Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


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verstanden werden, d. h. sie zeigen Besonderheiten im Verhältnis auf und sind immer in spezifische Handlungskontexte eingebunden. Vor allem aber sind Kulturdimensionen und Kulturstandards, wie auch Kultur, lediglich Konstrukte, die helfen können, gesellschaftliche Phänomene zu verstehen.

      »CULTURE DOESN’T EXIST. In the same way values don’t exist […]. They are constructs, which have to prove their usefulness by their ability to explain and predict behavior. The moment they stop doing that we should be prepared to drop them, or trade them for something better. I never claim that culture is the only thing we should pay attention to. In many practical cases it is redundant, and economic, political or institutional factors provide better explanations. But sometimes they don’t, and then we need the construct of culture.« (Hofstede 2002, 1359)

      Diese Konstrukte können als »interkulturelle Landkarten« (Barmeyer 2011c) verstanden werden. Dabei gilt der Grundsatz des Konstruktivismus, d. h. Menschen konstruieren sich durch Vorerfahrungen, selektive Wahrnehmung und Reflexion ihre Wirklichkeit (Watzlawick 1976). Somit stellt die Landkarte eine vereinfachte Abbildung der Umwelt und damit eine Interpretation der Realität dar. Sie bildet zwar wesentliche Elemente ab, andere jedoch lässt sie außer Acht. Somit hilft sie Menschen, sich zu orientieren und organisieren. Schwierigkeiten treten dann auf, wenn die jeweilige Landkarte für die Realität gehalten wird.

      Im Sinne des Konstruktiven Interkulturellen Managements stellen Kulturdimensionen Orientierungshilfen dar, die bei der Gestaltung interkultureller Interaktion hilfreich sein können (Barmeyer 2011c). Sie lassen sich als Metawissen, als ›Steuerungsprogramme‹ verstehen, die es ermöglichen, die (1.) Eigenkultur bewusst zu machen, (2.) eine Fremdkultur besser zu verstehen und dadurch (3.) in interkulturellen Situationen konstruktiv und angemessen zu handeln. Tab. 26 stellt zusammenfassend Gefahren und Möglichkeiten von Kulturdimensionen dar.

Kulturelle Dimensionen können sein:Kulturelle Dimensionen sollten sein:
Kategorisierung und Klassifizierung kultureller UnterschiedeOrientierungsrahmen und Erklärungsansätze kultureller Unterschiede
statisch, starroszillierend, schwingend
schwarz/weißhellgrau bis dunkelgrau
»entweder oder«»sowohl als auch«

      Zirkuläre Dynamik von Kulturdimensionen

      Ein interessanter konstruktiver Ansatz ist, entsprechend einem postmodernen fluiden und flexiblen Kulturverständnis, Kulturdimensionen dynamisch und zirkulär zu denken und zu nutzen. Dabei ist die Grundidee, starre Bipolarität durch dynamische Zirkularität aufzulösen. Gegensätze befinden sich also nicht als Pole auf einer Geraden, sondern sind gegenüberliegende Elemente eines Kreises, was auf systemisches Denken und Kybernetik verweist. Kybernetik beschreibt Aufbau, Funktionen und Gesetzmäßigkeiten (wie Selbstregulation, lineare und nichtlineare Rückkopplung) von Systemen (Wiener 1952). Dieses Zirkuläre »sowohl als auch« kann metaphorisch wie folgt beschrieben werden:

      »Think of collectivism as water and individualism as molecules of ice. As the temperature changes, the ice crystals expand. At all times you have some water and some ice. Thus cultures have both collectivist and individualist elements all the time and are changing all the time. At any one point of time, we take a picture of the culture when we really should be taking a movie of constantly changing elements. In this metaphor, the earth is entering a new ice age!« (Triandis 1995, 173–174)

      Im Sinne dieses dynamischen Verständnisses von Kultur stellen Hampden-Turner und Trompenaars (1997), im Rahmen einer von Geert Hofstede im International Journal of Intercultural Relations initiierten wissenschaftlichen Kontroverse, das eher statische (Hofstede) und das eher dynamische (Hampden-Turner/Trompenaars) Konzept von Kulturen und Kulturdimensionen gegenüber (Tab. 27): »Instead of running the risk of getting stuck by perceiving cultures as static points on a dual axis map, we believe that cultures dance from one preferred end to the opposite and back.« (Hampden-Turner/Trompenaars 1997, 27)

