Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


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Verständnis von Struktur und Funktionsweise im Einzelfall zu erlangen. Halls Kulturdimensionen stellen eine Kategorisierung grundlegender Aspekte des menschlichen Zusammenlebens und Verhaltens dar. Bekannteste Dimensionen sind die Dichte von Informationsnetzen (Kontext), das Raumverhalten (Proxemik) und das Zeitverständnis (Zeit) (Tab. 22).

Kontext: Implizite und Explizite Kommunikation
Indirekte, spielerische und mehrdeutige Übermittlung von Informationen. Implizite Kommunikation ist schneller. Nur Beteiligte, die schon Vorwissen (Kontext) haben, verstehen Informationen richtigDirekte, detaillierte und eindeutige Übermittlung von Informationen. Explizite Kommunikation ist langsamer. Alle Beteiligten verfügen über ein ähnliches Wissensniveau
Raumverständnis: Proxemik
Strukturierung und Nutzung des Raums durch Ordnungs- und Leitungssysteme. Physischer Abstand (Nähe und Distanz) zwischen PersonenAufteilung, Ordnung und Nutzung des Raumes im Privatleben (Wohnung, Haus), im öffentlichen Leben (infrastrukturelle Maßnahmen) und in Unternehmen (Größe, Anordnung und Gestaltung von Gebäuden und Büros nach Zugehörigkeit, Funktionen, Hierarchien etc.)Eigenes menschliches und zugleich kulturspezifisches Kommunikationssystem, dessen Basiseinheiten (Körperhaltung oder Körperberührung) über verschiedene Kommunikationskanäle übermittelt werden und ein komplexes Muster des Raumverhaltens bilden
Zeitverhalten: Polychronie – Monochronie
(= vieles gleichzeitig)Im Arbeitsrhythmus finden sich häufig unvorhergesehene Unterbrechungen, Improvisation ist gefragt Individuen messen Pünktlichkeit weniger Bedeutung zu, als Individuen monochroner GesellschaftenZwischenmenschliche Beziehungen haben höhere Priorität als Aufgaben und ein festes Arbeitsprogramm(= eins nach dem anderen)Zeit wird eingeteilt in kleine, unabhängige EinheitenRisiken werden durch Planung und Formalisierung verringert oder ausgeschaltet Arbeitsrhythmus ist gleichmäßig, Stress-Situationen sind dadurch selten. Eintreffende Ungewissheit ist störend, bringt den Ablauf durcheinander und kann Orientierungslosigkeit bewirken

      Weitere Kulturdimensionen stammen von dem Niederländer Geert Hofstede (1980, 2001). In seiner quantitativ durchgeführten Studie untersuchte er mithilfe standardisierter Fragebögen arbeitsbezogene Wertorientierungen und Einstellungen von 116.000 IBM-Mitarbeitern in 72 Ländern. Die Interpretation der Ergebnisse erfolgte durch Konzepte der Psychologie und Soziologie. Die gefundenen Kulturdimensionen (Tab. 23) sollen objektive und vergleichbare Kriterien zur Beschreibung und Analyse unterschiedlicher Gesellschaften liefern und weisen je nach Gesellschaft relativ unterschiedliche Ausprägungen auf. Sie werden anhand von Indizes in ein Ranking nach Ländern eingereiht. Mit seiner Studie Culture’s Consequences (1980, 2001) legte Hofstede die Basis für den strategischen Umgang mit kulturellen Einflüssen in der internationalen Arbeitswelt.

