Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


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(parádeigma) und bedeutet »sehen, vorzeigen« oder »Beispiel, Muster«. Ein Wissenschaftsparadigma beschreibt »die Struktur der Faktoren und Vorstellungsaspekte, die das mehr oder weniger bewusste Vorverständnis ausmacht, das ein Wissenschaftler seinem Forschungsgebiet entgegenbringt« (Hillmann 1994, 648). Das hier genannte »Vorverständnis« ist Kontext und geistiges Fundament jeder wissenschaftlichen Theorie und somit wichtig zu verstehen, sowohl für den außenstehenden Betrachter, als auch für den theorieschaffenden oder theorietestenden Wissenschaftler:

      »In order to understand alternative points of view it is important that a theorist be fully aware of the assumptions upon which his own perspective is based. Such an appreciation involves an intellectual journey, which takes him outside the realm of his own familiar domain. It requires that he become aware of the boundaries, which define his perspective. It requires that he journey into the unexplored. It requires that he become familiar with paradigms which are not his own. Only then can he look back and appreciate in full measure the precise nature of his starting point.« (Burrell/Morgan 1979, ix)

      Bekannt wurde der Begriff des Paradigmas durch den US-amerikanischen Wissenschaftler Thomas Samuel Kuhn. In seinem 1962 erstmals erschienenen Werk The Structure of Scientific Revolutions analysierte er den Paradigmenwechsel der Newton’schen Gravitationstheorie hin zur Einstein’schen Relativitätstheorie (Kuhn 1976). Kuhn stieß damit eine weltweite Diskussion über das »Wesen der Wissenschaft« an, die ebenfalls von Forschern aus der Soziologie, Politologie und Psychologie geführt wurde. Ein Wissenschaftsparadigma kann verstanden werden als die Gesamtheit von Erkenntnisinteressen, theoretischen Bezugsrahmen, Fragestellungen und Methoden, die von einer Gruppe von Wissenschaftlern, also zum Beispiel einer Wissenschaftsdisziplin, zum Zweck des Erkenntnisgewinns geteilt wird und einen gewissen Zeitverlauf überdauert (Kuhn 1976). Jedoch können sich Paradigmen durch wissenschaftliche Entwicklungen, neue Erkenntnisse und Einstellungen oder gar Umbrüche lebensweltlicher Zusammenhängen verändern, was Kuhn (1976) als Paradigmenwechsel bezeichnet. Somit kann ein Paradigma auch als ein instruktives und stimulierendes Konstrukt aufgefasst werden (Cedarbaum 1983). Dies wirkt sich auf die Forschung aus: Sowohl theoretische Begriffe als auch die methodische Erfassung und Interpretation empirischer Befunde sind von den jeweiligen vorherrschenden Paradigmen geprägt. Dies trifft auch auf die Interkulturelle Managementforschung zu, denn die Angemessenheit bestimmter Methoden und die Relevanz der Art von Daten und der Erhebung sowie Interpretation hängen mit den zugrunde liegenden Paradigmen zusammen.

      Ein Paradigma kann sodann auch wie eine »wissenschaftliche Brille« wirken, durch welche Forscher Phänomene und Problemstellungen betrachten. Durch diese Brille werden bestimmte Aspekte schärfer wahrgenommen, andere weniger scharf. Somit kann es je nach Paradigma zu Verzerrungen in der Wahrnehmung und Beurteilung kommen. Die fortbestehende Koexistenz von Paradigmen in den Geistes- und Sozialwissenschaften scheint nach Schurz (2014) einen Normalzustand darzustellen und führt dazu, dass sich die parallel existierenden Paradigmen eines Forschungsbereichs meist ignorieren oder gar in ideologischer Rivalität zueinander stehen. Eine konstruktive Auseinandersetzung, die zu einer innovativen Theorieentwicklung führen könnte, stellt eher die Ausnahme dar.

      Die interdisziplinäre Vielfalt des Interkulturellen Managements findet sich, neben dem multidisziplinären Einfluss, auch in bestehenden Forschungsparadigmen, sprich in den grundlegenden, wissenschaftlichen Ansichten und in der Art, Forschung zu betreiben (Romani 2008). Um in einem konstruktiven Verständnis aus diesem Pluralismus einen Vorteil zu ziehen, bedarf es konzeptueller Strukturierungsmodelle (Scherer 1997).

