gemeinsamen Verwendung wider. Der häufigste Kookkurrenzpartner ist also ausgesucht – ein Attribut, mit dem unterstrichen wird, dass höfliches Verhalten in verschiedenen Abstufungen auftreten kann: Es unterscheidet sich zuerst einmal von ganz normalem, nicht-höflichem Verhalten und kann dann auch noch einmal verfeinert werden zu besonders elaborierten Formen. Ein Beispiel (wie alle anderen Beispiele in diesem Abschnitt aus dem COSMAS-Korpus. Die dort angegebenen Quellenverweise werden übernommen.):
(1) Selbst sehr viel jüngeren Kollegen schreibt er mit ausgesuchter Höflichkeit (NZZ14/MAR.02438).
Der Höflichkeit wird hier eine Eigenschaft zugeordnet, die wiederum auf ihren Ausnahmestatus verweist: Das Verhalten, das so qualifiziert wird, kann als eine Option unter vielen anderen angesehen werden. Die Wahl dieser Option durch den Handelnden ist das Ergebnis von Reflexion und Selektion. Sie wird von einem Beobachter oder einer Beobachterin, der/die dieses Adjektiv wählt, ausgesprochen positiv bewertet. Offensichtlich geht der Autor/die Autorin dieser Passage davon aus, dass es für den Umgang mit jüngeren Kollegen ein angemessenes Maß von Höflichkeit gibt, dass die betreffende Person dieses Maß aber regelmäßig überschreitet. Das scheint bemerkenswert zu sein.
Weitere Attribute zu Höflichkeit, die häufig auftreten, sind diplomatisch, vollendet und übertrieben. Das erste assoziiert Höflichkeit mit einem Bereich, in dem der Umgang mit anderen Personen als extrem delikat, aber auch wichtig empfunden wird und in dem alle Beteiligten sehr genau abwägen, was sie wie zum Ausdruck bringen. Ein/e DiplomatIn spricht nicht so, wie ihm/ihr der Schnabel gewachsen ist und sagt nicht, was er oder sie wirklich denkt – so ist es wohl auch mit der Höflichkeit. Die beiden anderen Adjektive verweisen darauf, dass es offensichtlich ein ziemlich genau bestimmbares Maß an Höflichkeit gibt, das in einer bestimmten Situation aufgewendet werden sollte. Trifft jemand dieses Maß genau, dann verhält er sich vollendet; es besteht aber auch die Gefahr, es zu überschreiten, dann ist man übertrieben höflich.
Wörter wie Gebot, gebieten oder Regel als Kookkurrenzpartner weisen darüber hinaus darauf hin, dass es in den Augen vieler SprecherInnen eine Art Verpflichtung gibt, die es vorschreibt, in bestimmten Situationen ein bestimmtes (nämlich höfliches) Verhalten an den Tag zu legen. Die Art dieser Verpflichtung oder ihrer Grundlage bleibt jedoch zunächst unspezifiziert.
Ansonsten zeigt die Abbildung eine große Zahl von Substantiven, die in der unmittelbaren Nachbarschaft von Höflichkeit signifikant häufig gebraucht werden. Hier wäre es wünschenswert, anhand von Beispielen jeweils vertiefen zu können, ob Substantive in einer additiven, alternativen oder adversativen Verbindung auftreten. Die Korpusdaten würden das ermöglichen; wir begnügen uns hier aber mit einem etwas oberflächlichen Eindruck. Der ergibt, dass sich zwei größere Gruppen von Substantiven herauskristallisieren: zum einen solche, die sich auf Teilaspekte von Höflichkeit beziehen, zum anderen Lexeme, die alternativ, fast synonym zum Referenzwort verwendet werden können, also eng verwandte Begriffe bezeichnen. Zur ersten Gruppe gehören z.B. Pünktlichkeit (besonders wichtig), Freundlichkeit, Respekt, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme oder Bescheidenheit. Wer sich durch solche Eigenschaften auszeichnet, hat (jedenfalls im deutschsprachigen Kontext) gute Chancen, von seinen Mitmenschen als höflich eingestuft zu werden. Der gemeinsame Nenner dieser Eigenschaften liegt wohl in der Aufmerksamkeit, die einem Interaktionspartner entgegengebracht wird sowie in der Einbeziehung der Interessen und Bedürfnisse des Partners in die eigenen Handlungen.
Die zweite Gruppe besteht aus drei Substantiven: Umgangsform, Anstand, Manieren. Auch damit werden Formen des Eingehens auf Mitmenschen bezeichnet. Es wird interessant sein zu fragen, wie zwischen diesen Substantiven und Höflichkeit differenziert werden kann, ob es sich tatsächlich um Quasi-SynonymeQuasi-Synonym handelt oder ob sich im Gebrauch Unterschiede herausstellen.
