Historians die Fähigkeit, den bereits vorhandenen geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisstand aufzuarbeiten und gegebenenfalls auch selbst zu forschen, um in einem zweiten Schritt die Ergebnisse für ein nicht fachwissenschaftlich vorgebildetes Publikum verständlich und anschaulich in verschiedenen Medien aufzubereiten. Somit kann Public History originäre Beiträge zur Geschichtsschreibung und Geschichtskultur leisten.
Public Historians sollten daher fachwissenschaftlich mit Texten, Bildern, Filmen, Tondokumenten und Objekten als Quellen umgehen können. Sie sollten die Quellen aber auch professionell als Vermittlungselemente in Präsentationen wie einem Film, einer Radiosendung, einer Ausstellung, einem Buch oder einer Website einsetzen können. Dafür wiederum werden die geschichtswissenschaftlichen Methoden der Textanalyse, aber auch der Oral History, Visual History, Material Culture und auch der Sound History benötigt. In diesem Buch ist diesen Zugängen jeweils ein eigenes Unterkapitel gewidmet (siehe Kapitel 3). Darüber hinaus wird die Geschichtsdidaktik hier im konkreten Bezug zur Public History einbezogen (siehe Kapitel 2). Public History verknüpft somit verschiedenste Methoden, sowohl in der Forschung als auch in der Konzeption neuer Geschichtsdarstellungen.
Bei der Entwicklung entsprechender Darstellungen agieren Public Historians häufig als Dienstleister für öffentliche oder private Auftraggeber. Dabei müssen wissenschaftliche Ansprüche mit kommerziellen Anforderungen und inhaltlichen Vorgaben abgestimmt werden, was eine der größten Herausforderungen der Public History darstellt. Annäherungen an entsprechende Standards werden im Kapitel 6.4 vertiefend erläutert.
Diese Geschichtsdarstellungen, die für private oder öffentliche Auftraggeber entwickelt werden, sollen sich an die Öffentlichkeit richten. Diese versteht Jörg Requate als Raum, der sich durch Kommunikation konstituiert.37 Die kommunizierten Themen sind von allgemeinem Interesse, der Kommunikationsraum ist allgemein zugänglich und alle können sich aktiv oder passiv beteiligen. Die Akteur*innen lassen sich nach Arne Schirrmacher hinsichtlich ihres Vorwissens in verschiedene Gruppen unterteilen: (1) „breite Öffentlichkeit“, (2) „gelegentlich interessierte Öffentlichkeit“, die (3) „gebildete Öffentlichkeit“, die (4) „Fachöffentlichkeit“, die (5) „Fachkreise außerhalb des engeren Forschungsgebiets“ und schließlich die (6) „Fachwissenschaft“.38 Wie oben erläutert, zielen die Präsentationen der Public History vor allem auf ein außeruniversitäres Publikum und damit auf die Gruppen 1 bis 4. Die Präsentationen sind somit in der Regel an ein Publikum gerichtet, das über wenig oder gar kein Vorwissen über die dargestellte Geschichte verfügt. Da sich das Zielpublikum nicht professionell, also während der Arbeitszeit, mit Geschichtsdarstellungen auseinandersetzt, bleibt nur die Freizeit. Diese wiederum ist für viele Menschen sehr begrenzt und dient nicht nur der Aufnahme von Informationen, sondern primär der Entspannung und Unterhaltung. Der Wunsch nach Unterhaltung kann auch als „anthropologische Konstante“39 verstanden werden. Unterhaltung ist nach Werner Faulstich
„die anstrengungslose Nutzung geschichtlich unterschiedlich formativer Erlebnisangebote, um im je spezifischen kulturell-gesellschaftlichen Kontext disponible Zeit genüsslich auszufüllen“.40
Die zentralen Merkmale der Unterhaltung werden mit den Adjektiven „anstrengungslos“ und „genüsslich“ beschrieben. Kaspar Maase bezeichnet Unterhaltung auch als das Gegenteil von Monotonie und Mühe. „Aufmerksamkeit, Konzentration, auch intellektuelle Anstrengung“ seien als Komponenten von Unterhaltung zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht unverzichtbar. Maase erachtet zusätzlich eine „Kennerschaft“ als unabdingbar, denn nur was verstanden wird, könne auch unterhalten.41 Unterhaltung und Information schließen sich somit nicht aus, sie treten vielmehr, wie im Fall von Geschichtspräsentationen, gemeinsam auf.
