Kirsten Adamzik

Sprache: Wege zum Verstehen


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zur Fabrikation meiner Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige Zeit zu gewinnen. Dabei ist mir nichts heilsamer, als eine Bewegung meiner Schwester, als ob sie mich unterbrechen wollte; denn mein ohnehin schon angestrengtes Gemüt wird durch diesen Versuch von außen, ihm die Rede, in deren Besitz es sich befindet, zu entreißen, nur noch mehr erregt, und in seiner Fähigkeit, wie ein großer General, wenn die Umstände drängen, noch um einen Grad höher gespannt.

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      Die emotionale Funktion

      Die meisten Fälle, in denen jemand laut spricht, ohne sich an andere zu wenden, dürften allerdings nicht in diese Kategorie gehören. Viel gängiger sind nämlich Lautäußerungen als Ausdruck eines emotionalen Zustandes. Gemeint sind damit weniger die Gefühlslaute, die dem Ausdruck von Schmerz, Schreck, Überraschung usw. dienen, allerdings unwillkürlich hervorgebracht werden. Vielmehr ist hier an Äußerungen z.B. des Unmuts zu denken, die sich sogar zu elaborierten Schimpftiraden auswachsen können. Höfliche bzw. beherrschte Personen ersparen anderen, dies mit anhören zu müssen und wählen deshalb absichtlich eine Situation, in der sie allein sind. Die Funktion dieser Gefühlsäußerungen ist gut vergleichbar mit der bestimmter körperlicher Reaktionen wie mit den Füßen trampeln, gegen die Wand schlagen, Geschirr auf den Boden werfen usw.; sie dienen (recht wirksam) der Abfuhr von Energie, der psychischen Entlastung. Man will diese Gefühle nicht kommunizieren, sondern bloß loswerden. Hier können wir von der emotionalen Funktion von Sprache sprechen.

      Verschiedene Funktionen kommen gemeinsam vor

      Freilich schließen sich die emotionale und die kommunikative Funktion keineswegs aus, vielmehr kommen sie oft gemeinsam vor. Manche warten ja z.B. sehnlichst darauf, dass der Bösewicht endlich erscheint, damit sie in seiner Gegenwart Geschirr gegen die Wand und ihm Schimpfwörter an den Kopf werfen können – worin man wiederum einen Grenzfall sprachlicher Kommunikation sehen kann. Eine ausgebaute kommunikative Funktion psychisch zugleich entlastender Rede finden wir, wenn man jemandem von seinem Freud und Leid erzählt. Wir brennen ja oft geradezu darauf, dass jemand kommt, mit dem wir sprechen, dem wir etwas erzählen, bei dem wir uns aussprechen können. Und natürlich ist dabei zugleich die kognitive Funktion relevant: Wir hoffen ja wohl, dass wir z.B. beim und durch das Besprechen einer schwierigen Situation auf neue Gedanken zur Lösung kommen, dass wir sie auf diese Weise aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachten können und sie sich uns dann vielleicht anders darstellt.

      Die Informationsfunktion

      Damit kommen wir noch einmal auf die Funktion zurück, die wir oben als die informative bezeichnet haben. Was ist Information? Im Alltagsgebrauch wird dieses Wort oft als Mitteilung über einen Sachverhalt verstanden, wobei eigentlich vorausgesetzt ist, dass dieser Sachverhalt auch existiert, die Information also eine wahrheitsgemäße Mitteilung ist. Entsprechend gibt es zu Ausdrücken wie Fehl- oder

      Sprache bildet die Welt nicht ab

      Desinformation auch keine positiven Gegenbegriffe wie Wahr-, Richtiginformation|33◄ ►34| oder dergleichen. Dass eine Information einen Sachverhalt korrekt wiedergibt, ist normalerweise impliziert. Dennoch würden wir nicht zögern, die Mitteilung, Verona Feldbusch wolle nicht mit einer Lampe von Ikea in Verbindung gebracht werden, als eine (Zeitungs-) Information zu bezeichnen, selbst wenn wir skeptisch sind, ob es auch wirklich so war, wie es in der Zeitung stand. Man kann Information also auch verwenden im Sinne von ›Aussage oder Aussagenkomplex, über dessen Korrespondenz zur Wirklichkeit nicht entschieden ist‹. Sicher ist, dass es sehr viele Aussagen und Mitteilungen gibt, die falsch sind; schwieriger ist es schon zu entscheiden, ob es auch Aussagen gibt, die wahr sind. Das würde nämlich eigentlich voraussetzen, dass eine Aussage einem Sachverhalt exakt korrespondieren kann, und das wiederum setzt voraus, dass die Sprache bzw. sprachliche Äußerungen die Wirklichkeit abbilden. Aber was sollte das bedeuten? Wie kann es eine exakte Korrespondenz zwischen wesensmäßig so unterschiedlichen Phänomenen wie einem außersprachlichen Sachverhalt und einer sprachlichen Aussage geben? Man denke in diesem Zusammenhang an das berühmte Bild von Magritte, das den Umschlag dieses Buches schmückt: Ceci n’est pas une pipe.