      Ein Paradigmenmodell zur (interkulturellen) Einordnung und Analyse verschiedener Disziplinen sozialwissenschaftlicher Forschung, das eine breite Rezeption in der Organisationsforschung erfahren hat, stammt von den britischen Organisationssoziologen Burrell und Morgan (Abb. 2). In ihrem Werk teilen die Autoren anhand von zwei Dimensionen vier soziologische Paradigmen ein. Zur Konzeption der zwei Extrempositionen der horizontalen ersten Dimension, die die wissenschaftstheoretische Debatte der Sozialwissenschaften abbildet, bedienen sie sich der Bereiche der Wissenschaftstheorie: der Ontologie, Epistemologie und Methodologie. Annahmen zur menschlichen Natur werden als weitere sozialwissenschaftliche Elemente hinzugefügt. Das menschliche Wesen sei dabei entweder durch sein Umfeld bedingt (Objektivismus) oder ein kreatives Geschöpf, welches einen freien Willen besitzt, selbstständig agiert und das Umfeld beeinflussen kann (Subjektivismus) (Burrell/Morgan 1979, 2). Je nachdem welche Positionen zur Ontologie, Epistemologie und menschlichen Natur eingenommen werden, verändert sich die methodologische Herangehensweise einer Untersuchung.

      Die zweite Dimension betrifft die Debatte des gesellschaftspolitischen Standpunkts der Sozialwissenschaften und befasst sich mit Positionen zur Gesellschaft und ihrer Veränderung (Burrell/Morgan 1979, 10–20). Wird die Gesellschaft akzeptiert wie sie ist oder strebt man nach alternativen Gesellschaftsformen? Forscher, die das eine Extrem der »Sociology of regulation« (Regulierung) vertreten, akzeptieren die bestehende Gesellschaftsform als bestmögliche und konzentrieren sich auf die Suche nach Lösungen innerhalb dieser Grundform. Zielgrößen sind dabei Stabilität und Integration (Burrell/Morgan 1979, 13). Gesellschaft gilt als zusammenhaltende Einheit und es wird untersucht, welche Eigenschaften sie besitzt und wie diese entstanden sind. Außerdem besteht Interesse an den sozialen Kräften, die ein Auseinanderfallen verhindern (Burrell/Morgan 1979). Vertreter der Gegenposition, der »Sociology of radical change« (Wandel), versuchen Spannungsfelder, wie etwa Unterdrückung und die Ungleichheit von Machtbeziehungen, aufzudecken und sich für eine alternative, bessere Gesellschaft einzusetzen. Charakteristisch für die moderne Gesellschaft sind radikaler Wandel, tiefgreifende strukturelle Konflikte und Widersprüche, sowie Dominanzbeziehungen. Menschliche Entwicklung wird durch gegebene Strukturen eingeschränkt.

      Indem Burrell und Morgan (1979) diese Dimensionen miteinander in Beziehung setzen, entstehen vier Paradigmen:funktionalistisch, interpretativ, radikal strukturalistisch und radikal humanistisch. Das Paradigmenmodell ist als analytisches Werkzeug zu verstehen und dient der Klassifizierung von Theorien und Grundannahmen.

      Das funktionalistische Paradigma sucht rationale Erklärungen für die Sozialordnung, ist pragmatisch und problemorientiert, betont Gleichgewicht und Stabilität in der Gesellschaft und orientiert sich vor allem an den Grundaussagen der Naturwissenschaften (Burrell/Morgan 1979). Dem interpretativen Paradigma wird eine kohäsive, geordnete und integrierte Gesellschaft zugeschrieben und man entwickelt ein Verständnis der Welt, so wie sie ist, um auf diese Weise die sozialen Gegebenheiten aus subjektiven Erfahrungen heraus zu rekonstruieren. Dabei entsteht die soziale Realität aus einem Prozess, der von den Individuen bestimmt wird. Letzteres strebt auch das humanistische Paradigma an, allerdings impliziert dieses radikale Paradigma sozialen Wandel sowie das Überschreiten und Stürzen bestehender sozialer Ordnung als Grundlage für die menschliche Entwicklung. Das zweite radikale Paradigma strukturalistischer Prägung wird mit der marxistischen Theorie in Zusammenhang gebracht und konzentriert sich auf strukturelle Beziehungen innerhalb einer realistischen, sozialen Welt, sowie auf Kräfte- und Machtverhältnisse.

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      Abb. 2: Paradigmatische Strukturierung der Wissenschaften (übersetzt nach Burrell/Morgan 1979, 22)

      Das Modell kann folglich als eine Landkarte gesehen werden, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Wissenschaftsdisziplinen und deren Beziehungen sowie den zugrunde liegenden Referenzrahmen darlegt.

      Die Grundannahmen zentraler Werke und Wissenschaftler der Interkulturellen Managementforschung sollen nun zu diesem Paradigmenmodell von Burrell und Morgan (1979) in Bezug gesetzt werden. Diesen Versuch haben schon Primecz et al. (2009) mit einer Paradigmenanalyse der Cross-Cultural Management-Forschung geleistet, und hierbei auch eine Anregung gegeben, wie sich Interkulturelle Managementforschung theoretisch-methodisch weiterentwickeln kann. Die Einordnung schafft ein Bewusstsein für unterschiedliche paradigmatische Perspektiven und öffnet gleichzeitig den Blick für einen konstruktiven, kritischen Umgang mit vorherrschenden Paradigmen.

      Basierend auf