Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


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Schlussfolgerungen abgeleitet.Moderner Forschungsansatz wählt einen holistisch-systemischen Betrachtungsfokus und kontextualisiert bewusst, beispielsweise auf der Organisationsebene.(10) LegitimitätLegitimität von wirtschaftlicher Rationalität und Umgang mit Kultur wird vorausgesetzt und nicht hinterfragt.Kritische Ansätze wie die Critical Management Studies und die kritische Kulturtheorie hinterfragen den Zweck der Forschung.

      Die meisten Kritiken zielen auf eine unzureichend komplexe Sicht der Dinge ab: So werden weder die Komplexität des gesellschaftlichen und ökonomischen Umfelds noch die Komplexität des Kulturbegriffs noch die Komplexität der inhärenten Interdisziplinarität ausreichend erfasst.

      Dies beginnt mit der Dominanz des funktionalistischen Kulturparadigmas. Lange Zeit wurde die Interkulturelle Managementforschung von positivistischen und funktionalen Paradigmen bestimmt, die Kultur und interkulturelle Beziehungen als messbar und als von außen deterministisch gestaltbar ansehen. An ihre Stelle treten nun zunehmend interpretative und postmoderne Paradigmen europäischer und nicht-westlicher Forschung. Diese Ansätze nehmen Interkulturalität, die sich lange Zeit nur auf Nationalkultur bezog, wesentlich differenzierter und mehrschichtiger wahr. So werden zunehmend sozialhistorische Kontexte berücksichtigt (D’Iribarne 2003; Ybema/Byun 2009; Dupuis 2014). Nach und nach – wenn bisher auch eher vereinzelt – beeinflussen postkoloniale und Gender-Studien, die schon lange in den Kultur- und Sozialwissenschaften Einzug gehalten haben, die Interkulturelle Managementforschung (z. B. Jack/Westwood 2009; Primecz et al. 2016; Mahadevan 2017). In den Vordergrund rücken auch ungleich verteilte, von Beteiligten nicht immer bewusst wahrgenommene Macht- und Dominanzstrukturen von Akteuren, Organisationen oder ganzen Gesellschaften. Bislang dominieren »die Mächtigen« »die Schwachen« und setzen infolgedessen ihre Interessen, Themen und Entscheidungen durch. Doch interkulturelle Beziehungen sind in bestimmte Kontexte eingebunden, in denen Interessen und Strukturen der Macht asymmetrisch wirken, was die Betrachtung der unterschiedlichen Sichtweisen und divergierenden Erwartungen der beteiligten Akteure erfordert. Die Differenzierung zwischen tendenziell monokulturell ausgerichteten Situationen und interkulturellen Situationen ist zukünftig noch deutlicher zu differenzieren.

      Die kulturelle Prägung – konkreter, die westliche Perspektive – der Interkulturellen Managementforschung zu überwinden, ist eine große Zukunftsaufgabe. Ein Blick in die Forschungsgeschichte zeigt, dass ihre Wurzeln in westlichen Gesellschaften liegen (Saussois 1994): in der deutschen Soziologie in der Tradition Max Webers, in den französischen Impulsen seit Henri Fayol, in der US-amerikanischen Managementpraxis seit Frederick Winslow Taylor. Wie stark ein großer Teil der Managementpraxis von den USA geprägt ist, darauf verweisen unzählige Methoden und Instrumente in Organisationen wie Change-Management, Knowledge Management, Matrix-Organisation, Corporate Values, MBO, Feedback, 360°-Feedback, Empowerment, Assessment Center, Coaching, Diversity Management, Corporate Social Responsibility, Work-Life-Balance, Compliance. Der Eindruck der US-amerikanischen Hegemonie (z. B. Frenkel/Shenhav 2003; Schmid/Oesterle 2009; Tietze/Dick 2013) resultiert zum Teil aus der Dominanz der englischen Sprache, mit der auch (US-amerikanische) Normen auf Management- und Wissenschaftspraktiken übertragen werden (z. B. Archer 2000; Tietze 2004; Gmür 2007; Davoine/Gmür 2012; Chanlat 2014). Hinzu kommt ein Oligopol aus fünf dominierenden Wissenschaftsverlagen (Elsevier, Taylor & Francis, Wiley-Blackwell, SAGE Publications, Springer Nature), die weltweit mehr als die Hälfte der internationalen Journal-Publikationen herausgeben (Larivière et al. 2015). Die Folge ist eine weltweite Harmonisierung der Zugänge zu Forschung (Adler/Harzing 2009) und Standardisierung der Publikationsformate, die bei Zugrundelegung einer universellen Wissenschaftsauffassung funktional erscheint. Jedoch ist kritisch zu hinterfragen, ob die US-amerikanisch dominierte Interkulturelle Managementforschung den konkurrierenden Forschungstraditionen anderer Länder tatsächlich qualitativ überlegen ist (Barmeyer/Ivens 2011). Und der norwegische Friedensforscher Johan Galtung (1981, 1983) hat bereits in einem amüsanten und vielbeachteten Essay zu intellektuellen Stilen thematisiert, dass Wissenschaftslogiken nicht universell sind, sondern ihre Spezifika – er unterscheidet teutonische, gallische, sachsonische und nipponische – aufweisen. Es ist an der Zeit, die Internationalität der Interkulturellen Managementforschung in den Blick zu nehmen, indem der Forschung von Forschern aus nicht-westlichen Ländern, in nicht-englischer Sprache und mit Bezug auf nicht-westliche Kulturen ein höherer Stellenwert eingeräumt wird (D’Iribarne 2007; Jack/Westwood 2009).

