Kirsten Adamzik

Sprache: Wege zum Verstehen


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Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht; […] wir werden sie Semeologie (von griechisch sēmeîon »Zeichen«) nennen. Sie würde uns lehren, worin die Zeichen bestehen und welche Gesetze sie regieren. Da sie noch nicht existiert, kann man nicht sagen, was sie sein wird. Aber sie hat Anspruch darauf, zu bestehen.3

      Semiotik

      Die hier von Saussure konzipierte allgemeine Wissenschaft von den Zeichen hat sich tatsächlich etabliert und wird heute meist mit dem Terminus Semiotik belegt. Wir wollen uns daher im Folgenden zunächst allgemein der Frage zuwenden, ›worin Zeichen bestehen‹, und später Saussures eigene Überlegungen zur Natur des sprachlichen Zeichens vorstellen.

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      4 Zeichen: Von Sinneswahrnehmungen zu Interpretationen

      Wie unterscheidet man Sprachliches von Nicht-Sprachlichem?

      In Kapitel 2 haben wir festgestellt, dass Einzelsprachen keine unmittelbar gegebenen Größen sind. Wir gehen davon aus, dass sprachliche Systeme in irgendeiner Weise in den Köpfen der Sprecher gespeichert sind und versuchen in der Linguistik, diese Systeme zu rekonstruieren. Unmittelbar zugänglich sind jedoch nur sprachliche Äußerungen. Außerdem haben wir gesehen, dass es gar nicht immer so einfach ist zu sagen, welcher langue ein solcher Parole-Akt zuzuordnen ist. Wir wollen diese Überlegung nun noch etwas fortsetzen und die Frage stellen, ob wir wenigstens unmittelbar darüber entscheiden können, dass es sich bei etwas Wahrgenommenem um eine sprachliche Äußerung handelt, dass langage im Spiel ist. Wie nehmen wir Parole-Akte wahr?

      Sprachliches kann man hören und sehen

      Sprachliche Äußerungen kommen im Wesentlichen in zwei Erscheinungsformen vor, die wir mit unterschiedlichen Sinnesorganen verarbeiten: Mit dem Gehörorgan, auditiv, nehmen wir gesprochene Sprache wahr. Mit dem Sehorgan, visuell, nehmen wir geschriebene Sprache wahr, die man – je nachdem welches Material verwendet wurde – teilweise auch ertasten kann. Auditiv und visuell nehmen wir aber viel mehr wahr als nur Parole-Akte, nämlich alle Arten von hör- bzw. sichtbaren Erscheinungen. Wie filtern wir daraus Sprachliches heraus? |16◄ ►17| Denn es kann ja tatsächlich Unsicherheiten und Verwechslungen geben, wie z.B. die folgenden Zeilen aus Goethes Erlkönig zeigen:

      Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,

      Was Erlenkönig mir leise verspricht? –

      Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind!

      In dürren Blättern säuselt der Wind. –

      Der Vater identifiziert das Geräusch hier gar nicht als eines, das von einem sprachfähigen Wesen (wozu wir im Allgemeinen nur die Menschen zählen) produziert wurde. Wir können allgemein also schon einmal feststellen: Unter den vielen Geräuschen, die wir wahrnehmen, kommen wohl nur solche als sprachliche Äußerungen infrage, die Menschen erzeugt haben.

      Nicht-sprachliche Geräusche

      Menschen erzeugen aber auch nichtsprachliche Geräusche, z.B. wenn sie husten, schmatzen, schnarchen, vor Schmerz schreien oder in die Hände klatschen. Manche von diesen Geräuschen kommen unwillkürlich (husten) oder sogar unwissentlich (schnarchen) zustande, andere werden absichtlich produziert. Als sprachlich würden wir gewiss nur absichtlich erzeugte Geräusche ansehen, genauer gesagt: Geräusche, die eine Bedeutung haben, die nämlich in der Absicht erzeugt werden, dass jemand ihnen einen Sinn zuschreibt, sie als sprachliche Mitteilungen deutet und entschlüsselt.

      Auch nicht-sprachliche Geräusche können Bedeutung tragen

      Mit dieser Bestimmung können wir aber immer noch nicht Parole-Akte von allen anderen Geräuschen sicher abgrenzen. Man kann nämlich nicht nur sprachlichen Äußerungen einen Sinn zuschreiben, und nicht nur diese werden in der Absicht produziert, dass sie interpretiert und verstanden werden. So kann man z.B. auch absichtlich husten, um jemandem deutlich zu machen, dass er gerade etwas ganz Unpassendes sagt, oder schmatzen, um auszudrücken, dass einem das Essen schmeckt. Auch wer unwillkürlich hustet oder schmatzt, kann nicht verhindern, dass ein anderer dies deutet, etwa als Hinweis auf eine Erkältung oder schlechte Erziehung. Tatsächlich sind sprachliche Äußerungen nur Sonderfälle von Zeichengebrauch.

