Anke Ortlepp

Geschichte der USA


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zur Rettung der zum Tode verurteilten Anarchisten wurden SpiesSpies, August und drei weitere Männer am 11. November 1887 hingerichtet. Heute geht man davon aus, dass es sich bei der „Haymarket-AffäreHaymarket-Affäre“ um eine Provokation der Polizei von Chicago gehandelt hat, die anarchistische Gruppen infiltriert und mit Sprengstoff versorgt hatte.

      Das Erbe der Knights of LaborKnights of Labor trat die American Federation of Labor (AFLAmerican Federation of Labor (AFL))American Federation of Labor (AFL) an, die allerdings einen ganz anderen Charakter trug und unterschiedliche Ziele verfolgte. Sie entstand 1881 in PittsburghPittsburgh auf Initiative von Samuel GompersGompers, Samuel, dem Führer der Cigar Makers’ UnionCigar Makers’ Union, als Zusammenschluss von Facharbeiterverbänden. GompersGompers, Samuel’ Vorbild war der englische New Unionism, dem es darauf ankam, die Interessen der ArbeiterArbeiterGilded Age in den einzelnen Branchen durch finanzstarke und schlagkräftige Organisationen zu vertreten. Die AFLAmerican Federation of Labor (AFL) entschied sich von vornherein für einen pragmatischen Kurs, mit dem die Arbeitsbedingungen und die materielle Lage der Arbeiter innerhalb des bestehenden SystemsGesellschaftGilded Age schrittweise verbessert werden sollten. Wichtigste Waffe war der Streik, der aber ebenfalls nur in diesem begrenzten, „unpolitischen“ Rahmen eingesetzt wurde. Im Unterschied zu den KnightsKnights of Labor legten die AFLAmerican Federation of Labor (AFL)-Verbände wenig Wert auf die Mitgliedschaft von ungelernten Arbeitern sowie von FrauenFrauenArbeitArbeiterFrauen und AfroamerikanernAfroamerikanerGewerkschaftenAfroamerikanerGilded Age. Die ArbeiterinnenFrauenArbeit, die mit am schwersten unter den ausbeuterischen Bedingungen in den sweatshops der Textilindustrie zu leiden hatten, griffen daraufhin zur Selbsthilfe. Die verschiedenen Frauengewerkschaften vereinigten sich 1903 – ebenfalls nach englischem Vorbild – zur Women’s Trade Union LeagueWomen’s Trade Union League. Als Teil der reformerischen FrauenbewegungFrauenFrauenbewegung trat sie für den Schutz der Frauen am Arbeitsplatz ein, förderte die FrauenbildungBildungswesen und kämpfte mit für das FrauenwahlrechtFrauenWahlrechtWahlrechtFrauen.

      Durch den Übertritt vieler ehemaliger Knights of LaborKnights of Labor wuchs die AFLAmerican Federation of Labor (AFL) bis zur Jahrhundertwende auf über 40 Einzelgewerkschaften mit Tausenden von local unions und ca. 1 Million Mitglieder an. Einer Reihe von Erfolgen standen einige schwere Niederlagen gegenüber, wie 1892 beim StreikPullman-Streik der Stahlarbeiter gegen den Carnegie-KonzernCarnegie Steel Co. in HomesteadHomestead Streik, PennsylvaniaPennsylvania, oder 1894, als der Lohnkampf gegen George PullmanPullman, George, den Besitzer der größten EisenbahnwagenfabrikEisenbahn2. Hälfte 19.Jh., in ChicagoChicago scheiterte. Beide Auseinandersetzungen wurden von ArbeiterArbeiterGilded Age- wie Unternehmerseite mit kaum geringerer Härte als der Streik von 1877 geführt. Sie zeigten die Grenzen der AFLAmerican Federation of Labor (AFL) auf, die nicht nur mit der wachsenden Macht der Konzerne rechnen musste, sondern im Ernstfall auch die Bundesregierung und die öffentliche MeinungÖffentliche Meinung der USA gegen sich hatte. Auf dem Tiefpunkt der Depression im Jahr 1894 waren 2,5 Millionen Menschen arbeitslos, und es wurden im ganzen Land 1.300 Streiks registriert. Eine neue Form des Massenprotests erfand zu diesem Zeitpunkt kein Gewerkschafter, sondern der Geschäftsmann Jacob E. CoxeyCoxey, Jacob E. aus OhioOhio, der Arbeitslose für einen „Marsch auf WashingtonWashington, D.C.“ sammelte. Statt der erhofften 400.000 nahmen allerdings nur einige hundert Menschen teil, und die Washingtoner Polizei konnte Coxey’s Army schnell zerstreuen. Der Propagandaeffekt dieser Aktion sollte aber noch viele Verfechter von Reformideen zur Nachahmung anspornen.

