in ihrer Freude am Mimus wird ihm schließlich zum Verhängnis. Er stirbt 407 in der Verbannung, weil er, als in Konstantinopel eine silberne Bildsäule der Kaiserin Eudoxia errichtet wird und zur Ehre des Tages Mimen und Pantomimen auftreten, die Kaiserin in öffentlicher Predigt eine Herodias nennt, die da tanzt, um Johannes’ Haupt zu erlangen.
Die gesamte Theaterhistoriografie wird nachantik in ihrer Ausprägung als philosophisch-ästhetischer Diskurs von zwei divergierenden Perspektiven überschattet, der platonischen und der aristotelischen. Wenn nach wissenschaftlicher Schärfe und geistiger Exklusivität gestrebt wird, muss Theater wegen seiner Wahrheitsferne als etwas Niedriges und Entbehrliches, ja Gefährliches gelten (Platon). Wird [<< 64] praktische Einflussnahme auf Personengruppen samt Machtausübung anvisiert, erscheint Theater in seiner Materialität und seiner Wirkung als ein nützliches Instrument (Aristoteles).
Es ist kein Ruhmesblatt europäischer Geistesgeschichte, über zweitausend Jahre lang – beeinflusst von christlicher Theaterscheu – das entspannte Verhältnis des Publikums zu den verschiedensten Theaterformen ignoriert zu haben. Theater in der Nachfolge von Platon und Aristoteles aus der Perspektive der Dichtung zu betrachten, wie es vom französischen Klassizismus bis hin zum Konzept vom „plurimedialen Text“ geschieht91, statt es als eigenständige Kunst zu analysieren, bedeutet eine enorme Einschränkung, die auf die Unsicherheit verweist, einen beweglichen Gegenstand zu erfassen. Während die Werte der Musik und der bildenden Kunst kaum in Abrede gestellt werden, büßt Theater für seine Körpergebundenheit und für seine Nähe zum Alltag. Die aristotelische Auffassung reicht mindestens bis einschließlich zu Bertolt Brecht, der zwar Aristoteles’ Dramenkonzeption kritisiert, gleichzeitig aber wie dieser die Fabel als Kernstück der Theaterveranstaltung ansieht. Die platonische reicht bis in den Neoliberalismus hinein, der bezüglich Theater den fehlenden Nutzen im Sinne von Rendite beklagt. Umso erstaunlicher die Resistenz einer Kunst, die tagtäglich nicht nur den platonischen Wahrheitsanspruch ignoriert, sondern auch die aristotelische Instrumentalisierung und den von allen Konkurrenten gemeinsam hergestellten schlechten Leumund.
1.6 Vom Tanzplatz zum Theatrum
Kreis und Viereck. Als örtlicher Ausgangspunkt für szenische Vorgänge, die als Theater bezeichnet werden können, sind generell der Tanzplatz und das Podium anzunehmen. Der Tanzkreis bietet schon in den Frühstadien gesellschaftlicher Entwicklung schnelle und einfache Wechsel von Hervorhebung und Nivellierung, von Agieren und Schauen in rhythmischer Bewegung. In lustvoll-spielerischem Handeln werden dynamisch Fähigkeiten und Fertigkeiten erprobt, wobei der Tanzkreis durch Traditionsbildung den Tanzplatz schafft, der sakrale und profane Funktionen zu erfüllen hat. Ein massiver oder portabler Altar für Opferrituale im Zentrum des Kreises gestattet es, Geschichten von Göttern vorzutragen und auszuagieren – wobei hier eine große Lücke zwischen hoher Wahrscheinlichkeit und geringer Belegbarkeit klafft. Das Podium, ein erhöhter [<< 65] Standort einer oder weniger Personen gegenüber vielen, gegeben durch Geländebeschaffenheit oder extra errichtet, verwirklicht die örtliche Hervorhebung bis heute (je nach Aspekten benannt als Neutralbühne, Podiumsbühne, Sukzessionsbühne) für szenische Vorgänge, die vor- und nachbereitet werden können durch Ein-, Aus- und Umzüge, bei welchen sich Akteure an Zuschauenden vorbei bewegen. Strukturell gesehen handelt man also miteinander im rhythmischen Austausch, bildet ein Gegenüber oder bewegt sich aneinander vorbei. Die schrittweise Ausgestaltung des Ortes und die Stärkung des Schauwertes durch Technik gehören zur an Fortschritt gebundenen Technologiegeschichte von Theater. Wenn man will, bilden sie einen eigenen Diskurs, der Mediengeschichte von Theater genannt werden kann.