      Eine weitere, vermutlich nur langfristig lösbare Herausforderung ist, Theorie und Praxis der Interkulturellen Managementforschung stärker miteinander zu verzahnen. Beide liegen relativ weit auseinander, es existieren nur wenige Berührungspunkte zwischen diesen beiden Welten und beide Welten scheinen sich sogar noch voneinander zu entfernen: »Praktiker misstrauen den wissenschaftlichen Konstrukten der Theoretiker, diese wiederum misstrauen den typologisierend-pragmatischen Ansätzen der Praktiker. Im Interkulturellen Management müssen Beratungsfirmen notgedrungen mit Generalisierungen arbeiten, um die Komplexität kultureller Systeme für Trainingsteilnehmer verständlich zu machen« (Barmeyer 2000, 100). Hinzu kommt, dass die Interkulturelle Managementforschung Folgerungen für ein zielrationales Verhalten vor dem Hintergrund einer multidimensionalen Kultureffektivität ableiten will, wohingegen die Interkulturelle Managementpraxis eine viel engere ökonomische Effektivität in den Vordergrund rückt (Keller 1982). Während die Forschung fragt: »Wie können wir Kulturspezifika und ihren Einfluss auf Organisationen und Arbeitsverhalten analysieren?« oder »Müssen starre und hermetische Kulturannahmen zugunsten multipler Kulturen abgelöst werden?«, interessiert sich die Praxis für Fragen wie »Wie können wir pragmatisch und zielführend mit Kulturunterschieden umgehen?« oder »Was können wir verbessern?«. Im Kern spiegelt sich auch hier der zentrale Unterschied im Umgang mit Komplexität wider: Die Forschung erkennt Komplexität als Chance und will sie nutzen, die Praxis erkennt Komplexität als Risiko und will sie reduzieren. Diese Entkopplung zwischen Theorie und Praxis gilt es zu überwinden: mittels Überwindung der Selbstreferentialität beider Bereiche sowie mittels Betonung der Komplementarität von Forschung und Praxis: »Die Forschung kann durch die Anwendungsbezogenheit der Praxis neue Impulse und Entwicklungen bekommen; die Praxis kann von den Forschungsergebnissen der Wissenschaft profitieren und sie auf den Beratungsalltag übertragen.« (Barmeyer 2000, 101). Für ein Konstruktives Interkulturelles Management müssten daher immer wieder Gelegenheiten der Begegnung und des Dialogs geschaffen werden, in gemeinsamen Institutionen und mit grenzüberschreitenden Akteuren, die sich zwischen dem Forschungs- und dem Praxissystem hin- und her bewegen.

      Eine weitere Herausforderung der Interkulturellen Managementforschung betrifft die ausgeprägte Problemorientierung (Cameron 2017; Chanlat/Pierre 2018), die einseitig auf Unterschiede fokussiert. Zu diesem Ergebnis kommen auch Stahl und Tung (2015). Sie zeigen anhand einer Inhaltsanalyse von 244 Artikeln des Journal of International Business Studies (JIBS) über 24 Jahre hinweg sowie anhand von 400 Artikeln des Cross Cultural Management: An International Journal (CCM) über 18 Jahre hinweg, wie negative Aspekte von Interkulturalität betont werden, positive jedoch weitgehend unbeachtet bleiben: Probleme, Hindernisse und Konflikte, die durch kulturelle Unterschiede hervorgerufen werden, stehen im Fokus, wohingegen die positiven Dynamiken und Resultate kultureller Unterschiede außen vor bleiben (Tab. 15).

      »While there are suggestions in the literature that cultural diversity can offer meaningful positive opportunities to individuals, groups, and organizations, we argue – and demonstrate empirically – that the problem-focused view of cultural diversity is by far predominant in research on culture in International Business. In other words, we know much less about the positive dynamics and outcomes associated with cultural differences than we know about the problems, obstacles, and conflicts caused by them.« (Stahl/Tung 2015, 393)

Effekte kultureller UnterschiedlichkeitTheoretische ArtikelEmpirische Artikel mit theoretischen AnnahmenEmpirische Artikel mit empirischen Ergebnissen
Journal of International Business Studies (JIBS)
negativ69 %75 %53 %
neutral/ausgewogen27 %20 %40 %
positiv4 %5 %7 %
Cross-Cultural Management: