Mirjam Zimmermann

Praxissemester Religion


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      Abb. 2: Modell professioneller Handlungskompetenz – Professionswissen; Kunter/Baumert, 2006, 481

      Während das spezifische Professionswissen (Fachwissen, fachdidaktisches Wissen, pädagogisches Wissen) im Studium und im Vorbereitungsdienst sowie in den weiteren Phasen beruflicher Tätigkeit erworben wird und die notwendige Voraussetzung für die Ausübung des Berufs darstellt, haben angehende Lehrkräfte grundlegende Orientierungen bereits in ihrer Biografie erworben, oft ohne dass diese ihnen bewusst sind. Dazu gehören etwa die Motive, die einen Abiturienten bewegen, den Lehrerberuf zu ergreifen und dabei das Fach Religionslehre als Studienfach zu wählen. Diese wiederum können unterschiedlichste Kontexte haben, z.B. das Aufwachsen in einem christlich geprägten Elternhaus, Mitarbeit in kirchlicher Jugendarbeit oder dem CVJM, persönliche Glaubenserfahrungen oder auch ein anspruchsvoller Religionsunterricht, der das Interesse an theologischen Fragen geweckt hat, nicht zu vergessen natürlich auch sehr vordergründige Beweggründe wie bessere Berufschancen. Je nach Ausprägung der motivationalen Orientierung wird das spätere Engagement im Beruf, aber auch die Zielrichtung der eigenen Tätigkeit davon beeinflusst.

      Von mindestens ebenso großer Relevanz sind „Wertbindungen (value commitments), epistemologische Überzeugungen (epistemological beliefs, world views), subjektive Theorien über Lehren und Lernen sowie Zielsysteme“15. Wertbindungen beziehen sich auf das berufliche Ethos, mit dem Lehrkräfte ihren Beruf wahrnehmen. Bei Religionslehrkräften könnten z.B. die evangelische Tradition der Hochschätzung der Bildung, das biblische Liebesgebot, die neutestamentliche Hochachtung vor Kindern, das Streben nach Gerechtigkeit in sozialen Strukturen oder auch die Fürsorge für benachteiligte Menschen zu den Werten gehören, die eine Art Koordinatensystem für die eigene berufliche Tätigkeit darstellen. Auch solche Wertbindungen reichen in ihrem Ursprung weit in die eigene Kindheit und Jugendzeit zurück und verändern sich in der Biografie nur langsam.

      Damit verknüpft sind intuitive, nicht wissenschaftlich begründete Vorstellungen über Wissen und Wissenserwerb, sowie allgemeiner gefasst über ‚Weltbilder‘, die „Denken und Schlussfolgern, Informationsverarbeitung, Lernen und Motivation“16 beeinflussen und deshalb für die Wahrnehmung von Unterrichtsprozessen und das eigene berufliche Handeln bedeutsam sind. So dürfte es einen erheblichen Unterschied ausmachen, wenn eine Religionslehrkraft ihre Schülerinnen und Schüler unter den Kategorien ‚Gläubige‘ und ‚Ungläubige‘ einordnet oder eine andere davon überzeugt ist, dass es im RU überhaupt nicht um Glauben oder Unglauben, sondern um eine Reflexion von Religion schlechthin geht. Auch ist es etwas anderes, wenn eine Lehrperson davon ausgeht, dass die Grundlage jedes Redens über Religion die eigene religiöse Erfahrung sei, oder eine andere darauf setzt, Religiosität unterrichtlich zu zeigen und zu veranschaulichen, um auf diese Weise eine reflexive Auseinandersetzung mit Religion zu ermöglichen.

      Schließlich sind es die subjektiven Theorien der Lehrkräfte17 über Lehren und Lernen, die „ihre allgemeinen Zielvorstellungen, die sie im Unterricht verfolgen, die Wahrnehmung und Deutung von Unterrichtssituationen, die an Schüler gerichteten Erwartungen und letztlich auch das professionelle Handeln beeinflussen.“18 Der Begriff steht in einer Spannung zu wissenschaftlich fundierten Theorien, da subjektive Theorien ihre Genese in persönlichen Erfahrungen haben. Gemeinsam ist den beiden Theoriearten, dass sie Phänomene durch die Annahme einer „Wenn-Dann-Beziehung“ einordnen. Subjektive Theorien entwickeln sich im Laufe der Biografie, sind tief in der Psyche des Einzelnen verankert, wirken häufig untergründig und unbewusst, sie gelten dem Individuum als unwiderlegliche Wahrheiten und sind deshalb schwer aufzubrechen. Sie helfen, die Welt zu erklären, sich in ihr zurechtzufinden und üben einen großen Einfluss auf das eigene Handeln aus. Subjektive Theorien können etwa bedingt sein durch das Vorbild oder Negativbild eigener Lehrkräfte in der Schulbiografie, durch positiv oder negativ erlebten Unterricht, durch kritische Episoden der Schulzeit oder die Erinnerung an bestimmte Unterrichtsmethoden. Eine nicht auszurottende subjektive Theorie, die bei vielen Gesprächen im Lehrerzimmer anzutreffen ist, lautet: „Dieser oder jener Schüler bringt schlechte Leistungen. Dann ist er entweder dumm oder faul.“ Für einen Studierenden mag die Person eines für die persönliche Situation und die Probleme von Schülern aufgeschlossenen Religionslehrers so überzeugend gewesen sein, dass er unbewusst dieses Lehrermodell verinnerlicht und als Leitbild für das eigene Handeln auswählt. Oder der RU der Oberstufe hat die Zweifel, Unsicherheiten, kritischen Fragen von Schülern explizit aufgenommen und Raum für ausführliche Diskurse gelassen, ohne auf Leistungsnachweise zu drängen – auch dies könnte die Konzeption des eigenen RU maßgeblich bestimmen.

