Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


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Rolle spielen als das Geschlecht oder das Alter der Mitglieder. In anderen Gruppierungen spielt vielleicht die berufliche Laufbahn oder der Abschlussgrad eine geringere Rolle als das aufgabenbezogene Wissen und die Fähigkeit, ein bestimmtes Problem zu lösen (Reiter-Palmon et al. 2012). Wie manifestieren sich nun multiple Kulturen in Organisationen?

      Multiple Kulturen bei Infineon

      Das deutsche multinationale Unternehmen im Bereich Halbleiter-Technik Infineon Technologies AG erwarb im Jahre 2014 das US-amerikanische Unternehmen International Rectifier Corporation, zu dem zahlreiche internationale Tochtergesellschaften gehören, so auch eine südfranzösische Tochtergesellschaft. In dieser Tochtergesellschaft arbeiten seit fast 20 Jahren vor allem Ingenieure und Informatiker aus Paris und Nordfrankreich, die durch US-amerikanische Managementmethoden sozialisiert wurden und diese in ihren Arbeitsstil integriert haben.

      Nun, mit dem Aufkauf durch das deutsche Unternehmen Infineon werden neue Methoden und Prozesse eingeführt, nämlich die der deutschen Zentrale von Infineon, die die »alten« ersetzen, bzw. überlagern. Gleichzeitig werden neue Informatiker eingestellt, die gerade ihr Studium abgeschlossen haben und der jüngeren Generation der Digital natives angehören. Sie weisen einen anderen Arbeitsstil auf als die älteren Kollegen. In der südfranzösischen Tochtergesellschaft, die von einer französischen Ingenieurin geführt wird, koexistieren nun – im Sinne multipler Kulturen – nicht nur verschiedene Regionalkulturen (Nord- und Südfrankreich) und Generationskulturen (jung und alt), sondern auch unterschiedliche Unternehmenskulturen (International Rectifier und Infineon) und Nationalkulturen (Frankreich, USA, Deutschland).

      Quelle: Eigene Erhebung

      Multiple Kulturen – auch im Sinne von Diversität – ermöglichen somit ein wesentlich differenziertes Bild kultureller Wirklichkeiten. Diversität ist eine Stärke, wenn sie zum einen spezifische Merkmale von Akteuren berücksichtigt und zum anderen zu einer Akzeptanz der Vielfalt von Gemeinschaften führt. Konstruktives Interkulturelles Management ist gefordert, strategisch und steuernd der Komplexität multiplen Kulturen zu begegnen, etwa durch die bewusste Betonung von verbindenden Gemeinsamkeiten (etwa die Berufskultur von Ingenieuren). Jedoch kann die zu starke Betonung von Singularitäten (Reckwitz 2017) sowie die Pluralisierung und Differenzierung von Kultur(en) in Organisationen und Gesellschaften problematisch sein: Anstatt Kultur(en) und ihre Merkmale zusammenzubringen und zu kombinieren, besteht die Gefahr, Besonderheiten und Unterschiede zu sehr zu betonen und damit eine trennende, zersplitternde Wirkung zu erreichen. Die vielen multiplen Kulturen stehen dann in permanenten Abgrenzungsprozessen und tragen zu Spaltungen bei.

      Stabilität und Dynamik von Kulturen

      In der Interkulturellen Managementforschung überwog lange Zeit das funktionalistische bzw. zweidimensionale Paradigma (Fang 2006). Diese Art nationale Kulturen zu beschreiben hat viel Kritik hervorgerufen (McSweeney 2009), da die Untersuchung bipolarer Dimensionen in der interkulturellen Forschung eine gewisse Stabilität voraussetzt. Wenn davon ausgegangen wird, dass nationale Identität kontextabhängig und dynamisch ist, kann dieser anfänglich herangezogene, in der nationalen Identität verankerte, kulturelle Referenzrahmen in neuen – interkulturellen – Kontexten modifiziert und angepasst werden. Bedeutungen, Praktiken und Normen können somit im Laufe der Zeit und im Rahmen von Interaktionen und Aushandlungen rekombiniert oder verändert werden (Brannen/Salk 2000, 458). Insofern eignen sich klassische Strukturmodelle, wie etwa die deterministisch wirkenden Kulturdimensionen interkultureller Forschung, wenig zur Beschreibung und zum Verständnis interkultureller Prozesse; Entwicklungsmodelle, die auf konstruktivistischen Annahmen beruhen und Dynamiken berücksichtigen, dagegen schon.