      Etwas ist nicht Zeichen ›an sich‹, es wird als Zeichen interpretiert

      Bevor wir klären, worin ihre Besonderheit denn nun besteht, bleiben wir zunächst noch allgemein beim Phänomen der Zeichen, denn was für Zeichen überhaupt gilt, gilt auch für sprachliche Zeichen. Wenn man von Zeichen spricht, denkt man oft zunächst an fixierte wahrnehmbare Produkte, denen konventionell eine bestimmte Bedeutung zukommt, z.B. an Verkehrszeichen, aber eben auch an

      Der Zeichenprozess

      Schriftzeichen, also Buchstaben. Wir verhalten uns dann so, als ob ein Zeichen direkt an seiner äußeren Gestalt als solches erkennbar wäre, als wenn Zeichen eine bestimmte Untergruppe wahrnehmbarer Objekte wären. Tatsächlich kann jedoch jedes beliebige Phänomen wie ein Zeichen behandelt oder aufgefasst werden, so z.B. wenn jemand |17◄ ►18| das, was er am Himmel sieht, als Zeichen für ein nahendes Gewitter deutet (das dann vielleicht gar nicht kommt) oder bestimmte Linien auf einer Landkarte als Geheimzeichen für einen verborgenen Schatz interpretiert (obwohl es sich vielleicht nur um Abdrücke irgendwelcher Gegenstände handelt, die lange darauf gelegen haben), oder wenn er schließlich ein bestimmtes grafisches Gebilde als ein Wort identifiziert (obwohl es sich vielleicht nur um Gekrakel handelt, das jemand beim Ausprobieren eines Füllers produziert hat). Etwas ist also nicht ›an sich‹ ein Zeichen, sondern es wird zu einem solchen immer nur für jemanden, es realisiert sich nur im Rahmen eines Interpretationsprozesses. Selbst sprachliche Äußerungen können nur dann als Zeichen funktionieren, wenn es auch jemanden gibt, der sie als Parole-Akte deutet und sie auf Grund seiner Sprachkenntnis entschlüsseln kann.

      Auf dieser Grundlage können wir nun Zeichenprozesse zunehmend differenzieren bis hin zur Ebene sprachlicher Zeichen:

      Ein Interpret deutet seine Wahrnehmung

      – Damit ein Zeichenprozess zustandekommen kann, bedarf es erstens eines physischen Phänomens, das wahrnehmbar ist, und zweitens eines Interpreten, der seine Wahrnehmung zu deuten versucht. Das physische Phänomen als Bestandteil eines Zeichenprozesses wollen wir im Folgenden Zeichenträger oder Zeichenkörper nennen.

      Ein ZeichenSetzer produziert etwas als Zeichen

      – Damit von kommunikativem Zeichengebrauch die Rede sein kann, bedarf es außerdem auch noch eines »Zeichen-Setzers«, d.h. das physische Phänomen muss von jemandem absichtlich als Zeichenträger benutzt worden sein; er muss ihm seinerseits eine Bedeutung zugeordnet haben, etwas Bestimmtes damit gemeint haben.

      Deiktische und ikonische Zeichen

      Auch wenn man über keine gemeinsame Sprache verfügt, kann man sich bei Vorliegen dieser elementaren Gegebenheiten bereits verständigen, wie z.B. die Begegnung zwischen Robinson und Freitag (Textbeispiel 4) zeigt. Dabei wird man im Wesentlichen zwei Arten von Zeichen verwenden. Erstens kann man Zeigegesten benutzen. Dies tut man z.B. oft beim Einkaufen in Ländern, deren Sprache man nicht beherrscht: man zeigt dann einfach auf das, was man will. Solche Zeichen nennt man deiktische (von griech. deiknynai ›zeigen‹). Zweitens wird man auf solche Zeichenträger zurückgreifen, die in einer natürlichen oder jedenfalls leicht erratbaren Beziehung zum Gemeinten stehen, z.B. ein Gähnen, um zu zeigen, dass man müde ist, eine Zeichnung, die den gemeinten Gegenstand abbildet oder auch eine Lautung, die ein natürliches Geräusch nachahmt (z.B. kann man ein Bellen imitieren, um mitzuteilen, dass ein Hund in der Nähe ist). Solche Zeichen, bei denen die Zeichenkörper Abbildcharakter haben, nennt man ikonische Zeichen (von griech. eikon ›Abbild‹).

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      Textbeispiel 4: Ich verstand ihn ganz gut

      Zwischen den Wilden und meiner Festung lag die Bucht. Über diese musste der Flüchtende schwimmen, wenn er nicht wieder eingefangen werden wollte. Er zögerte auch keinen Augenblick – obwohl die Flut hoch stand –, sprang