drei stehende Theater. Sie fassen zusammen kaum die Hälfte der Zuschauer eines Amphitheaters.70 Das älteste steinerne Theater Roms ist das des Pompeius, erbaut im Jahre 55 v. Chr. für etwa 12.000 Zuschauer. Das des Balbus, 13 v. Chr. eingeweiht, fasst 6 – 7.000 und jenes des Marcellus, gleichzeitig errichtet, etwa 10.000. Vermutlich wird nur ausnahmsweise an großen Festen in allen drei Theatern zugleich gespielt, für gewöhnliche Aufführungen genügt wohl das Pompeiustheater. Der römische Festkalender expandiert. Neue Feste wie die Ludi Plebeii, die Ludi Apollinares, die Ludi Megalenses oder die Ludi Cereales kommen hinzu, ein Teil bereits bestehender Feste wird verlängert, und außerhalb des regulären Festkalenders veranstaltet man weitere Spiele zum Beispiel anlässlich von Trauerfeierlichkeiten, Triumphen oder kaiserlichen Geburtstagen. [<< 54]
Erste Tragödien und Komödien werden als Übersetzungen aus dem Griechischen bereits im Jahr 240 v. Chr. aufgeführt. Man nutzt in der Regel einfache Podiumsbühnen auf öffentlichen Plätzen. Mit den Komödien des Plautus und Terenz, den Tragödien des Quintus Ennius (239 – 169 v. Chr.) und Marcus Pacuvius (219 – 130 v. Chr.) löst man sich zögerlich von den griechischen Vorbildern. Es entstehen zwar eigene römische dramatische Gattungen, doch die Zensur ist so ausgeprägt, dass selbst die harmlosen Angriffe eines Plautus sich auf die Griechen beziehen mussten: Der Händler, dessen Sklave klüger ist als er selbst, der seine Frau beschimpft, den Sohn hintergeht. Kupplerei, Wucher, Hetärenwesen wird nach Griechenland verlegt, als wäre es kein römisches Problem. Als Terenz Plautus in dieser Tendenz nachfolgt, muss er bald in seinen Prologen beklagen, dass Aufführungen seiner Stücke abgebrochen wurden, weil das Publikum lieber Faustkämpfer, Seiltänzer und Gladiatoren sehen möchte. Krach und Weiberkreischen zwingen ihn zunächst zur Aufgabe, dann heißt es: Gladiatoren kommen! Und die Massen „prügelten sich um die Plätze; weiterspielen konnte ich da nicht“.71
Außerhalb eines kleinen Kreises von Gebildeten ist das Interesse für die Schicksale aus der Frühzeit Griechenlands abhanden gekommen. Den Zuschauenden erscheinen der Kothurn, die langen bunten Schleppkleider und die Masken mit der Mundöffnung hässlich oder lächerlich. Zumindest eine prunkvolle Ausstattung, Triumphzüge und Prozessionen braucht es, auch Tiere sind erwünscht; im Grunde alles, was man aus dem Zirkus und der Arena gewohnt ist. Sänger und Tänzer bieten ihre Leistungen selbstständig an, getrennt vom Wort der Tragödie, die vier Stunden und länger dauert. Pantomimen oder einzelne Tragöden offerieren bekannte Ausschnitte aus Dramen, was Beifall findet, selbst wenn sie in Maske und herkömmlichem Kostüm erscheinen. Unter solchen Umständen versteht man Cicero, der die römische Schauspielkunst als eine banale Voraussetzung für die wesentlich bedeutsamere Rhetorik ansieht. Ungeachtet dessen bleiben Dramen ein Bestandteil des Festspielprogramms. Von den Komödientexten mit römischem Stoff (fabula togata) scheint nur die Komödie Der Brand des Lucius Afranius noch während der Kaiserzeit aufgeführt worden zu sein, und zwar bei einem von Nero gegebenen Fest: Die Mitwirkenden durften die Einrichtung eines bei offener Szene abbrennenden Hauses plündern und als Eigentum behalten.72
Diese handfeste Rezeption eines Bühnendichters erklärt die Tendenz zum Lesedrama. Der in Literaturgeschichten beklagte niedrige Bildungsstand der Massen ist sicherlich in zweiter Linie verantwortlich zu machen, der Hauptgrund aber liegt in der [<< 55] unglaublichen Härte einer durch Eroberungskrieg definierten Gesellschaft im Verhältnis zu einer unangemessenen Dramatik. Das Drama des Lebens findet sich nicht im Drama der Bühne wieder. Sobald ein Schaumord diesen Mangel ausgleicht, füllen sich die Ränge. Schauspieler werden dann im Handlungsverlauf kurz vor dem Tod einer Figur durch einen „Verbrecher“, einen „Feind“ oder einfach einen Sklaven ersetzt, „der nun von den Tieren zerfleischt, lebend verbrannt oder nach verschiedenen Torturen ans Kreuz geschlagen wurde“.73 Für das Publikum erlischt das Spiel, es spürt den Nervenkitzel der Arena, sogar mit der Aussicht, im Anschluss an die grausame Tat wieder in eine spielerische Handlung eintauchen und auf dem Heimweg das Geschehen als eine spannende Theateraufführung diskutieren zu können. Der griechisch-römische Mythos bietet genug geeignete Szenen, aber man kann auch Dramatiker mit speziellen Variationen beauftragen oder Dramatiker kamen dem Auftrag zuvor.
