Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


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Werteverschiebungen konstatieren. Nach Inglehart (1997) wandeln sich Werte von materialistischen in postmaterialistische, sobald ein gewisser Lebensstandard erreicht ist. Materielle Werte beziehen sich auf die ›Aufrechterhaltung der Ordnung‹ oder wirtschaftliches Wachstum‹, während sich postmaterielle Werte in ›Partizipation in Politik und Arbeit‹ oder ›Schutz der freien Meinungsäußerung‹ ausdrücken. Bestimmen Überlebensnöte nicht mehr den Alltag, so wenden sich Menschen der Selbstverwirklichung zu. Ebenso stellt die WVS einen Wertewandel von traditionellen Werten zu säkular-rationalen weltlichen Werten fest. Dies hat etwa zur Folge, dass in sich modernisierenden Gesellschaften eine größere Toleranz gegenüber Randgruppen, wie Ausländern und Homosexuellen besteht und ein größeres Bewusstsein für das subjektive Wohlbefinden entsteht, das Vertrauen und politische Mäßigung fördert (Inglehart/Baker 2000).

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      Abb. 1: Cultural map – World Values Survey Wave 6 (2010–2014), http://www.worldvaluessurvey.org/images/Culture_Map_2017_conclusive.png

      Werte und ihre Unterschiede beziehen sich jedoch nicht nur auf Nationalkulturen, sondern betreffen genauso Organisationen, Generationen (Smola/Sutton 2002; Sackmann/Phillips 2004; Scholz 2014b) oder Lebensstile wie den LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability), eine Personengruppe, die eine nachhaltige Ausrichtung ihres Lebens verfolgt (Ray/Anderson 2000).

      Für das Konstruktive Interkulturelle Management ist von Bedeutung, dass sich Werte nicht nur auf der Ebene der Nationalkultur, sondern auch innerhalb einer Nationalkultur auf der Organisations- und Branchenebene situieren. Dies zeigen z. B. Studien in brasilianischen (Arellano et al. 2013), italienischen (Canhilal et al. 2013) oder spanischen (Esteve et al. 2013) Verwaltungen. Als theoretischer Bezugsrahmen dient Dolans (et al. 2004) Drei-Achsen-Modell. Dieses lässt eine Kategorisierung und Priorisierung von Werten zu und verhilft zum besseren Verständnis bezüglich organisationaler Werte. Das Modell teilt in drei Werte-Achsen ein:

      –Ethisch-soziale Achse: Umfasst Werte vor allem in Bezug auf Gruppen und Verhaltensweisen in Gesellschaften. Zugeordnet sind ihr beispielsweise Großzügigkeit, Ehrlichkeit und Transparenz.

      –Ökonomisch-pragmatische Achse: Umfasst Werte vor allem in Bezug auf Planung, Erfolg und Qualität der Arbeit. Zugeordnet sind ihr beispielsweise Effizienz, Ordnung, Pünktlichkeit und Disziplin.

      –Emotionale Entwicklungsachse: Umfasst Werte vor allem in Bezug auf ein erfülltes, ausgestaltetes Leben. Zugeordnet sind ihr beispielsweise Kreativität, Autonomie, Anpassungsfähigkeit und Freude.

      Tab. 18 zeigt das Ergebnis der Achsen-Zuordnung (als Säulen) der Werte der Studie zur Verwaltung in Italien (Canhilal et al. 2013).

Ethisch-sozialÖkonomisch-pragmatischEmotionale Entwicklung
Authentizität, Zugehörigkeit, Mitgefühl, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Integrität, Respekt, Vertrauen, VerständnisGenauigkeit, Engagement, Beitrag, Effektivität, Effizienz, Wissen, Logik, Vorbereitung, Professionalität, Pünktlichkeit, Realismus, Struktur, Synergie, Teamarbeit, NützlichkeitAnerkennung, Abenteuer, Herausforderung, Kreativität, Kompetenz, Wachstum, Glück, Motivation, Aufgeschlossenheit, Optimismus, Leidenschaft, Freude, Zufriedenheit

      Neben zusätzlichen Analysen zu Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus oder Verantwortungsebene können somit weitere Erkenntnisse bezüglich Wertetendenzen in Abhängigkeit der demografischen Variablen entsprechender Organisationen gewonnen werden.

      Kultur als Referenz- und Bedeutungssystem

      Trotz aller Einmaligkeit und Individualität verfügen Menschen nach Thomas (2004, 145) über ein gewisses »Repertoire an Gemeinsamkeiten«, um miteinander zu kommunizieren, also durch Zeichen Bedeutungen auszutauschen und sinnvoll zu interagieren, wie es Max Weber (1904) bereits Anfang des 20. Jahrhundert vertrat.