Deshalb werden Public History-Darstellungen häufig so konzipiert, dass die komplexen historischen Zusammenhänge sowohl verständlich als auch interessant bzw. unterhaltsam und anschaulich aufbereitet werden, sodass sie in relativ kurzer Zeit und ohne viel Vorwissen konsumiert werden können. Gleichzeitig hat Public History jedoch eine aufklärerische Aufgabe. Deshalb muss sie sich regelmäßig die Frage stellen, wie wissenschaftliche Forschungsergebnisse in andere Medien überführt, dafür gekürzt, verändert und mit zusätzlichen Materialien versehen werden können, ohne dabei unseriös zu werden. Wie kann ein sorgfältiger, kontrollierbarer, transparenter und unparteilicher Umgang mit den Quellen gewährleistet werden? Wie lässt sich sicherstellen, dass die Autorenschaft des jeweiligen Beitrages eindeutig ausgewiesen ist? Und wie kann eine Präsentation, in der all diese Anforderungen erfüllt sind, immer noch interessant und unterhaltend sein?
Die verschiedenen hier angedeuteten Ansätze zeigen, dass Public History sowohl als akademisches Forschungsfeld betrieben als auch ein Arbeitsfeld außerhalb der akademischen Institutionen darstellen und darüber hinaus selbst Forschungsgegenstand sein kann. Zu den Arbeitsbereichen zählen Politik, Unternehmen, Massenmedien (Radio, Film und Fernsehen, Internet, Zeitschriften), Denkmalswesen, Museen und Gedenkstätten, Verbände und Stiftungen, Politische Bildung, Archiv- und Dokumentationswesen, Familien- und Lokalgeschichte, die Tourismusbranche oder das Verlagswesen. Die Berufe selbst verändern sich stetig. Neben die klassischen Tätigkeiten des Ausstellungsmachens, der pädagogischen oder journalistischen Arbeit treten Rechercheaufgaben, App-Entwicklungen, Reisebegleitungen oder Veranstaltungsorganisationen. Public History kann auch in dieser Hinsicht innovativ sein. So bieten Public Historians historisch fundierte Videobustouren oder auch Geschichts-Geocaching an, arbeiten für Stiftungen oder Ministerien in der Öffentlichkeitsarbeit, schreiben Politiker*innenreden oder konzipieren Ausstellungen – für Museen ebenso wie für Unternehmen oder öffentliche Verwaltungen.
Public History als Fachdisziplin bietet eine „konstruktive Kommunikationsebene zwischen ‚praktischer‘ Produktion und ‚theoretischer‘ Kritik“42, die lange gefehlt hat. Vor allem im deutschsprachigen Raum wurde und wird die Grenze zwischen akademisch etablierten und außerhalb der wissenschaftlichen Institutionen tätigen Historiker*innen relativ strikt gezogen. Es bleibt zu hoffen, dass Public History als Vermittlerin dienen kann. Denn so, wie sie in diesem Buch verstanden wird, leistet sie durchaus einen eigenständigen Beitrag zur Entwicklung der Geschichtswissenschaft, in dem sie Themen setzt, Quellen neu entdeckt und innovative Zugänge findet.
Literatur
Bösch, Frank/Goschler, Constantin (Hg.): Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt/M. 2009.
Cauvin, Thomas: Public History. A Textbook of Practice, New York 2016.
Rauthe, Simone: Public History in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, Essen 2001.
Sayer, Faye: Public History. A practical guide, London u. a. 2015.
Zündorf, Irmgard: Zeitgeschichte und Public History, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 6.9.2016, URL: http://docupedia.de/zg/Zuendorf_public_history_v2_de_2016
Web-Links
Arbeitsgruppen und Verbände
International Federation for Public History (IFPH), URL: http://ifph.hypotheses.org
National Council on Public History (NCPH), URL: http://www.ncph.org
AG Angewandte Geschichte im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, URL: http://www.historikerverband.de/arbeitsgruppen/ag-angewandte-geschichte.html
Studierende und Young Professionals der Public History, URL: http://www.historikerverband.de/arbeitsgruppen/ag-angewandte-geschichte/ueber-die-ag/studierende-und-young-professionals.html
Zeitschriften/Mailinglisten/Blogs
Mailingliste H-Public, URL: http://www.h-net.org/~public