Andreas Weigl

Bevölkerungsgeschichte Europas


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die Auflistung aller „Haushaltsvorstände“ und im Fall der Sklaven vermutlich sogar von Individuen. Trotz dieser ungewöhnlich guten Datenlage bewegen sich die Schätzungen der englischen Einwohnerzahl für das späte 11. Jahrhundert in einer Bandbreite von 1,4 bis 1,9 Millionen (Hinde 2003: 15 – 19), was auf die zahlreichen methodischen Probleme und Schwierigkeiten bei der Verwendung derartiger Quellen verweist. Noch ausführlichere Informationen enthält der in den Jahren 1427 – 1430 in Florenz erstellte Catasto, der rund 60.000 Haushalte mit 260.000 Personen erfasste (Herlihy / Klapisch 1985). Eine ungewöhnlich genaue Quelle stellt auch die Einhebung des Peterspfennigs als Kopfsteuer der gefirmten Bevölkerung im Königreich Polen dar, die zwar nicht wirklich als Kopfzählung durchgeführt wurde, aber eine sehr genaue Schätzung der Einwohnerzahl um die Mitte des 14. Jahrhunderts erlaubt (Kuhn 1973: 181 – 184). Eine ähnliche für großräumige Bevölkerungsschätzungen brauchbare demografische Quelle sind die anlässlich der osma­nischen Bedrohung erfolgten Ausschreibungen des „Gemeinen Pfennigs“ für alle Einwohner über fünfzehn Jahre im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, die zwischen 1422 und 1551 elfmal durchgeführt wurden. Zählungen einzelner Stadtbevölkerungen, wenngleich nicht in der Vollständigkeit der Nürnberger Erhebung von

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      1449, liegen seit dem Spätmittelalter in größerer Dichte vor, beispielsweise für Venedig für das Jahr 1338, Basel 1454 und Straßburg 1473/77. Auch für diese Zählungen ist jedoch von der Nichterfassung und / oder Untererfassung von Angehörigen der städtischen Unterschichten, von Frauen und von Kindern auszugehen (Kellenbenz 1986: 110 f.; Youngs 2006: 12). Zu diesen Quellen treten ergänzend Stadtbeschreibungen, diplomatische und chronikalische Berichte über Hungersnöte, Naturkatastrophen und Sitten­beschreibungen.

      Völlig außerhalb der Einwohnererhebungen stehen aus der Archäologie gewonnene Daten zur Größe von Siedlungen, Häusern und Wüstungen. In Verbindung mit dem Wissen über den Stand der Agrartechnologie lassen sich daraus für die Zeit geringer Siedlungsdichte und Urbanisierung sehr grobe Bevölkerungsschätzungen ableiten (Fehring 1987: 78 – 82). Aus der Paläopathologie können Rückschlüsse auf Morbidität und Mortalität von Populationen gezogen werden. Archäologische Befunde sind allerdings nur bedingt historisch-demografisch verwertbar, da zumeist keine geschlossenen Populationen ergraben werden können und es zumindest im Fall von Kindern zu häufigen Untererfassungen kommt, da ungetaufte Säuglinge manchmal außerhalb der Friedhöfe bestattet wurden oder sich Gräber von Säuglingen und Kleinkindern nicht erhalten haben.

      Insgesamt ist der Forschungsstand zur Bevölkerungsgeschichte der einzelnen Teile Europas quellenbedingt und aufgrund nationaler Forschungstraditionen recht unterschiedlich. Obwohl – nicht zuletzt aufgrund der dortigen liberalen Tradition (Glass 1973) – Volkszählungen in England und Wales erst relativ spät, nämlich seit 1801, durchgeführt wurden, erlaubte die hohe Dichte an Matrikendaten mittels der Methode der back projection die (eingeschränkte) Rekonstruktion der englischen Bevölkerungsentwicklung zurück bis um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Dabei wurden die Bevölkerungszahlen von der ersten verfügbaren Volkszählung rückgeschrieben, und zwar mithilfe von Tauf- und Sterbe­matrikdaten. Die große Unbekannte bei diesem Verfahren sind die Außenwanderungen, die allerdings zumindest für die nordamerikanischen Kolonien ebenfalls geschätzt werden konnten. Die Rekonstruktion der französischen Bevölkerung bis zum Jahr 1680 konnte sich im Gegensatz zum englischen Pendant auf Altersangaben in den Sterbematriken

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      stützen, die sich allerdings, was die Kleinkindersterbefälle anbelangt, als unvollständig erwiesen. Ein weiteres Problem bei der Rekonstruktion der französischen Bevölkerung stellten Migrationen vor allem der männ­lichen Bevölkerung (napoleonische Kriege) dar, die eine nicht unerheb­liche Lücke im Modell verursachten (Sokoll / Gehrmann 2003: 180 – 183).

      Das mit Abstand beste demografische Material bieten unzweifelhaft die skandinavischen Länder, die schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts so etwas wie laufend gewartete Bevölkerungsregister eingeführt und in einem im Jahr 1749 in Stockholm eingerichteten Zentralbüro verwaltet haben. Diese Register liefern Daten für das gesamte Staatsgebiet in sehr hoher Datenqualität nicht zuletzt deswegen, weil die skandinavischen Länder vergleichsweise isoliert waren und Wanderungsbewegungen eine verhältnismäßig geringe Rolle spielten. Aber auch in einigen anderen Ländern wie etwa der Schweiz, den Niederlanden und den böhmischen Ländern kann die Bevölkerungsgeschichte als gut aufgearbeitet bezeichnet werden. Am schwierigsten erweisen sich entsprechende Forschungen für jene Teile Europas, deren Rückständigkeit Zählungen behinderte oder deren Qualität beeinträchtigte. Dazu zählte vor allem der osmanische und russische Einflussbereich.

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Weltbevölkerung in Millionen: Schätzungen nach ...
JahrBirabenMcEvedy/JonesMalanima/UNJVR *
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