href="#ulink_7c15b15b-b687-55e4-8f73-c73f1135e1f4">97 Dieses eigentliche Spielfeld der Hauptdarsteller wird im Kontakt mit dem Chor auf die Orchestra ausgedehnt, die noch genug Raum auch für große Aufzüge bietet – wie etwa bei der Rückkunft des siegreichen Agamemnon auf dem mit Pferden bespannten Kampfwagen. Noch gibt es breite Paradoi. In perikleischer Zeit wird der Zuschauerraum aus Holzsitzen in Segmente aufgeteilt. Die bronzene Einlassplakette, das Symbolon, bezeichnet für den Zuschauer Reihe und Sitzplatz. Der Eintritt für die ärmeren Bevölkerungsschichten ist unentgeltlich. Sie erhalten in perikleischer Zeit sogar zwei Obolen Schaugeld, das Theorikon, als Ersatz für den Arbeitsausfall. Das Dach des Bühnenhauses ist wahrscheinlich schon im 5. Jahrhundert begehbar. Dort wartet am Beginn des Agamemnon der Wächter auf die Feuerzeichen vom Fall Trojas. Diese Oberbühne ist mit einer Öffnung für Göttererscheinungen (Epiphanie) ausgerüstet. In der Psychostasie, der Seelenwägung, einer Dichtung des Aischylos, erscheint dort Zeus zwischen Thetis und Eos, die für ihre Söhne Achilleus und Memnon bitten, während diese unterhalb auf dem Proskenion einen Zweikampf ausfechten. Als Platz der Götter heißt dieser Bühnenteil Theologeion.98
Zu Aristoteles’ Lebzeiten baut man sehr intensiv am Dionysostheater in Athen. Kaum ist um 340 das steinerne Koilon vollendet, mit einer Säulenhalle (Stoa) als Skene, rechts und links kleine steinerne Paraskenien, beginnt der höchste Finanzbeamte Athens, Lykurg, zwischen 338 – 326 mit einem Umbau. Die Skene rückt etwa sieben Meter auf die Zuschauenden zu, indem ein neues Bühnenhaus vor der Stoa errichtet wird. Die Vorderwand der Skene besitzt nun zwischen den Paraskenien drei bis dreieinhalb Meter breite Tore und zwei Gassen. Sie kann mit Dekorationen bestückt werden. Durch das Vorrücken der Skene verlieren die Parodoi im lykurgischen Bau, dessen Reste uns überkommen sind, an Breite, was der schwindenden Bedeutung des Chores und überhaupt der Ein- und Auszüge entspricht. Für die Zeit des Aischylos und insgesamt das 5. Jahrhundert ist die Verwendung von Architektur- und Landschaftsmalerei umstritten, nicht aber für hellenistische Thyromatatheater (4.) wie in Priene, Ephesos oder Oiniadai. Diese Varianten der Paraskenientheater [<< 70] eröffnen bessere Möglichkeiten, Dekorationen zu verwenden und Verwandlungen durchzuführen. Erst im späten 4. und im 3. Jahrhundert bedeckt man Wände und Türöffnungen (Thyra = Türe; Thyroma = Türöffnung) in einigen Theatern mit bemalten Holztafeln (Pinakes) oder Vorhängen (Katablemata). Die Öffnungen gestatten den Blick in Innenräume.
Abb 6 Das Theater von Priene, hellenistisch, 2. Jh. v. Chr. (Quelle)
Der Rekonstruktionsversuch von Armin von Gerkan für Priene gibt die Situation im 2. Jahrhundert v. Chr. wieder, als das Proskenion, jetzt die Stützenhalle mit den drei Türen für Schauspielerauftritte und den dazwischen anzubringenden Pinakes, gebaut wurde. Die auswechselbaren Kulissentafeln gelten eher den älteren Dramen mit obligatem Chor in der Orchestra, zeitgenössische Stücke und Komödien finden wohl auf dem Dach, nunmehr Logeion, statt. Dort kann man wegen der großen Thyromata auch Innenszenen zeigen. Der wirksame Einsatz des Ekkyklema ist wahrscheinlich. Die Prohedria (Proedria), die Sitzreihe mit den Ehrensesseln und mittig dem Dionysosaltar, umschließt die Orchestra bis hin zu den Parodoi. Der Zuschauerraum erreicht später eine Ausdehnung von 50 Sitzreihen. [<< 71]
1.6.2 Zur griechisch-römischen Theatertechnik
Die zum Teil aus der Militärtechnik stammende Theatertechnik dient vor allem einer Vertiefung der Komplexität des Erlebens.