      »[…] keine Erkenntnis von Kulturvorgängen [ist] anders denkbar […], als auf der Grundlage der Bedeutung, welche die stets individuell geartete Wirklichkeit des Lebens in bestimmten einzelnen Beziehungen zum Inhalt hat. In welchem Sinn und in welchen Beziehungen dies der Fall ist, enthüllt uns aber kein Gesetz, denn das entscheidet sich nach den Werteideen unter denen wir die ›Kultur‹ jeweils im einzelnen Falle betrachten. Kultur ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter endlicher Ausschnitt aus einer sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens.« (Weber 1904, 55)

      Kultur besteht aus gemeinsamen Wissensbeständen sowie aus selbstverständlich und natürlich erachteten Grundannahmen, Erwartungen, Vorstellungen und Bedeutungen, die innerhalb einer Gruppe Eindeutigkeit, Sinnstiftung und geteiltes Wissen schaffen können (Hall 1981; Witt/Redding 2009). Diese erlernten und geteilten Ideen, Symbole und Bedeutungen ermöglichen es Mitgliedern einer Kultur, sinnhaft und zielorientiert zu kommunizieren und zu kooperieren (Geertz 1973). Soziale Gruppen müssen dabei nicht ein exakt gleiches Wissen oder Bedeutungssystem teilen; sie lassen vielmehr durch einen gemeinsamen Bezugsrahmen ein weitgehend geteiltes Verständnis der sozialen Wirklichkeit entstehen (Berger/Luckmann 1966; Holden 2002). Dieses Bedeutungssystem wird im Sozialisationsprozess erlernt (Dubar 1991) und dient zur angemessenen Interpretation kommunikativer Handlungen (Wimmer 2005).

      »All cultures […] provide interpretative systems that give meaning to the problems of existence, presenting them as elements in a given order that have therefore to be endured, or as the result of a disturbance of that order, that have consequently to be corrected.« (D’Iribarne 1994, 92).

      Eine besondere wichtige Rolle nehmen hierbei Zeichen und Symbole ein, die nach Geertz (1973) dazu beitragen, dass Kultur ein »Bedeutungsgewebe« und »semantisches Inventar« darstellt. Dabei stehen sich auch bezüglich dieses sinngebenden Bedeutungsgewebes das Gemeinsame und das Individuelle, das Geteilte und das Partikulare, das Eindeutige und das Ambivalente gegenüber. Bieri (2011) unterstreicht außerdem den Zusammenhang von Identität und Bedeutungssystem: Identität bildet sich heraus aus »Bedeutungsgeweben«.

      Interkulturell relevant werden Bedeutungssysteme, wenn bestimmte Symbole von Interagierenden nicht verstanden werden, da diese nicht über das jeweilige Regelwissen verfügen und bestimmte Symbole nicht kennen. Außenstehende sehen sich deshalb mit einer »Vielfalt komplexer, oft übereinander gelagerter oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen [konfrontiert], die fremdartig und zugleich ungeordnet und verborgen sind.« (Geertz 1973, 15). Dabei entsteht in der interkulturellen Situation etwas Uneindeutiges, Vages und Neuartiges, das als bedrohlich oder anregend wahrgenommen werden kann. Die Relativität von Bedeutungssystemen und die in interkulturellen Situationen möglichen Irritationen werden im Kapitel »Sprache und Kommunikation« vertieft.

      Kultur als System der Problembewältigung und Zielerreichung

      Nach den Kulturanthropologen Kluckhohn und Strodtbeck (1961) ist Kultur eine Art und Weise der Problemlösung. Dies bedeutet, dass Akteure in sozialen Systemen spezifische Formen und Wege finden, Ziele zu erreichen. Auch wenn eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten existiert, werden aufgrund von (unbewussten) Werten, Erfahrungen und Ansprüchen bestimmte bewährte, ›dominante‹ Lösungen zur optimalen Regulierung zwischenmenschlichen Handelns und zum Überleben und Fortbestand des Systems vorgezogen (Parsons 1952). Diese Lösungen können z. B. Regeln oder Methoden, aber auch Institutionen sein. Wenn relativ ähnliche Wertorientierungen in Gemeinschaften bestehen und sich diese als erfolgreich herausgestellt haben, entwickeln Gemeinschaften bestimmte Lösungsmuster mit besonderer Häufigkeit und Ausprägung. Kluckhohn und Strodtbeck formulieren diesbezüglich drei Annahmen:

      »First it is assumed that there is a limited number of common human problems for which all peoples at all times must find some solution. This is the universal aspect of value orientations because the common human problems to be treated arise inevitably out of the human situation. The second assumption is that while there is variability in solutions of all the problems, it is neither