1.6.1 Zur Entwicklung des antiken Theaterraumes
Die besondere Bedeutung der Kreisform – die deshalb im nachfolgenden Schema auch den Anfang bildet – ist für Theater überhaupt wie für antikes Theater gegeben, sollte aber nach neuerer Forschung entwicklungsgeschichtlich nicht verabsolutiert werden, weil sonst einerseits die Umzugsformen unterschätzt werden und andererseits den rectilinearen Theaterbauten zu wenig Gewicht beigemessen wird.92[<< 66]
Abb 4 Modell zur Entwicklung des antiken Theaterraumes. (Quelle) [<< 67]
Umso mehr Zuschauende zu erwarten sind, desto mehr Aufwand muss im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. bezüglich ihrer geordneten Unterbringung betrieben werden. Zwar stammt die Orchestra grundsätzlich vom kreisrunden Tanzplatz (1.) ab, aber eine so direkte Genese der griechischen Theaterbauten, wie sie für die Theorie wünschenswert wäre, stützt die Praxis nicht.93 Man saß durchaus nicht immer im Kreis um eine runde Orchestra, sondern einige Theateranlagen, wie zum Beispiel in Thorikos, im Osten Attikas, wiesen eine polygonal-trapezförmige Sitzanordnung auf.
Abb 5 Das Theater von Thorikos, ältere Ausbaustufe. (Quelle)
Es handelt sich um ein nach Südwesten ausgerichtetes Theater mit Dionysos-Tempel und ohne steinerne Skene. Das théatron wird Mitte 5. Jahrhundert v. Chr. in Stein ausgeführt und Mitte 4. Jahrhundert v. Chr. nach oben erweitert. Niemand vermag zu erklären, warum das 1886 freigelegte Theater keine kreisrunde Orchestra besitzt. Eine plausible Vermutung Wilhelm Dörpfelds macht Sparsamkeitsgründe verantwortlich: Um Grabungen in den Bergabhang zu vermeiden, habe man diese Form gewählt. Doch warum nur bei einigen wenigen griechischen Theatern und nicht auch bei den [<< 68] anderen weit über 100 gut erforschten? Waren einige Gemeinden etwa wohlhabender und konnten sich aufwendigere Erdarbeiten leisten? Oder ist die eher rechteckige oder trapezoide Bühne generell die weit ältere Bühnenform, von der gerade deshalb nur wenige Monumente erhalten geblieben sind? Diese Position wird zum Beispiel von Egert Pöhlmann vertreten.94 Andere rectilineare Bauten wie die Theater von Dionysos-Ikaria, Rhamnous und im Athener Vorort Alimos oder außerhalb Attikas in Chaironeia, Isthmia, Tegea, Phlious und Argos werden angeführt, um zu zeigen, dass auch die ersten Bauphasen des Dionysostheaters in Athen, bis weit in das 5. Jahrhundert hinein, rectilinear geprägt waren.95 Die Forschung neigt dazu, die rectilineare Bauweise grundsätzlich als die Regel für die ältesten Baustufen griechischer Theater zu betrachten.
In Athen befand sich eine Orchestra für die Wettbewerbe des 6. Jahrhunderts zuerst wahrscheinlich auf der Agora.96 Um der schnell wachsenden Zuschauerzahlen Herr zu werden, errichtete man hölzerne Zuschauertribünen. Als vermutlich um 500 eine dieser Tribünen zusammenbrach, nahm man ein festes Theater in Angriff: aus praktischen Gründen am Südabhang der Akropolis, wo neben dem Dionysostempel schon eine einfache Orchestra existierte. Hier nun erscheint – der Zeitpunkt hängt davon ab, ob man die These von der zunächst trapezförmigen Orchestra befürwortet oder nicht – als Bauform des Theatron das Koilon, womit ein Sitzrund als Hohlform gemeint ist: stufenförmig ansteigende Sitzreihen umfassen die Orchestra mit dem Altar zu zwei Dritteln, abgeschlossen, wenn nötig, durch eine temporäre Skene, zunächst als Zelt, Umkleideraum, Hintergrund und schließlich als begehbares Bühnenhaus (2.).
Ein hölzernes Bühnengebäude, dem je nach Anforderung die Gestalt eines Palastes, Tempels usw. gegeben werden konnte, entstand vermutlich um 460 v. Chr. Damit sehen die Athener anlässlich der Aufführung der Orestie 458 möglicherweise zum ersten Mal [<< 69] den Palast des Agamemnon als nachgebildeten Handlungsort. An der rechten und linken Seite erhält die Skene später Flügelbauten (3.), eventuell offene, die Paraskenien, zuerst aus Holz gefertigt. Zwischen ihnen spielt sich vor der Skenenwand die Dialoghandlung der Schauspieler ab. Der Platz wird zum leicht erhöhten Podest ausgebaut,