Hofstedes Annahme ist, dass …Trompenaars Annahme ist, dass …
… Kulturen statischen Punkten in einem zweiachsigen Diagramm entsprechen.… Kulturen sich zwischen einem bevorzugten Extrem und seinem Gegenteil hin und her bewegen.
… eine Kulturdimension, eine ihr entgegengesetzte ausschließt.… eine Kulturdimension versucht, die ihr entgegengesetzte mit einzubeziehen.
… »unabhängige« Faktoren »abhängige« Variablen erklären.… Wertedimensionen sich in Systemen selbst organisieren, um neue Bedeutungen hervorzubringen.
… anerkannte statistische Verfahren kulturell neutral und wertfrei sind.… anerkannte statistische Verfahren kulturell voreingenommen und wertend sind.
… Kulturen linear sind und in gewisser Weise festgeschriebene Eigenschaften besitzen.… Kulturen Kreisen entsprechen, die ihr entgegengesetzte mit einbeziehen.
… Daten von IBM aussagekräftiger sind als aus akademischer Forschung gewonnene Erkenntnisse, und besser die Herangehensweisen des Managements widerspiegeln.… von IBM gewonnene Daten bloß Imitationen akademischer Forschung sind und die Regelkonformität des Managements widerspiegeln.
… er durch induktives Vorgehen seine Kategorien aus den IBM-Daten ableiten und damit seine eigenen Skalen entwickeln konnte.… Hofstede durch die Wahl eines induktiven Denkansatzes nur diejenigen Skalen reproduziert hat, aus denen IBM bereits seine Fragen abgeleitet hatte.
… es keine bessere Platzierung innerhalb der Quadranten (kombinierter Kulturdimensionen) und somit auch keine Antwort auf die Fragen gibt, wie nun vorzugehen sei und in welche Richtung die Entwicklung stattfinden solle.… es keine bessere Möglichkeit gibt, als, ausgehend von den sieben Dimensionen, gegensätzliche Werte zu integrieren und zum Ausgleich zu bringen sowie auf diese Weise bessere Ergebnisse zu erzielen.
Zu guter Letzt, was voraussichtlich folgen wird, dass …
… A priori Konzepte wie das »Dilemma«-Konzept metaphysische Konstrukte sind, mit keinerlei empirisch begründeter Daseinsberechtigung, überprüfbarer Validität oder Möglichkeiten der Verifizierung.… Dilemmata schon seit der klassischen griechischen Tragödie Teil einer jeden Kultur sind, von den ursprünglichen Gegensätzen im Taoismus, über Shakespeare bis hin zu den Binärcodierungen der Anthropologen der heutigen Zeit.
… alle Kulturen sich unterscheiden, wenngleich diese Abweichungen als relativ signifikant bezüglich der Ausprägung von lediglich vier Variablen verstanden werden können.… alle Kulturen sich mit identischen Dilemmata konfrontiert sehen, sich jedoch hinsichtlich der gefunden Lösungen unterscheiden, welche Gegensätze auf kreative Weise überwinden.

      Christoph Barmeyer und Sina Großkopf

      Für das Verständnis von sozialen und kulturellen Phänomenen im Allgemeinen und für die wissenschaftliche Untersuchung von Interkulturalität im Besonderen ist es wichtig, die Grundannahmen und Werte von Wissenschaftlern, Fach- und Führungskräften oder Beratern zu begreifen, um deren Umgang mit der Komplexität der Welt zu erfassen, zu ordnen und zu verstehen.

      Paradigmen können als systematische Grundhaltungen bezeichnet werden, wie die Welt wahrgenommen, verstanden und erklärt wird (Kuhn 1976). Es handelt sich um ein geordnetes Bündel von Annahmen und Vorstellungen, anhand derer beobachtbare Phänomene eingeordnet und Fragestellungen behandelt werden. Paradigmen geben einem Forschungsfeld somit einen Rahmen, Orientierungspunkte und Strukturierungsmerkmale, die bewusst oder unbewusst herangezogen werden, um Lösungen in der komplexen und widersprüchlichen (Wissens-)Welt zu generieren.

      Der