      Wenn wir zugestehen wollen, dass es doch eine solche Korrespondenz geben könnte, stellt sich eine weitere Frage: In welcher Sprache könnten Aussagen diese exakte Korrespondenz zur Wirklichkeit aufweisen? Es lassen sich doch oft genug Aussagen aus verschiedenen Sprachen nicht einmal exakt ineinander übersetzen, welches sollte also die ›richtige‹ sein? Dann stellt sich ein weiteres Problem: Was machen wir mit den vielen falschen Aussagen? Diese bilden die Wirklichkeit ja nun ganz gewiss nicht ab. Schließlich sind wir auch noch oft mit Aussagen konfrontiert, die weder ganz wahr noch ganz falsch sind – tendenziösen, irgendwie gefärbten, die den Sachverhalt in einem bestimmten Licht erscheinen lassen, wie sie Karl Kraus (Textbeispiel 7) aufs Korn nimmt: Wie kann eine Verteilung keine ideale sein, wenn sie nicht einmal eine reale war?

      Fazit: Wenn wir daran festhalten wollen, dass wir sprachliche Äußerungen zur Informationsübermittlung benutzen können (und das sollten wir sicherlich tun), dann müssen wir uns darüber klar sein, dass mit Information nicht ›korrekte Abbildung eines Sachverhalts‹ gemeint sein kann. Äußerungen geben bestimmte Bilder über Sachverhalte, sie stellen sie irgendwie dar, falsch, richtig, irgendetwas dazwischen … Außerdem kann man natürlich auch Sachverhalte darstellen, die gar nicht existieren; man kann ja auch Bilder von Einhörnern malen – und Geschichten über diese Wesen erzählen.

      Karl Bühler: Das Organonmodell

      Textbeispiel 7: Philosophie des Mangels

      Ein ungarischer Journalist behauptet, der Präsident des deutschen Kriegsernährungsamtes habe zu ihm gesagt:

      Die Verteilung der Lebensmittel war bisher keine ideale … Gegen den Fleischmangel kann man leider gegenwärtig nichts tun, da die zur Verfügung stehende Menge gering ist.… Von einem drohenden Fleischmangel ist keine Rede. Der Verbrauch an Kartoffeln ist jetzt größer, weil wir an den anderen Lebensmitteln keinen Überfluß haben.

      Solche Verwirrung entsteht, wenn die Arbeit von guten Reden begleitet wird. Wenn von einem drohenden Fleischmangel keine Rede ist, so hätte der Präsident des deutschen Kriegsernährungsamtes sie auch nicht halten sollen. Denn er wollte doch wohl nicht sagen, daß von einem drohenden Fleischmangel deshalb keine Rede sei, weil er selbst einen schon bestehenden zugegeben hat, gegen den man nichts tun könne, »da die zur Verfügung stehende Menge gering ist« oder, um eine andere Definition des Mangels zu geben, da wir »keinen Überfluß haben«. Auch könnte selbst eine Weltanschauung, die die Lebensmittel ideologisch verklärt, von deren Verteilung unmöglich sagen, sie sei keine ideale gewesen, wenn sie nicht einmal eine reale war. Es ist ja schwer, an jedem Symptom die Wurzel des Übels aufzuzeigen. Aber wenn die Führenden plötzlich einsehen wollten, daß sie durch den Umgang mit den Schreibenden das Kraut nicht fett machen, traun, es würde von selbst wieder fett!

      Meine Anregung

      geht dahin, das Ernährungsamt, das vielerlei Agenden haben dürfte, in ein Oberernährungsamt und in ein Unterernährungsamt einzuteilen.

      Darstellungsfunktion, Ausdrucks- /Symptomfunktion, Appellfunktion

      Das, was die Beziehung zu den Dingen, zur außersprachlichen