Etwas überraschend ist der Bezug auf einen Kontinent: das Adjektiv asiatisch gehört zu den 20 am häufigsten verwendeten Kookkurrenzpartnern von Höflichkeit. Offensichtlich werden die Umgangsformen von Menschen, die aus asiatischen Ländern stammen, als prototypische Formen von Höflichkeit empfunden.
Der erste Blick auf die Verwendung von Höflichkeit hat sicher keine großen Überraschungen ergeben. Erstaunlich ist höchstens, was hier nicht auftaucht: Wörter wie Etikette oder Knigge sind offensichtlich als Kookurrenzpartner nicht so wichtig wie die anderen – das kann als erster Hinweis darauf interpretiert werden, dass die kodifizierte Version von Höflichkeit für den alltagssprachlichen Begriff gar nicht die große Rolle spielt, die ein Beobachter erwarten könnte. Was ebenfalls fehlt, sind Hinweise auf kritische oder gar negative Einstellungen gegenüber der Höflichkeit, die etwa in der Verbindung mit Lüge oder Unaufrichtigkeit zum Ausdruck kommen könnten. Die Daten verweisen erst einmal darauf, dass diese Aspekte quantitativ nicht besonders relevant sind.
Für das Adjektiv ergeben sich diese Kookkurrenzen:
Abb. II.5: Kookkurrenzprofil von höflich. wordle-Darstellung, Datengrundlage Belica 2001ff., Stand: Mai 2017
Auffällig ist zunächst, dass die Liste kein einziges Substantiv enthält, sondern vor allem Verben und das eine oder andere attributiv gebrauchte Partizip. Offensichtlich wird das Attribut höflich weniger Personen oder Objekten zugeschrieben, sondern hauptsächlich Handlungen. Die Übersicht ist also keine Antwort auf die Frage, wer oder was häufig als höflich angesehen wird, sondern auf die, was man signifikant häufig höflich tut. Hier fällt auf, dass sehr viele Kookkurrenzpartner Verben sind, die kommunikative Handlungen oder Sprechakte beschreiben. Das ist der Fall bei formulieren, ausdrücken, bedanken, grüßen, antworten oder bitten. Das bestätigt die Intuition, dass es bei Höflichkeit in vielen Fällen um eine Begleiterscheinung kommunikativer Handlungen geht. Man ist also normalerweise nicht einfach nur höflich, sondern vollzieht eine andere sprachliche Aktivität und modelliert sie so, dass sie nicht nur ihr primäres kommunikatives Ziel erreicht (etwas formulieren, um etwas bitten usw.), sondern noch einen zusätzlichen Effekt hat: Die Handelnden werden von ihre Umgebung auch noch als höflich angesehen. Der Grund dafür ist eine Art „subsidiäre Zusatzhandlung“ (Lüger 2014, 43), die der Haupthandlung einen besonderen Akzent verleiht.
Die potentiell höflich vollzogenen Sprechhandlungen sind zum Teil solche, die in der Interaktion delikat sein können, für deren Vollzug kommunikatives Fingerspitzengefühl und diplomatisches Geschick notwendig sind. Jemanden um etwas bitten stellt beispielsweise einen Eingriff in die Handlungsfreiheit der Adressaten dar. Diese können nach einer Bitte nicht einfach das tun oder lassen, was sie getan hätten, wenn sie nicht freundlich dazu aufgefordert worden wären, etwa jemandem sein Fahrrad zu leihen. Sie müssen sich zumindest mit der Bitte auseinandersetzen und eine geeignete Antwort darauf finden. Sprechhandlungen wie Bitten werden deswegen in der Höflichkeitstheorie als gesichtsbedrohende Handlungen (face threatening acts)gesichtsbedrohende Handlung (face threatening act) bezeichnet. Diese Eigenschaft von Sprechhandlungen wird im Kapitel über wissenschaftliche Höflichkeitsbegriffe und entsprechende Theorien eine wichtige Rolle spielen. Vorerst mag der Hinweis darauf reichen, dass Bitten oder auch Grußaktivitäten sensible Momente in der Kommunikation sind, die für SprecherInnen immer das Risiko mit sich bringen, die HörerInnen zu verletzen oder – um es salopp auszudrücken – ihnen auf den Schlips zu treten.
Auf den ersten Blick verhält es sich mit den anderen genannten Verben allerdings anders. Formulieren und ausdrücken bezeichnen keine besonders delikaten Sprechhandlungen und wenn man sich bei jemandem bedankt, geht man kaum das Risiko ein, das z.B. mit einer Bitte, einer Aufforderung oder auch einem Kompliment verbunden ist. Hier wird es sich lohnen, mithilfe einiger Beispiele etwas genauer hinzuschauen:
(2) Das Mädchen aus Brisbane hatte ihr Anliegen in einem Brief höflich formuliert: „Allerliebster Wissenschaftler“, leitete sie ihr Schreiben ein (NUN14/JAN.00937 Nürnberger Nachrichten, 11.01.2014, 28).
(3) Amnesty International betrachtet Mohamed Abdullah al-Roken als gewaltlosen politischen Gefangenen, der nur