Abb 7 Bewegungsmomente der antiken Bühnenmaschinerie. (Quelle) [<< 72]
Grundsätzlich existiert eine Diskrepanz zwischen schriftlicher Überlieferung und archäologischen Befunden: Wenn Dramen bereits des 5. Jahrhunderts v. Chr. die Verwendung von Technik wie dem Flugkran nahelegen, so können archäologische Beweise frühestens 100 Jahre später, am Ende des 4. und im 3. Jahrhundert erbracht werden. Je nachdem, ob Autoren in ihren Studien nun mehr den Andeutungen in den Dramen oder mehr der archäologischen Verifizierung zuneigen, unterscheidet sich ihr Befund. Unklar ist beispielsweise, ob bereits Aischylos selbst den Flugkran als Bühnenmaschine (9) benutzt hat. Sicher wurde er später für die Aufführung aischyleischer Dramen verwendet. Der Flugkran bestand aus einem schwenkbaren Mast, der sich mit seinem metallenen Drehzapfen von 14 Zentimeter Durchmesser in einer viereckigen metallenen Büchse drehte. An seinem horizontalen Arm, dem Daktylos, konnten die Gestalten mittels einer Seilrolle zusätzlich aufwärts und abwärts bewegt werden, sodass sie zu schweben schienen. Der Flugkran erfordert hohe Stabilität und setzt einen festen Bühnenbau vom Typ eines Paraskenientheaters voraus. Im Athener Dionysostheater reitet im Gefesselten Prometheus des Aischylos Okeanos auf einem geflügelten Tier am Flugkran durch die Luft.99 Götter können in hellenistischer Zeit zudem auch an den Seilzügen, den Aiorai (10), horizontal über dem Proskenion hin- und herschweben. Von den für aischyleische Tragödien verwendeten Maschinen war die Roll- und Wagenbühne, das Ekkyklema (1), besonders attraktiv. Im Agamemnon rollt es aus dem Mitteltor der Skene heraus. Darauf befindet sich Klytaimnestra mit den Leichen des Agamemnon und der Kassandra. In der Totenspende erscheint auf dem Ekkyklema Orest zusammen mit Pylades und den Leichen von Klytaimnestra und Aigisth. Das Ergebnis der grausamen Tat wird dem Publikum präsentiert, nicht die Tat selbst. Ein solches Ekkyklema benötigt einen Umfang von etwa drei mal vier Metern, um die Personen aufnehmen zu können. Wenn ein solches Gefährt, auf Rollen, Walzen oder Rädern in fest verlegten Holz- oder Steinschienen bewegt und mit Gegengewichten versehen, nach vorn aus dem Skenengebäude der Thyromatabühne herausragen kann – wie in Eretria –, handelt es sich um eine Exostra (2). Sie ist besonders geeignet für Epiphanien. Die Periakten (4), dreiseitige, mit bemalter Leinwand bespannte Drehprismen, beschreiben erst Vitruv und Pollux.100 Sie sind keinesfalls älter als die Thyromatabühnen und selbst hier nicht unbestritten. Drehprismen zeigen in den Öffnungen dieser [<< 73] Bühnen Ortswechsel an, etwa eine Berg- oder Flusslandschaft, das Meer. Sind sie als eine Art Drehscheibe mit mittlerer Rückwand ausgebildet (5 – 7), so tragen sie nach Pollux alles herein, was für die Flugmaschine zu schwer ist, zum Beispiel auf Meerestieren reitende Götter, aber auch plastische Aufbauten, die Örtlichkeiten markieren, etwa den Ida-Berg im Paris-Urteil.101 Wenn auf dem Stropheion auf der einen Seite der Heros steht, kann er durch eine Drehung blitzschnell vergöttlicht werden. Das Hemikyklion oder das Hemistropheion lassen genauso schlagartig Menschen verschwinden. Da man die Thyromatabühnen oft auch für die Neue Komödie, den Mimus und Pantomimus einsetzt, ergeben sich viele weitere Überraschungsmomente. Der nach den Seiten zu ziehende Hintergrund- oder Zwischenvorhang (Siparium; 8) stammt von der Mimus- und Jahrmarktsbühne. Er ist dort Spielhintergrund und gestattet Auftritte. Auf der hellenistischen Thyromatabühne können mit ihm die Öffnungen verschlossen werden, in der römischen Komödie kann er ein Versteck auf offener Bühne bilden, bei Mimen und Pantomimen den hinteren Teil der Bühne abtrennen, den Chor oder Instrumentalisten verbergen. Der Hauptvorhang (Aulaeum; 13) hingegen, prachtvoll farbig durchwebt mit Götter- oder Menschen-, besonders aber Heldenfiguren, unten befestigt, verdeckt vor der Vorstellung die Schauwand des römischen Theaters. Er wird herabgelassen und am Ende der Vorstellung heraufgezogen. Ebenfalls eher nach Rom verweist das dem Wort nach griechische Pegma (Gerüst; 12), eine vorzugsweise in Amphitheatern verwendete Schleudermaschine. Gladiatoren werden in die Luft geworfen oder Menschen in die Arena geschleudert, wo sie wilden Tieren begegnen. Das hölzerne Gerüst kann sich nicht nur emporrecken: Kommen in Schauspielen Szenen vor, in denen sich die Erde öffnet, fällt das Pegma in sich zusammen.
Zu den Versenkungen (11) schreibt Heinrich Braulich: „Wenn am Ende des ersten Teiles der Promethie, im Gefesselten Prometheus, Prometheus in den Abgrund versinkt oder Klytaimnestra im dritten Teil der Orestie, in den Eumeniden, aus dem Erdreich emportaucht, so muss mit Versenkungsapparaturen gearbeitet worden sein. Das Anapiesma war eine solche mit Seilwinden