versteht sich als wissenschaftliche Disziplin mit wissenschaftlichen und anwendungsbezogenen Bezügen (Schad 2014; Grohnfeldt / Ritterfeld 2005). Dabei wird der Mensch mit seinem individuellen Erscheinungs-, Kompetenz- und Handlungsbild in Bezug zu seinem Umfeld und der Gesellschaft in den Mittelpunkt gestellt (Kap. 2). Aus dieser Sicht heraus wird die Pädagogik bzw. die Erziehungswissenschaft als Leitwissenschaft verstanden. Außerdem ist das Fach interdisziplinär auf verschiedenen Ebenen mit den Bezugswissenschaften der Linguistik, Medizin und Neurowissenschaften sowie der Psychologie, Semiotik (Wissenschaft von den Zeichen), Soziologie und Philosophie verbunden. Das Fach Pädagogik bei Beeinträchtigungen der Sprache und der Kommunikation gilt somit auch als Integrationswissenschaft für sprachpädagogische und sprachdidaktische Aufgabenstellungen (Kap. 2).
Bereiche
Das Fach Pädagogik bei Beeinträchtigungen der Sprache und der Kommunikation beinhaltet die Bereiche der Sprachpädagogik sowie der pädagogischen Sprachtherapie. Beide Bereiche zielen innerhalb des Bildungs- und Gesundheitswesens auf Bildungs- und Teilhabeorientierung ab. In der Anwendung des Faches auf der Grundlage sprachdidaktischer und / oder sprachtherapiedidaktischer Ansätze steht in beiden Ausrichtungen der Mensch im Hinblick auf seine persönliche und gesellschaftliche Verwirklichung im Mittelpunkt. Dabei können einerseits stärker sprachliche Lehr-Lern-Prozesse in Bildungskontexten im Schwerpunkt stehen oder andererseits mehr sprachtherapeutisch rehabilitative Prozesse in Einrichtungen des Gesundheitswesens (Grohnfeldt 2014c). Trotz historisch gewachsener und zumeist administrativ-struktureller Schwerpunktsetzungen weisen beide Bereiche immer auch integrierende Anteile des anderen Bereiches auf und schaffen somit eine Grundlage für Synergieeffekte in der Arbeit mit Menschen mit sprachlich-kommunikativen Beeinträchtigungen (Kap. 2) – dies gerade auch im Zuge der Inklusion.
1.4.2 Professionsstrukturen
Kontext der Professionsentwicklung
Die Entwicklung der Pädagogik bei Beeinträchtigungen der Sprache und der Kommunikation in Deutschland führte zu unterschiedlichen Professionsfeldern im schulischen und außerschulischen Kontext. Im historischen Verlauf leitender Menschenbilder, wissenschaftlicher Erkenntnisse, methodologischer Grundlagen, beeinflussender Umwelt-Kontexte, berufsständischer Strömungen, finanzpolitischer Zusammenhänge und administrativ-organisatorischer Rahmenbedingungen formierten sich diverse Berufsgruppen im Zusammenhang mit teils unterschiedlichen und teils einander überschneidenden Aufgaben- und Handlungsbereichen (Grohnfeldt 2014b, 2014d) (Kap.4).
Professionsgruppen
Im Wesentlichen existieren in Deutschland nachfolgende Berufsgruppen, die im Fach Pädagogik bei Beeinträchtigungen der Sprache und der Kommunikation tätig sind (Kap. 4):
Förderschullehrerin,
Akademische Sprachtherapeutin ,
Logopädin,
Atem-, Sprech- und Stimmheillehrerin,
Sprachförderfachkraft.