      Wie geht man mit all diesen Orientierungen im Praxissemester um? Kein Zweifel: Sie alle bestimmen unbewusst und untergründig die Wahrnehmung, Reflexion und das eigene Handeln. Und sie treten oft genug in eine Spannung zu oder gar in einen Konflikt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Umso wichtiger ist es, die eigenen Einstellungen und Vorstellungen – soweit das möglich ist – ins Bewusstsein zu heben und sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Hier möchten wir Sie anregen, „1. Ihre Vorstellungen von Unterricht zu beschreiben zu versuchen und 2. darüber Rechenschaft abzugeben, welche subjektiven Theorien diesen Unterrichtsvorstellungen zugrunde liegen mögen; dies kann 3. zur Konfrontierung mit inkompatiblen Prämissen führen, die schließlich 4. in eine mögliche Rekonstruktion eben dieser Theorien ausmünden.“19 Die folgenden Vorschläge setzen jeweils eine Einzelarbeit voraus, deren Ergebnisse sollten aber in einer Gruppe (etwa in einem universitären Begleitseminar) vorgestellt und diskutiert werden.

      1.Welchen der Begriffe von Zeuge bis Hebamme (s.o.) würden Sie als repräsentativ für Ihr Selbstverständnis wählen? Begründen Sie Ihre Rollenwahl in der Form einer Selbstreflexion im Essaystil.

      2.„Eine gute/eine schlechte Religionslehrkraft war für mich …“

      •An welche/n RU-Lehrer/RU-Lehrerin erinnern Sie sich besonders?

      •Mit welchen Verhaltensweisen und Erlebnissen verbinden Sie diese Persönlichkeit?

      •Was an ihm/ihr halten Sie für Kennzeichen einer ‚guten‘, einer ‚schlechten‘ Religionslehrkraft?

      Verfahren: Kugellager

       Die Gruppe wird halbiert. Die erste Gruppe bildet einen Innenkreis, die zweite einen Außenkreis. Die Teilnehmer sitzen sich gegenüber und sind einander zugewandt. Die Teilnehmer bekommen eine Fragestellung, die sie mit dem Gegenüber austauschen. Zuerst berichtet die Person im Innenkreis und der Außenkreis hört zu. Nach einem Signal vom Moderator berichtet der Außenkreis und das Gegenüber hört zu. Dann rutscht der Außen- oder der Innenkreis um ein oder mehrere Plätze weiter, so dass neue Kombinationen entstehen. Das Verfahren kann mehrfach durchgeführt werden.

      3.Metaphernübung: „Guter Religionsunterricht ist für mich wie …“

      Verfahren:

      •Schritt 1: Einzelarbeit: Jede/r überlegt sich drei Metaphern, die seine Vorstellung von gutem RU beschreiben und malt sie auf ein A4-Papier.

      •Schritt 2: Partnerarbeit. Zeigen Sie sich gegenseitig Ihre Bilder. Einer hat das erste Wort und deutet die Metaphern des anderen (Was entdecke ich in den Bildern über Unterricht? Übereinstimmungen/Differenzen – Gründe dafür?)

      •Schritt 3: Gruppenbildung, je vier: Clustern der Metaphern nach Ähnlichkeit – Welche Vorstellungen vom Unterricht kommen darin zum Ausdruck?

      •Schritt 4: Einvernehmliche Auswahl eines Bildes in der Gruppe, das möglichst viele gemeinsame Vorstelllungen vom Unterricht umfasst – auf Plakat DIN A2 malen – Vorstellung des Bildes im Plenum.

      •Schritt 5: Plenum: Analyse und Diskussion der Bilder

      –Welches Bild von der Lehrerrolle, der Schülerrolle, des Lehr-/Lernprozesses wird erkennbar?

      –Welche subjektiven Theorien, ‚beliefs‘ und Wertbindungen liegen diesen Vorstellungen zugrunde?

      –Welche dieser Orientierungen sollten vor dem Hintergrund religionspädagogischer Erkenntnisse und Theorien diskutiert, geprüft und ggf. modifiziert werden?