      Selbst unter den extremen Bedingungen des Gilded AgeGilded Age entwickelte sich in den USA keine starke sozialistischeSozialismus BewegungGesellschaftGilded Age. Die amerikanische ArbeiterschaftArbeiterGilded Age war ethnisch und interessenmäßig zu differenziert und geographisch zu mobil, um einen einheitlichen Willen entwickeln und kraftvoll durchsetzen zu können. Immigration, Westwanderung und individuelles Erfolgsstreben hielten die Gesellschaft in ständigem Fluss und ließen ein Bewusstsein fester und permanenter Klassengegensätze, wie es um diese Zeit in vielen europäischen Staaten herrschte, nicht aufkommen. Karl MarxMarx, Karl, Friedrich EngelsEngels, Friedrich und andere Theoretiker und Praktiker der Revolution standen vor einem Rätsel: Trotz einer potenziell „revolutionären Situation“ schienen die USA das einzige Land zu sein, das den Übergang zum Sozialismus auf friedlichem Wege bewerkstelligen konnte. Im Vergleich zu anderen Industrieländern blieb der Organisationsgrad der amerikanischen ArbeiterGesellschaftGilded AgeArbeiterGilded Age gering: 1900 gehörten von knapp 30 Millionen Beschäftigten nur etwa eine Million einer Gewerkschaft an. Große Teile der Arbeiterschaft, wie die Ungelernten, ethnische Mindeheiten wie AfroamerikanerAfroamerikanerGewerkschaftenAfroamerikanerGilded Age, Asiaten, Mexikaner und FrauenArbeiterFrauenFrauenArbeit, wurden von den etablierten GewerkschaftenGewerkschaften sogar bewusst vernachlässigt. Zudem standen die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihrer Mehrzahl der IndustrialisierungIndustrialisierungGilded AgeIndustrialisierung keineswegs ablehnend gegenüber, sondern wollten an den wirtschaftlich-technischen Fortschritten teilhaben und sie zur Besserung ihrer persönlichen Lage nutzen. Wenn sie Protest gegen Missstände erhoben, dann taten sie das in einer langen republikanisch-demokratischen Tradition, die ihnen das Vertrauen gab, den politischen Entscheidungsprozess beeinflussen und Abhilfe durch Reformen schaffen zu können. Auf diese Weise übten die Gewerkschaften eine wichtige Korrekturfunktion bei der Entstehung des IndustriestaatesIndustrialisierung aus: Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf die Probleme und Bedürfnisse der ArbeiterschaftArbeiterGilded Age und erreichten, dass sich Intellektuelle und Politiker mit sozialen Fragen beschäftigten und dass in der Öffentlichkeit Reformbereitschaft entstand. Die von Gewerkschaften und Arbeiterparteien geschaffene „Arbeiterkultur“ in Form von Arbeitervereinen, Arbeiterzeitungen, BildungsBildungswesen- und SozialeinrichtungenSozialwesen etc. wirkte der gesellschaftlichen Isolierung und der Zerstörung des Selbstwertgefühls entgegen. Hierzu leisteten gerade auch deutscheEinwanderungEthnienDeutsche Einwanderer in Städten wie MilwaukeeMilwaukee, Wisconsin, ChicagoChicago, Cleveland, St. LouisSt. Louis, Missouri und CincinnatiCincinnati bedeutende Beiträge. Letztlich nahmen die Vertreter der ArbeiterschaftArbeiterGilded Age damit an einer sehr viel übergreifenderen Entwicklung teil, die zur Organisation von Interessen außerhalb der großen Parteien hinführte. Diese Ausformung vielfältiger Interessengruppen wurde zur Signatur der amerikanischen Gesellschaft im Zeitalter des ProgressivismusProgressivismus.

      Die Rebellion der Populisten und die Wahlen von 1896

      In den 1890er Jahren schien es kurzfristig so, als würden sich die Unzufriedenheit der ArbeiterschaftArbeiterGilded Age und die Proteststimmung der Farmbevölkerung zu einer ernsthaften Herausforderung des bestehenden Wirtschafts- und GesellschaftssystemsGesellschaftGilded Age verbinden. Auf dem Agrarsektor konnten sich genossenschaftliche Modelle, wie sie seit dem BürgerkriegBürgerkrieg von Selbsthilfeorganisationen der Farmer, den GrangesGranges, z.T. mit Unterstützung der Bundesregierung erprobt wurden, ebenso wenig gegen die kapitalistischen Interessen durchsetzen wie in der Industrie. Nach einer kurzen Blütezeit in den 1870er Jahren entwickelten sich die Granges wieder zu Vereinen zurück, die durch Unterhaltung und Bildung die Einsamkeit des Landlebens bekämpften. Der politische Unmut der Farmer nahm aber zu, weil ab Anfang der 1880er Jahre die Preise für AgrarprodukteLandwirtschaft2. Hälfte 19.Jh. schneller absanken als der Index der Verbraucherpreise insgesamt, wodurch sich die Schere zwischen Zinsbelastung und Einkommen immer weiter öffnete. Die Initiative ging nun von den Granges auf die Farmers’ AlliancesFarmers’ Alliance über, die – beginnend in TexasTexas – systematischer und aggressiver um Mitglieder warben. Ihre Hauptthemen waren der Mangel an Zahlungsmitteln und billigen Krediten sowie die Tarifgestaltung der EisenbahngesellschaftenEisenbahn2. Hälfte 19.Jh., die Familienfarmer gegenüber der vordringenden Agrarindustrie benachteiligten. Bis 1890 hatte sich die Bewegung zu zwei großen Organisationen verfestigt: Im SüdwestenSüdwesten arbeiteten 2 Millionen weiße und 1 Million schwarze Farmer – wenngleich in getrennten Zweigen – in der Southern AllianceSouthern Alliance zusammen, und im Mittleren WestenMittlerer Westen, vor allem in KansasKansas, NebraskaNebraska und den Dakotas existierte eine eigene Alliance mit ca. 2 Millionen weißen Mitgliedern.

      Praktische Reformvorschläge wie den subtreasury planFinanzwesen1860–1918, der auf eine Stabilisierung der GetreidepreiseLandwirtschaft2.