nachvollziehbaren Grund, aus lauter Liebe ein Gegenüber – und das ist Israel.[4] Und im NT ist es die Kirche, die hinzukommt (vgl. 1 Petr 2,101 Petr 2,10) – |113|und auch der Glaube kommt aufgrund von Gottes Erwählung zustande (vgl. Eph 2,8Eph 2,8). Immer aber hat die Erwählung einen Zweck: im Reden und Handeln zum Zeugen Gottes zu werden (→ Art. Bund/Erwählung).
Gott ist Schöpfer
Gegen eine Tendenz im frühen Christentum, die unzulängliche Welt nicht mit dem allmächtigen Gott in Verbindung zu bringen (so Marcion), legt die Bibel Wert darauf, dass Gott und Welt unlöslich miteinander verbunden sind. Das wird bereits deutlich in den bekannten Schöpfungstexten am Anfang der Bibel. Auch Ps 104 ist ein reiches, buntes und beeindruckendes Lob der Schöpfung (und kann dabei vermutlich Schöpfungsaussagen von Nachbarvölkern aufgreifen), aber der Psalmbeter weiß (Ps 104,35Ps 104,35) um die „deprimierende Gegenerfahrung des Bösen und Rätselhaften in der Welt, um dessen Verschwinden er bittet“.[5] Der Glaube an Gott den Schöpfer ist eng verwoben mit der Bewahrung; darauf liegt übrigens die Betonung der Reformatoren, wenn sie von Gott dem Schöpfer sprechen.[6] Es wäre aber die Bibel noch nicht genau gelesen, wollte man das Schöpferhandeln Gottes nur im AT finden. Einerseits wird im NT mehrfach deutlich gemacht, dass Christus als Schöpfungsmittler fungiert (vgl. z.B. Kol 1,15–20Kol 1,15–20), andererseits können auch die Wunder und Heilungen Jesu schöpfungstheologisch verstanden werden: Jesus Christus ist die Schöpfung untertan, seine Vollmachtszeichen sind in diesem Zusammenhang auch eschatologisch zu verstehen, weil das Reich Gottes in ihm angebrochen ist.
Gott lässt sich nicht festlegen –
oder die bleibende Gültigkeit des zweiten Gebots
Auffällig ist, dass die Bibel konkret von Gott redet. Er wird im Regelfall weder als allmächtig oder allgegenwärtig benannt, es wird nicht von Gottes „An-sich-Sein“ (lat. aseitas) geredet noch von seiner Unendlichkeit. In der Bibel aber wird vor allem von Gott erzählt – jedes Beispiel hier zu nennen bedeutet andere wichtige auszulassen. Die fantastisch gestaltete Josephsnovelle endet mit einem Hinweis, wie hinter allem Durcheinander Gottes Leiten steht: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen“ (Gen 50,20Gen 50,20). Die Exoduserzählung spannt einen großen Bogen und zeigt Gott als Befreier (Ex 3,14–20Ex 3,14–20), als Adler, der sein Volk auf seinen Flügeln trägt (Ex 19,4Ex 19,4), als Gebieter, der die 10 Gebote gibt (Ex 20Ex 20), aber auch als eifersüchtig (Ex 20,5f.). |114|Auch die Propheten zeigen Gott als Handelnden, der das Volk, das er erwählt, auch bestraft – und gerade im Buch des Propheten Hosea ist dann überraschend, wie sehr Gott nicht allein als strafend auftritt, sondern anschließend wie ein Liebhaber um sein Volk Israel buhlt (beides etwa in Hos 2Hos 2 zu sehen).
Auch das NT weicht von diesem Grundcharakter nicht ab: Die Evangelien erzählen wenig vom „Sein“ Jesu Christi, sondern berichten von seinen Taten, und auch die Briefliteratur reflektiert vor allem die Bedeutung dessen, dass Gott in Jesus Christus gehandelt hat. Das in großen Teilen der Christenheit vernachlässigte Bilderverbot nimmt diesen Gedanken der Konkretheit auf. Es ist ja auffällig, dass einerseits in der Bibel Gott mit einer Fülle von Bildern beschrieben wird. So ist Gott beispielsweise Hirte (Gen 49,24Gen 49,24; Ps 23,1–4Ps 23,1–4), Henne (Mt 23,37Mt 23,37), Richter (Ps 7,9Ps 7,9), Arzt (Ex 15,26Ex 15,26), Vater (Ex 4,22Ex 4,22) und Mutter (Num 11,12Num 11,12) – sie beschreiben vor allem das grundlegend menschenfreundliche Verhalten Gottes. Und andererseits warnt das Bilderverbot davor, sich Bilder von Gott zu machen. Ein Widerspruch? Nein. Denn die Funktion des Bilderverbots besteht darin, Gott nicht auf ein bestimmtes normierendes Bild festzulegen. Deswegen steht jede Begrifflichkeit (wie auch jede förmliche Abbildung) immer in Gefahr, zur Einseitigkeit zu werden, wenn man nicht immer wieder die Pluriformität und Pluralität des biblischen Redens von Gott als Korrektiv verwendet.
