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Abb. 2: Die 20 bedeutendsten Sprachen
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Abb. 3: Die indoeuropäische Sprachfamilie
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3 Sprache als System
Sprachreflexion
Das Nachdenken über die menschliche Sprache ist – dies zeigen nicht zuletzt die biblischen Berichte – sicher ebenso alt wie die menschliche Sprache selbst. Zum Nachdenken und Sprechen über die Sprache kommt man auf ganz natürlichem Wege schon beim Lernen der Sprache – sei es der Mutter- oder einer Fremdsprache. Und gerade die praktischen Bedürfnisse des Sprachunterrichts haben auch schon früh vielfältige Bemühungen um die mehr oder weniger systematische Beschreibung von Einzelsprachen hervorgebracht.
Linguistik
In diesem Abschnitt soll es uns jedoch um die neuere Zeit gehen, jene Zeit, in der man von wissenschaftlicher Sprachbeschreibung im modernen Sinne spricht und sich die Disziplin der Linguistik, wie es heute meist heißt, etabliert. Welche der verschiedenen Bedeutungen von Sprache und welche Fragestellungen rückten dabei ins Blickfeld?
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Die Ausbildung der Wissenschaft von der Sprache fällt in das 19. Jahrhundert. Dabei richtete sich die Aufmerksamkeit auf die eben besprochenen
Die historischvergleichende Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts
Sprachverschiedenheiten und den Sprachwandel. In dieser Zeit herrschte nämlich eine Forschungsrichtung vor, die als historisch-vergleichende Sprachwissenschaft oder auch Indogermanistik bezeichnet wird. Was kennzeichnet diese sprachwissenschaftliche Schule? Ende des 18. Jahrhunderts hatte man erkannt, dass nicht nur die meisten europäischen Sprachen miteinander verwandt sind, sondern dass eine Verwandtschaft u.a. auch mit dem Sanskrit vorliegt. Dies ist die Sprache sakraler Schriften des Altindischen, die möglicherweise schon im 2. vorchristlichen Jahrtausend entstanden sind. Nach dieser faszinierenden Entdeckung, dass Sprachen, die sowohl geografisch als auch historisch weit voneinander entfernt sind und sich auf den ersten Blick auch keineswegs ähneln, doch miteinander verwandt sein können, setzte man sich zum Ziel, die Verwandtschaftsverhältnisse und die historische Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen insgesamt zu erforschen – und dabei möglicherweise sogar die indogermanische Ursprache zu rekonstruieren. Einen besonderen Aufschwung erlebte diese Forschungsrichtung, als man glaubte nachweisen zu können, dass die Auseinanderentwicklung verschiedener Sprachgruppen und Dialekte durch regel-, ja gesetzmäßige Lautentwicklungen (Lautgesetze) zustandekommt. Um dies systematisch untersuchen zu können, wandte man sich auch den zeitgenössischen Dialekten zu. Im 19. Jahrhundert stehen also Sprachverwandtschaft, dialektale Sprachvariation und Sprachwandel im Zentrum des sprachwissenschaftlichen Interesses.
Saussures Neuansatz
Ferdinand de Saussure, der die Termini langage, langue und parole eingeführt hat, ist in der Schule der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft ausgebildet worden und war in Genf seit 1891 als professeur ordinaire de sanscrit et de langues indo-européennes tätig. Die große Bedeutung, die er für die Entwicklung der Linguistik hat, rührt jedoch gerade nicht aus der durchaus wichtigen Arbeit her, die er im Rahmen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft geleistet hat. Vielmehr ist er dadurch zum Begründer der modernen Linguistik geworden, dass er dieser Forschungsrichtung einen Neuansatz gegenübergestellt hat. Die Überlegungen, die ihn dabei geleitet haben, könnte man grob folgendermaßen zusammenfassen:
Das wichtigste Merkmal der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft besteht darin, dass sie immer mehrere Sprachen und Varietäten zugleich untersucht und z.B. die Frage stellt, wie ein und derselbe Laut (d.h. eine [rekonstruierte] Ausgangsform) sich in verschiedenen Dialekten präsentiert und wozu er sich im Laufe der Zeit entwickelt. Nun ist es aber für einen Sprecher, der jemandem zu einem gegebenen Zeitpunkt irgendetwas mitteilen will, eigentlich gleichgültig, wie die Laute der Einzelsprache, die er benutzen möchte, früher einmal geklungen haben oder später einmal klingen werden. Es ist auch nicht notwendig zu wissen, welche Worte es in irgendwelchen anderen |12◄ ►13| Dialekten seiner Sprache für das gibt, worüber er sprechen will, oder wie gleiche Wörter dort ausgesprochen werden. Alle diese Informationen sind erstens für die praktische Kommunikation kaum von Belang, und zweitens sind sie dem Durchschnittssprecher auch großenteils unbekannt. Und das schadet nichts, denn ein solches Wissen braucht man keineswegs, wenn man sich seiner grundlegenden Sprachfähigkeit (langage) bedienen will. Um effektiv kommunizieren zu können, reicht es durchaus, eine einzelne geografische Varietät einer einzelnen Sprache zu kennen, und zwar in der einen ›Fassung‹, in der sie zum gegebenen Zeitpunkt üblich ist. Ja, es ist sogar in bestimmtem Ausmaß notwendig, dass eine Sprachgemeinschaft sich zu einem gegebenen Zeitpunkt gewissermaßen auf eine bestimmte Ausprägung der jeweiligen Sprache ›einigt‹, dass für die Kommunikation also ein einheitliches Bezugssystem gegeben ist.
langue – das Sprachsystem
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