewicht weit über die Situation hinaus bekamen, in die sie hineingesprochen wurden.[15] Heute ist es an uns, diese Worte in unserer Gegenwart zu deuten, damit sie sich weiterhin als das erweisen, was sie sind: „Worte des lebendigen Gottes“.[16]
Didaktische Impulse
Die Propheten (bes. Elija, Jeremia, Amos und auch Jona) sind beeindruckende Persönlichkeiten, die zur Identifikation und Abgrenzung einladen. Sie sollten also nicht als ganz besonders außergewöhnliche Menschen der Geschichte dargestellt werden, zu denen sich nur schwer Bezüge herstellen lassen. Bei jüngeren Schülern haben sich dazu Erzählungen, vgl. z.B. W. Laubi, Geschichten zur Bibel, bewährt. F. Johannsen, Alttestamentliches Arbeitsbuch, stellt die biographischen Daten einzelner Propheten gut brauchbar zusammen.
Wer oder was ist gerecht? Wie ist es und was lohnt, ganz für eine Sache zu leben (Schule, Hobby, Beruf)? Welche „Opfer“ fordert so ein Einsatz (Mühsal des Prophetenamtes z.B. Jer 19Jer 19; 26Jer 26; 36–38Jer 36–38: ausgeschlossen sein von Vielem, Einsamkeit)? Was sind Kraftquellen, um bestimmte Zumutungen |143|auszuhalten? Sind Greenpeace-Aktivisten oder Occupies prophetische Gestalten der Gegenwart? Für ältere Schüler scheinen die Reflexion und Interpretation gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse und Protestphänomene mit Hilfe der Kriterien kritischer Prophetie verheißungsvoll. Unter dieser Perspektive prophetische Zeichenhandlungen (z.B. 1 Kön 11,291 Kön 11,29; Hos 1,4Hos 1,4; Jes 7,3Jes 7,3; 8,3Jes 8,3; Jer 23,6Jer 23,6; Jes 20,1–4Jes 20,1–4) in den Blick zu nehmen, ist besonders reizvoll.
Auch künstlerische Darstellungen von Propheten[17] können die schwere Aufgabe, Prophet zu sein, verdeutlichen.
Berufung, Audition und Vision sollten als tiefe Gotteserfahrung zur Sprache gebracht werden, die sich nicht grundlegend von unseren (Gottes-)Erfahrungen unterscheiden.
I. Baldermann empfiehlt einzelne starke Worte der Propheten[18]Amos 2,6Am 2,7Jer 31,13Jes 43,4Jes 66,13 herauszugreifen und in die Gegenwart sprechen zu lassen, denn diese ermöglichen Interpretation und eigene Urteilsbildung. Anschließend können dann auch bestehende Textzusammenhänge synchron bearbeitet werden, um ein noch tieferes Verstehen anzubahnen.
Für Andere sich stark machen und einstehen, wie weit geht das? Was sind „moderne“ Formen der Fürbitte? Wie weit reicht unsere Verantwortung?
Das prophetische Menschenbild