„[Senecas] Medea bringt im Gegensatz zu den Meisterwerken des Sophokles und des Euripides all jene Gräueltaten auf die Bühne, die diese Autoren wohlweislich ‚im Off‘ stattfinden ließen. Da tötet die Mutter auf offener Bühne ihren Knaben, dann einen zweiten, und wirft die Leichen dem Vater vor die Füße. Da mordet Herakles in ähnlicher Weise seine Kinder auf offener Bühne. Da tötet sich Jokaste im Ödipus auf der Bühne, indem sie sich das Schwert in den Leib stößt. Im Thyestes wird ein Kind zerstückelt, dem Vater als Mahlzeit serviert.“74
Gewalt als Voraussetzung für die Akzeptanz von Dramen, ob gespielt oder gelesen, ist weniger ein Bildungs- denn ein komplexes Gesellschaftsproblem.
1.5 Theaterablehnung aus Konkurrenzgründen
Die Theaterpraxis vorgriechischer oraler Kulturen ist wie die griechische bis in die klassische Zeit (ca. 500 – 336 v. Chr.) hinein eine vielfältige, differenzierte und lustvolle. Theater wird als sinnvoll, bildend, anregend und der Gesundheit förderlich angesehen sowie als ganz selbstverständlich zum Lebensprozess gehörig variantenreich ausgeübt. Die allmähliche theoretische Abkehr von Theater und schließlich sein Ausschluss aus den ästhetischen Diskursen zählen deshalb zu den kulturhistorisch besonders bedeutsamen Einschnitten. Während Musik und bildende Kunst kaum Einschränkungen [<< 56] erfahren, argumentieren maßgebliche Persönlichkeiten gegen Theater. Es wird von ihnen nicht mehr als Teil der gesellschaftlichen wie individuellen Selbstfindungs- und Heilungsmechanismen oder Demokratie förderndes Element angesehen. Ihre zivilisationsbedingte Kulturleistung ist eine widersinnige, weil sie sich gegen ein natürliches Bedürfnis nach Tanz, Gesang und körperlicher Darstellung richtet, aber gerade in der Reibung mit natürlichen Gegebenheiten entstehen die meisten Theorien und Glaubensinhalte. Sie formen Zeiten überdauernde Weltanschauungen und prägen Lebensweisen. Der philosophische Wahrheitsdiskurs nimmt sich der Theaterfrage an, schon bevor philosophisch gebildete Kirchenväter ihn instrumentalisierten.
1.5.1 Der philosophische Anti-Theater-Diskurs
Aussagen zu Theater finden sich in Platons Staat und in den Gesetzen; bei Aristoteles sowohl in der Poetik als auch in der Politik und besonders in der letzten Fassung seiner Rhetorik. Bevor Aristoteles in der Poetik dem Unwirklich-Unmöglichen, aber Wahrscheinlichen den Vorzug vor dem Wirklich-Möglichen, aber Unglaubhaften gibt und damit zumindest den ästhetischen Schein der Tragödie rehabilitiert75, hatte Platon diesen Schein noch ganz auf das Moment des Trügerischen und Betrügerischen reduziert. Platons ästhetisches Ideal der musischen Künste weist den bemerkenswerten Widerspruch auf, dass einerseits eine radikale Ablehnung aller nachahmend-darstellenden Künste erfolgt, andererseits aber die Forderung erhoben wird, der freie Bürger solle sein ganzes Leben in Feiern, Spielen und Tänzen verbringen. Denn „wir selbst sind Dichter eines Dramas, welches, so weit wir vermögen, das schönste und beste werden soll“. Der Lebensprozess ist der Kunstprozess, weshalb es keines weiteren Kunstprozesses bedarf. „Unsere ganze Staatsverfassung besteht nämlich in der Nachahmung des schönsten und besten Lebens, und eine solche soll eben nach unsern Begriffen das wahrhafte Drama sein.“76 Eine Tragödien-Kunst braucht es nicht, weil das Leben im Idealstaat sie übertreffen wird. Auf die gleiche Weise wird später Tertullian argumentieren: Demnächst wird das Jüngste Gericht ein solch gewaltiges Schauspiel bieten, dass es sowieso alle Schauspiele übertrifft, die daher überflüssig sind.77 Je stärker also eine Kunst zu einem weltanschaulichen Konzept