Vielfalt der Professionsstrukturen
Die Berufsgruppen, die mit Menschen mit sprachlich-kommunikativen Beeinträchtigungen arbeiten, weisen unterschiedliche Merkmale innerhalb der Professionsstrukturen auf:
Fähigkeiten und Handlungskompetenzen, die eine Fachkraft für spezifische Aufgabenbereiche und Handlungsfelder benötigt,
Ausbildungswege zum Erwerb entsprechender Kompetenzprofile und festgelegter Abschlüsse,
Klientel der Menschen mit sprachlich-kommunikativen professionellen Unterstützungsbedarfen in verschiedenen Lebensphasen,
Organisationseinheiten, in denen entsprechende professionellen Aufgaben ausgeführt werden,
Kostenträger zur Finanzierung der professionellen Tätigkeit.
1.4.3 Gegenstand und Klientel
deskriptive Klassifikation
Der fachliche Gegenstand der Pädagogik bei Beeinträchtigungen der Sprache und der Kommunikation umfasst eine Vielfalt an Erscheinungsformen. Diese Vielfalt kann nach unterschiedlichen Ordnungskriterien strukturiert werden. Zunächst können die unterschiedlichen Erscheinungsformen deskriptiv erfasst und auf der Symptomebene beschrieben bzw. entsprechend eingeteilt werden, z. B. in Störungen der Aussprache, des Wortschatzes, der Grammatik usw. Ein klassisches Klassifikationsschema folgt der Grob-Unterteilung nach den Aspekten der Sprache, des Sprechens, der Rede, der Stimme und des Schluckens. Somit sind folgende Störungsbereiche grob zu erfassen (Grohnfeldt 2012) (Kap. 5):
Sprachstörungen,
Sprechstörungen,
Redestörungen,
Stimmstörungen,
Schluckstörungen.
ätiologische Klassifikation
Außerdem können Erscheinungen auch ätiologisch systematisiert und auf der Ursachenebene erklärend erfasst werden. Dazu wäre eine Klassifikation nach Ursachen oder Ursachenbündeln von Störungen und Problemfeldern möglich (Braun 2006) (Kap. 5):
entwicklungsbedingt, z.B. Sprachentwicklungsstörung,
organisch bedingt im Bereich der peripheren Funktion, z.B. Zustand nach Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder im Bereich der zentralen Funktion, z.B. Aphasie,
psychisch bedingt, z.B. Sprechangst,
erblich-genetisch bedingt, z.B. sprachliche Erscheinungen im Zusammenhang mit Trisomie 21,
sozio-kulturell bedingt, z.B. durch benachteiligte Lebenslagen.
Möglichkeiten und Grenzen von Klassifikationen
Auf der Basis der vorgenannten Klassifikationsschemata erfolgte früher eher eine quantitative Bestimmung im Sinne des Schweregrades von Störungen. Immer mehr wurde erkannt, dass eine qualitative Sichtweise notwendig ist, um die Erscheinungsvielfalt im Bereich sprachlich-kommunikativer Beeinträchtigungen differenziert erfassen sowie geeignete Interventionsstrategien entwickeln zu können. Allerdings wirft eine Klassifikation immer auch Schwierigkeiten auf, da eine Untergliederung in vermeintlich homogene Gruppen die Individualität der betroffenen Menschen verfälschen kann.
demographischer, sozioökonomischer, technischer Wandel
Unser Fach wird auch weiter in der Perspektive neuer gesellschaftlicher Herausforderungen die Klassifikation von Phänomenen im Bereich der Sprache und Kommunikation anpassen müssen. Im angloamerikanischen Raum widmet sich unser Fach schon seit längerer Zeit neben den klassischen Störungsbildern zusätzlichen Erscheinungsformen (Schraeder 2013, ASHA 2005). Dort reagiert man bereits auf den Trend des demografischen, sozioökonomischen und technischen Wandels. Vor diesem Hintergrund erschließen sich zusätzlich folgende Erscheinungsformen:
Erscheinungen im Kontext von Cultural and Linguistic Diversity (kulturelle und sprachliche Vielfalt),
sprachlich-kommunikative Beeinträchtigungen im Alter,
Sprache und Kommunikation unter Armutsbedingungen,
Sprachentwicklung und Sprachgebrauch im Zusammenhang mit neuen Medien und digitalen Netzwerken.
Identitätsbildung