einen Gott zu vertrauen, der Machtkonzentration und Monopolisierung nicht will. Nicht zuletzt sollte der Text auch von Gen 12 her gelesen werden. In den Verheißungen an Abraham zeigt sich der Heilswille Gottes, der sich einem einzelnen Menschen offenbart und mit der Zusage verbunden ist – über die Grenzen des Bundesvolkes hinaus –, Heil zu stiften für alle Völker (Gen 12,1–3Gen 12,10096>3). Wenn urzeitliche Erzählungen auf die Endzeit verweisen, impliziert die Erzählung vom Turmbau, dass am Ende der Zeit durch Gott auch die Trennung der Völker und ihre mangelnde Fähigkeit zur Verständigung behoben sein werden. In Apg 2Apg 2 wird dies bereits antizipiert, wenn im Bekenntnis zum selben Gott schon in dieser Welt die Gemeinsamkeit gefunden wird, „die Sprache nicht mehr als Trennung erleben lässt“.[7]
Zugänge
Die Erzählung bietet aufgrund ihrer Komplexität und symbolischen Dichte vielfältige Erschließungsmöglichkeiten. Zentrale Zugänge eröffnen sich in einer ästhetisch-symbolhermeneutischen Aneignung des Textes, die in besonderer Weise auf das Gottes- und Menschenbild fokussiert.
Das Bild vom Menschen
Die Turmbauerzählung führt Menschen vor Augen, die sich „einmauern“, „hoch hinaus wollen“ und sogar versuchen, den „Himmel zu stürmen“. Liegt |127|in diesem Handeln letztlich auch die Bedrohung der Menschen, die Grenzen überschreiten und ihr Heil in Allwissenheit und Allmachtstreben suchen?[8] Inwieweit sich diese Sichtweise durch die Kritik einer „fehllaufenden Kulturentwicklung“[9]Gen 11,10096>9 aktualisieren lässt, kann an den Babel-Türmen, die Menschen heute in die Welt setzen, diskutiert werden.[10] Die Geschichte schildert zudem Menschen, die sich nicht verstehen. Die negative Erfahrung, nicht mehr dieselbe Sprache zu sprechen, lässt sich jedoch auch kontrastieren mit der Erfahrung von Sprachenvielfalt als Symbol kultureller Verschiedenheit, die nicht zum Hinderungsgrund von Verständigung werden muss. Von hier zieht sich der Bogen zum Pfingstereignis, von dem in Apg 2,8Apg 2,8 erzählt wird, dass jeder die Botschaft der Apostel in seiner Muttersprache hörte.
Das Bild von Gott
Das anthropomorph gestaltete Gottesbild in Gen 11,1–9 irritiert. So charakterisiert der Text Jahwe als einen Gott, der vom Streben seiner Geschöpfe überrascht wird und sich gar in seiner Göttlichkeit bedroht sieht.[11] Sein Verhalten ähnelt damit dem der kritisierten Großkönige.[12] Auch für das Motiv des vorbeugenden Handelns Gottes, das Schlimmeres für die Menschen verhindern will, lassen sich keine überzeugenden Anhaltspunkte finden. So schließt die Urgeschichte mit dem Eindruck, dass nicht nur die Menschen, sondern auch Gott und die Menschheit getrennte Wege gehen. In diesem Zusammenhang kann erörtert werden, ob das dunkle Gottesbild nicht am Ende die Theodizee-Frage aufwirft: Wie kommt es angesichts Gottes guter Schöpfung zu Verwerfungen, Scheitern und der Erfahrung von Gottesferne? Dass Gott dennoch in Treue zu seiner Schöpfung steht, erschließt sich im Kontext der folgenden Abraham-Geschichte und der des Volkes Israel, die Gott – allen Erfahrungen scheinbar zum Trotz – als den die Menschen Begleitenden und zum Heil Führenden verheißen.
|128|Leseempfehlungen
Baumgart, Norbert Clemens, Art. Turmbauerzählung (2006). In: www.wibilex.de; Zugriff am 01.10.2012.
Peter, Dietmar, Der Turmbau zu Babel. Unterrichtsideen zu den Themen „Befreiung“ und „Verstehen“ im Religionsunterricht der Sekundarstufe I. www.rpi-loccum.de/sek1_peter.html; Zugriff am 01.10.2012.
Schüle, Andreas, Die Urgeschichte (Gen 1–11). ZBK.AT 1/1. Zürich 2009.
Themenheft „Turmbau zu Babel“. KatBl 127 (2002).
Themenheft „Türme: Näher zu Gott?“. Grundschule Religion 51 (2015).
Westermann, Claus, Genesis. 1–11. BKAT 1/1. Neukirchen-Vluyn 31983.
Fußnoten
Vgl. dazu grundlegend: Westermann, 1983, 736, sowie Rad, Gerhard von, Das erste Buch Mose. Genesis. ATD 1/1. Göttingen 111981, 114–118.
Vgl. von Rad, 1981, 117.
Vgl. Berges, Ulrich, Die befreiende Gabe der Vielfalt. KatBl 127 (2002), 248–253, 253.
Vgl. a.a.O., 252.
Vgl. von Rad, 1981, 115.
Vgl. Schüle, 2009, 166.
Scharbert, Josef, Genesis 1–11. NEB.AT 1/1. Stuttgart 62005, 116.
Vgl. Klaiber, Walter, Urgeschichte und Gegenwart. Göttingen 2005, 189.
Baumann, Ulrike, „Die ganze Welt wird dann nämlich zugebaut“. Kinder sprechen über den Turmbau von Babel (Gen 11,1–9). Teil 1: AT. JaBuKi-Sonderband. Stuttgart 2004, 57–70, 57.
So z.B. an der verfremdeten Darstellung des Babel-Turms von Pierre Brauchli, der Brueghels Turmruine in den Kühlturm eines Atomkraftwerks münden lässt.
Auch in der gigantischen Größe mancher heutigen Bauwerke setzen sich Bewusstsein und Streben der babylonischen Turmbauer fort: Die am 11.09.2001 zerstörten Twin-Towers von New York wurden durch das noch höhere „One World Trade Center“ ersetzt, das mit 541m aktuell das höchste Gebäude in den USA ist. Auch das 500m hohe Shanghai World Financial Centre oder das Luxushotel Burj Khalifa in Dubai (828m) als derzeit höchstes Gebäude können als Symboltürme eines politischen und wirtschaftlichen Machtstrebens gesehen werden, das keine Grenzen kennt und unfähig ist, sich selbst in Frage zu stellen.
Vgl. Wuckelt, Agnes, Annäherungen an die Turmbau-Geschichte in der Sekundarstufe 1. KatBl 127 (2002), 269–273.
Vgl. Schüle, 2009, 166.
Erwählung und Bund
Georg Plasger
Erwählung Israels
„Der Gedanke der Erwählung Israels kann als ein Leitmotiv der hebräischen Bibel angesehen werden, das sich durch alle Teile des ATs hindurchzieht, vom Pentateuch bis zu den letzten Propheten. Diese Erwählung geht auf die Väter, insbesondere auf Abraham und Jakob zurück“.[1] Mit diesem grundlegenden und steilen Satz beginnt Schalom Ben-Chorin seine Abhandlung und macht damit sofort auf eine theologisch wie politisch brisante Sache aufmerksam. Denn theologisch ist deutlich, dass das AT durchgehend von der einseitigen Erwählung Israels durch Gott ausgeht und dass diese Erwählung keinen Grund in einer bemerkenswerten Qualität Israels