Gott rettet – ein Grundzug des Handelns Gottes
Es ist nötig, die Konkretheit der biblischen Zusammenhänge nie außen vor zu lassen, wenn von Gott geredet wird. Andererseits – und das ist die Aufgabe der Dogmatik – gilt es, grundlegende Linien des Handelns Gottes zu verstehen. Dabei kann es nicht darum gehen, diese Linien an die Stelle der konkreten Erzählungen zu setzen, sondern Zusammenhänge zu sehen. Die Grundlinie der Bibel ist das rettende Handeln Gottes. Die von Gott geschaffene Welt wird immer als bedrohte Welt geschildert. Israel ist bedroht – durch seine Nachbarn, aber vor allem durch sich selbst. Auch das NT zeigt uns den bedrohten Menschen – noch stärker als das AT zeigt es den letztlich durch sich selbst bedrohten Menschen, der nicht in Einklang mit Gottes Willen und damit auch nicht im Frieden mit sich selber lebt (= Sünde). Was ist nun das Kennzeichen Gottes angesichts dieser aussichtslos erscheinenden Situationen? Gott erbarmt sich der Menschen, er kommt, sie zu retten, sie nicht dem Verderben zu überlassen. Auch die Propheten (vielleicht von Amos einmal abgesehen), die von Gottes Zorn über Israel wissen (z.B. Hosea), sehen den Zorn Gottes letztlich als Moment seines rettenden Handelns. Die Rede vom Zorn Gottes bei Paulus (Röm 1–3Röm 1–3) führt zur Rettung, zur Rechtfertigung des Gottlosen. Es ist deshalb kein Zufall, dass aus christlicher Perspektive die Mitte des rettenden Handelns Gottes in der Person des gekommenen Messias gesehen wird – Jesus heißt übersetzt „Gott rettet“.
|115|Aber auch Gottes dunkle Seiten[7] sind zu sehen: Erfahren wird nicht selten Gottes Willkür und Gewalttat, der in der Bibel beschriebene militante Gott ist oft schwer in Verbindung mit dem Grundzug des rettenden Handelns zu bringen. Aus dieser Schwierigkeit kommen wir prinzipiell nicht heraus. Es hilft übrigens nicht, Gott – wie M. Luther es vorgeschlagen hat – in einen verborgenen (deus absconditus) und einen offenbaren Gott (Jesus Christus) aufzuteilen. Dieser Vorschlag führt letztlich zur Frage, ob Jesus Christus denn der „eigentliche“ Gott sei – oder nur Gottes uns zugewandte Seite, hinter der noch ganz Anderes steckt. Erklären lässt sich Gott letztlich nicht. Es bleibt die in Jesus Christus verbürgte Hoffnung: „Darum wird das Erscheinen des Richters, des Weltenrichters, nun tatsächlich die Aufgabe erfüllen, die das AT diesem Amt zugedacht hat, die Aufrichtung des endgültigen Schalom, einer Friedensordnung, die mehr ist als Abwesenheit von Krieg, nämlich jener […] Zustand, in dem wir ‚Leben und volles Genüge‘ haben sollen [Joh 10,10Joh 10,10], in dem die Nähe des anderen nicht mehr als Bedrohung und Konkurrenz, sondern als hilfreiche Nachbarschaft erfahren wird, weil Gott selbst unser Nachbar geworden ist“.[8]
Der dreieine Gott
Obgleich uns trinitarische Formeln in der Bibel begegnen (z.B. Mt 28,19Mt 28,19; 2 Kor 13,132 Kor 13,13), kennt sie keine ausgeführte Trinitätslehre.[9] Und doch sind die Beschlüsse der Alten Kirche zur Dreieinigkeit Gottes (Nicäno-Konstantinopolitanum) und zum Verhältnis der Naturen in Christus (Chalcedonense) als Kommentare zur Bibel zu sehen. Der Weg Gottes ist der Weg Jesu Christi und anders als im Kommen Gottes in Jesus Christus konnten die ersten Christen nicht mehr von Gott reden. Für die Verfasser des NTs war ein Verständnis der Schrift (nämlich des ATs) gar nicht mehr ohne den gekommenen Messias möglich. Und deswegen ist der Sohn von Ewigkeit her Sohn Gottes und nicht erst dazu gemacht worden (so jedenfalls formulieren direkt oder indirekt viele neutestamentliche Texte, vgl. Joh 1,1–18Joh 1,1–18; Kol 2,1–15Kol 2,1–15; die Taufe Jesu in Mk 1Mk 1 wird zwar immer wieder als Adoptionstext verstanden, er zeigt indes eher eine Proklamation.[10] Und das heißt: Aus christlicher Perspektive ist der im AT bekannte Gott immer schon der dreieinige Gott und nicht allein der Vater Jesu |116|Christi. Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes kann so auch viele Aspekte integrieren: Gott ist immer schon ein Gott in Beziehung; Gott brauchte die Schöpfung als Gegenüber nicht, um Gemeinschaft zu leben – er wollte sie aber. Gott selber verbündet sich unauflöslich mit dieser Welt, weshalb sie nicht mehr als gottlos zu verstehen ist. Im Heiligen Geist wendet sich Gott der Welt und den einzelnen Menschen auch heute individuell zu. Die Trinitätslehre ist auch deshalb eine Hilfe zum Verständnis der Bibel, weil sie nicht von der abstrakten Zahl „eins“ ausgeht, sondern den einen sich der Welt rettend zuwendenden Gott bekennt.
Gott im Religionsunterricht
Das biblische Zeugnis von Gott und die menschliche und natürlich