      Für das dynamische Verständnis von Interkulturalität sind z. B. die Forschungen des Kulturanthropologen Franz Boas (1858–1943) grundlegend. Er wies als einer der ersten Forscher darauf hin, dass Kulturen komplexe soziale Systeme sind, in denen einerseits relativ stabile, anderseits auch dynamische Elemente und Muster co-existieren: Zum einen sind Kulturen in spezifische historische Kontexte eingebettet. Zum anderen erfahren sie durch systemimmanente Interaktion sowie äußere Einflüsse Wachstum und Entwicklung (Benedict 1943; Boas 1949). Wachstum und soziale Entwicklung erfolgen durch die Verbreitung von Ideen, die teilweise aus anderen Sozialsystemen stammen, aus Innovationen und durch die Schaffung und Aufrechterhaltung von Institutionen.

      Boas verwies schon im Sinne von multiple cultures (Sackmann/Phillips 2004) darauf, dass moderne Anthropologie nicht »Kultur« im Singular, sondern »Kulturen« menschlicher Gruppen berücksichtigen sollte (Stocking 1966). Es ist sowohl der dynamische und evolutive Aspekt der Entwicklung von Kulturen als auch Boas humanistische, völkerverständigende Grundhaltung, die es Individuen und Gemeinschaften ermöglicht, durch reziproke und gleichberechtigte Kommunikations- und Interaktionsprozesse friedvoll und zugleich wirkungsvoll zusammenzuleben, was konstruktiver Interkulturalität entspricht.

      Während die Metapher der Kulturzwiebel (Hofstede 2001) Kulturen als voneinander isolierte, vielschichtige Konstrukte mit stabilem Kern (Werte) betrachtet, erlaubt die »Ozean«-Metapher (Fang 2006) die Identifizierung von Verhaltensweisen und Werten in einem bestimmten Kontext und zu einer bestimmten Zeit. Zugleich hilft die Metapher des Ozeans, Kultur als etwas fließendes und übergreifendes zu verstehen. Kultur weist nach Fang (2006) ein Eigenleben auf, da sie historisch voller widersprüchlicher Entwicklungen ist. Die Gesamtheit aller Inhalte und Prozesse einer Kultur ist aber zu keiner Zeit sichtbar, denn diese verbirgt sich, wie im Ozean, unter der Oberfläche und fördert ständig neue Entwicklungen. Außerdem geschehen durch interkulturelle Interaktion Wandlungsprozesse in Verhaltensweisen und Werten. Diese beiden Metaphern passen zu den Bezeichnungen von Bjerregaard et al. (2009): »Culture as code« würde der Zwiebel und einem stabil-funktionalistischen Kulturansatz entsprechen, »Culture in context« lässt sich dem Ozean und einem dynamisch-interpretativen Kulturansatz zuordnen. Tab. 21 fasst die unterschiedlichen Strömungen zusammen.

Stabil-funktionalistischDynaniisdi-mterpretativ
Management und OrganisationenStabilität durch historische Traditionen und nationale Institutionen wie Bildungssysteme, Gesetze etc.Dynamik durch Intensivierung von Interaktionen zwischen organisationalen Akteuren mit unterschiedlich kulturellem Hintergrund
AnnahmenHomogenität durch stabile Wertesysteme, BedeutungssystemeHeterogenität durch Internationalisierungsprozesse und Multikulturalismus
ParadigmaFunktionalistisch/positivistischInterpretativ
Kulturelle StrömungenLänderübergreifender KulturvergleichInterkulturelle Interaktion und multiple Kulturen
Kontext»Kultur als Code«: dekontextualisiert»Kultur als Kontext«: kontextualisiert
MetapherKultur als »Zwiebel«Kultur als »Ozean«
PerspektiveKultur als »Billardkugel«Ausgehandelte Kultur

      Kulturdimensionen und Kulturstandards sind sowohl zentraler Bestandteil der Interkulturellen Managementforschung als auch der organisationalen Praxis und finden sich in zahlreichen wissenschaftlichen Studien und Lehrbüchern (Mayrhofer 2017). Sie sind als Kategorien bzw. Variablen zu verstehen, die in bestimmter Kombination auftretende gesellschaftliche Phänomene beschreiben und auch für deren Analyse genutzt werden können. Sie werden oft herangezogen, um soziale Systeme wie Gesellschaften, Organisationen oder Gruppen zu charakterisieren oder zu vergleichen. Sie eignen sich, um anderskulturelles Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Verhalten besser zu verstehen (Barmeyer 2011c). Kulturdimensionen und Kulturstandards beziehen sich etwa auf den Umgang mit Zeit, Information, Raum oder Wertorientierungen wie Individualismus, Machtdistanz oder Partikularismus etc. Wichtige Vertreter dieses Ansatzes sind Hall (1959, 1976), Hofstede (2001), Schwartz (1992, 2006) und Trompenaars/Hampden-Turner (1997).

      Kulturstandards

      Der US-amerikanische Kulturanthropologe Edward T. Hall gilt allgemein als Begründer der Interkulturellen Kommunikation (Rogers et al. 2002, 13). Hall (1959) verfolgte eine emische Herangehensweise an