Hohe Machtdistanz – Niedrige MachtdistanzAusmaß, bis zu welchem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen bzw. Organisationen eines Landes erwarten und akzeptieren, dass Macht ungleich verteilt ist.
Tendenz zur ZentralisationMitarbeiter erwarten, Anweisungen zu erhalten Der ideale Vorgesetzte ist der wohlwollende Autokrat oder gütige VaterTendenz zur Dezentralisation Mitarbeiter erwarten, in Entscheidungen miteinbezogen zu werden Der ideale Vorgesetzte ist der einfallsreiche Demokrat
Kollektivismus – Individualismus
Individuen sind in starke, geschlossene Wir-Gruppen integriert, die ihn schützen und dafür bedingungslose Loyalität verlangenBeziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer wird an moralischen Maßstäben gemessen, ähnlich einer familiären Bindung Management bedeutet Management von GruppenBeziehung hat Vorrang vor AufgabeBindungen zwischen Individuen sind locker: Man erwartet von jedem, sich um sich selbst und seine unmittelbare Familie zu sorgenBeziehung Arbeitgeber-Arbeitnehmer ist ein Vertrag, der sich auf gegenseitigen Nutzen gründen sollManagement bedeutet Management von Individuen Aufgabe hat Vorrang vor Beziehung
Schwache Unsicherheitsvermeidung – Starke UnsicherheitsvermeidungGrad, bis zu dem sich die Angehörigen einer Kultur durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen.
Zeit ist ein Orientierungsrahmen Wohlbefinden bei Müßiggang, harte Arbeit nur, wenn erforderlich Präzision und Pünktlichkeit müssen erlernt werden Motivation durch Leistung und Wertschätzung oder soziale BedürfnisseZeit ist GeldEmotionaler Drang nach Geschäftigkeit, innerer Drang nach harter Arbeit Präzision und Pünktlichkeit sind natürliche Eigenschaften Motivation durch Sicherheitsbedürfnis und Wertschätzung oder soziale Bedürfnisse
Maskulinität – Femininität
Geschlechterrollen sind klar abgegrenzt: Männer haben bestimmt und hart orientiert zu sein, Frauen sollen bescheidener, sensibler sein und Wert auf Lebensqualität legen Leben, um zu arbeiten Betonung liegt auf Fairness, Wettbewerb unter Kollegen und Leistung Konflikte werden beigelegt, indem sie ausgetragen werdenGeschlechterrollen überschneiden sich: Sowohl Frauen als auch Männer sollten bescheiden und feinfühlig sein und Wert auf Lebensqualität legen Arbeiten, um zu leben Betonung liegt auf Gleichheit, Solidarität und Qualität des Arbeitslebens Konflikte werden durch Verhandlung und Kompromiss beigelegt
Langfristorientierung – KurzfristorientierungDimension nachträglich hinzugefügt nach der Chinese Value Survey (1985).
Förderung von Tugenden, die sich an zukünftigen Belohnungen orientieren, insbesondere Ausdauer und Sparsamkeit Zu den wichtigsten Arbeitswerten gehören Lernen, Ehrlichkeit, Anpassungsfähigkeit, Verantwortlichkeit und Selbstdisziplin Langfristige Pläne werden erstellt Hohe Bedeutung von Traditionen Ausdauer und Beharrlichkeit bei der Verfolgung von ZielenFörderung vergangener und gegenwärtiger Tugenden, insbesondere die Achtung der Tradition, die Wahrung des »Gesichtes« und die Erfüllung gesellschaftlicher Verpflichtungen Zu den wichtigsten Arbeitswerten gehören Freiheit, Rechte, Leistung und selbstständiges Denken Kurzfristige Planung wichtiger als langfristige Planung Erwartung kurzfristiger Gewinne Konsumneigung
Genuss – ZurückhaltungDimension basierend auf Minkovs Begriff von Indulgence vs. Restraint (Minkov/Hofstede 2011).
Freie Befriedigung grundlegender und natürlicher menschlicher Bedürfnisse in Verbindung mit Lebensfreude und Vergnügen Entspannte Haltung zu Arbeit, Sparsamkeit und Abweichungen Hohe Priorisierung der Freizeit Wahrnehmung, das eigene Leben kontrollieren zu könnenÜberzeugung, dass Befriedigung menschlicher Bedürfnisse durch strenge soziale Normen eingedämmt und reguliert werden sollte Persönliche Disziplin, um das Ziel zu erreichen Geringe Priorisierung der Freizeit Wahrnehmung von Hilflosigkeit: »Was mit mir geschieht, ist nicht mein eigenes Tun«

      Zwei weitere Personen, die Kulturdimensionen maßgeblich prägten, sind der Niederländer Fons Trompenaars, der 1993 das Werk Riding The Waves of Culture veröffentlichte, und der Brite Charles Hampden-Turner. Beide Forscher haben als Berater- und Autoren-Tandem zahlreiche Werke veröffentlicht. Wie auch Hofstede stützen sie sich auf die Annahme von Kluckhohn und Strodtbeck (1961), dass Kulturen universellen Problemen gegenüberstehen, wofür sie jeweils unterschiedliche Lösungen finden (Trompenaars/Hampden-Turner 1997). Methodisch arbeitete Trompenaars in seiner ersten Studie (1993) mit 30.000 standardisierten Fragebögen, die er in 30 Unternehmen in 50 verschiedenen Ländern beantworten ließ. Die daraus resultierenden Kulturdimensionen leiten sich zum einen von Kluckhohn und Strodtbeck (1961) ab, zum anderen von dem US-amerikanischen Soziologen Talcott Parsons (1952) und Parsons und Shils (1951/1991). Sie finden sich in Tab. 24.

Universalismus – PartikularismusGrad der Wichtigkeit, den eine Kultur entweder dem Gesetz oder den persönlichen Beziehungen beimisst.
Haltung, die besagt, dass Normen und Regeln für das Verhalten gegenüber anderen Menschen für alle gleich geltenHaltung, die besagt, dass partikulare Verpflichtungen gegenüber einzelnen Mitgliedern wichtiger sind, als das Befolgen allgemeinverbindlicher Normen und Regeln
Individualismus – KollektivismusGrad, zu dem Menschen sich selbst eher Individuum sehen oder eher einer Gemeinschaft zugehörig fühlen.
Individuum steht vor der Gemeinschaft. Das bedeutet, dass individuelles Glück, Erfüllung und Wohlergehen vorherrschen, Menschen Eigeninitiative