Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


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      Interessanterweise stehen sich zwei unterschiedliche Entwicklungen gegenüber, die auf Organisationen wirken.

      Zum einen findet Interkulturelles Management in Organisationen in spezifischen Kontexten statt, die die handelnden Akteure prägen und dazu führen, dass sich bestimmte Normen, Werte und Strukturen, die die Arbeitsbeziehungen beeinflussen, herausbilden (D’Iribarne 2001). Nationale Kontexte können aufgrund einer spezifischen historischen Entwicklung und einem dominierenden Rechts-, Sprach- und Kommunikationssystem einen gewissen Grad an Homogenität aufweisen (Hofstede 1980; Whitley 1999). In diesen Kontexten haben sich durch Erfahrungen bestimmte Merkmale und erfolgreiche (kulturelle) Muster des Denkens und Handelns entwickelt und verfestigt, wie es Wissenschaftler unterschiedlicher Epochen und Disziplinen konstatieren (Parsons 1952; Elias 1979; Ammon 1989; Porter 1985; D’Iribarne 2001). Der nationale Kontext hat folglich einen Einfluss auf Organisationen generell und die Führung von Kooperationen im Besonderen.

      Zum anderen lösen sich – aufgrund von Internationalisierung und Digitalisierung – klassische Organisationshierarchien, Abteilungs- und Funktions-Strukturen immer mehr auf und verschieben sich hin zu mehr dynamischeren, prozessualen Strukturen (Kieser/Walgenbach 2007; Heidenreich et al. 2012). Somit findet auch die interkulturelle Zusammenarbeit zunehmend in zeitlich begrenzten Kooperationen, meist komplexen Projekten, statt. Als Beispiele könnten die Entwicklung einer neuen U-Bahn in einer europäischen Hauptstadt durch das Unternehmen Siemens, die Produktion des Großraum-Flugzeugs Airbus A380 oder auch eine Filmproduktion bei ARTE genannt werden.

      In dem Maße, wie »Kultur« Einzug in das Management hält, haben Fach- und Führungskräfte mit der Gestaltung von »soft facts« zu tun. Es geht nicht mehr allein um finanzielle Kennzahlen und strategische Erfolge, sondern auch um die Befindlichkeiten der Beteiligten. Dass diese nicht immer einfach zu bewältigen sind, spiegelt sich im Bedarf von Führungskräften an interkulturellen Hinweisen ›how to handle my colleagues and managers‹ ebenso wider wie an Gestaltungstipps für die Leitung internationaler Teams, die Durchführung eines internationalen Projektmanagements oder die Auslandsentsendung von Mitarbeitern.

      Alle Gestaltungsfelder des Interkulturellen Managements bergen Fallen. Beispielsweise ist die Durchführung eines 360°-Feedbacks nicht kulturinvariant, sondern hochgradig kulturabhängig und unterliegt der Gefahr kultureller Fehlinterpretation: So wird in einigen Ländern davon ausgegangen, es handele sich um eine objektive, ehrliche Bewertung, wohingegen in anderen Ländern im Sinne einer subjektiven Bewertung die Grundposition gilt »Wir werden doch nicht den Chef kritisieren – das ist gefährlich. Entweder wir antworten gar nicht oder wir geben nur eine positive, nette Evaluation zum Vorgesetzten ab«. Die Interkulturelle Managementforschung zeigt, dass in Ländern mit flachen und informellen Hierarchiebeziehungen wie in skandinavischen, germanophonen oder angelsächsischen Ländern ein Instrument wie das 360°-Feedback erfolgreicher eingesetzt werden kann, als in Ländern, in denen formelle Hierarchiebeziehungen bestehen, wie in romanischen, arabischen oder ostasiatischen Kulturräumen. An diesem Beispiel wird bereits deutlich, dass das Erreichen einer Lösung von interkulturellen Problemen, die alle beteiligten Seiten zufriedenstellt oder sogar durch Komplementarität zur unternehmerischen Wertschöpfung führt, sehr schwierig ist.

      Das 360°-Feedback

      Im Rahmen einer europäischen Fusion, an der Franzosen, Spanier, Engländer und Deutsche beteiligt sind, wird versucht, Personalmanagement-Instrumente zu harmonisieren, um zwischen den Landesgesellschaften ein internes Benchmarking zu ermöglichen und Kosten zu senken. Es wird das aus den USA stammende 360°-Feedback eingeführt, das eine Weiterentwicklung der Gleichgestelltenbeurteilung ist. Während bei der Gleichgestelltenbeurteilung sich hierarchisch gleichgestellte Personen hinsichtlich Verhalten und Leistung beurteilen, erfolgt beim 360°-Feedback die Beurteilung von hierarchisch nachgeordneten (z. B. die Sekretärin), von übergeordneten Stellen (z. B. die Chefin) oder sogar von Kunden. Neben der Personalentwicklung geht es um die Verbesserung der internen Kommunikationsstrukturen und der Unternehmenskultur. Das 360°-Feedback wurde zeitgleich in den vier Ländern eingeführt – mit unterschiedlichen Ergebnissen: Während in Deutschland und England die Beurteilungsbefragungen relativ reibungslos durchgeführt wurden, gab es teilweise große Widerstände in Spanien. In Frankreich dagegen fielen die Beurteilungen fast alle überdurchschnittlich positiv aus. Mit den vorliegenden heterogenen und unvollständigen Ergebnissen war ein Benchmarking nicht möglich.

      Quelle: Barmeyer (2003b)

      Im Vordergrund des Interkulturellen Managements steht der Umgang mit »Diversity«, also mit kultureller Vielfalt (Genkova/Ringeisen 2016; Kammhuber 2017). Die Konsequenz der organisationalen Interkulturalisierung für Mitarbeiter in Organisationen beschreibt der CEO von Renault-Nissan, Carlos Ghosn, wie folgt:

      »More and more, managers are dealing with different cultures. Companies are going global, and teams are spread across the globe. If you are head of engineering, you have to deal with divisions in Vietnam, India, China, or Russia, and you have to work across cultures. You have to know how to motivate people who speak different languages, who have different cultural contexts, who have different sensitivities and habits. You have to get prepared to deal with teams who are multicultural, to work with people who do not all think the same way as you do.« (Ghosn; Zitat aus Stahl/Brannen 2013, 495)

      Führungskräfte üben sich zwangsläufig in interkultureller Interaktion, sind hierin aber mit Missverständnissen und Irritationen konfrontiert und häufig damit überfordert, Interkulturalität konstruktiv zu gestalten. Dies führt nicht nur zur Demotivation von Führungskräften und Mitarbeitern in solchen Kontexten, sondern auch zur Entstehung hoher psychologischer und finanzieller Kosten. Als Reaktion hierauf entsteht ein Markt interkultureller Spezialisten, die internationalen Unternehmen ihre Leistungen anbieten: Unternehmensberater auf der einen Seite, Forscher im Feld des Interkulturellen Managements auf der anderen Seite (Romani/Szkudlarek 2013).

      Sehr geehrter Herr Professor Barmeyer,

      angesichts der Fusion unseres Unternehmens mit einem europäischen Konzern mit Sitz in Paris möchten wir für unser gesamtes Unternehmen eine Einführungsveranstaltung in die französische Unternehmenskultur vornehmen. Folgende Themen könnten berücksichtigt werden:

      –Erzeugung einer positiven Grundeinstimmung, um die Mitarbeiter für die Umstrukturierung zu motivieren

      –Existierende Bedenken und Sorgen abbauen

      –Schaffen von Aufgeschlossenheit

      –Was sind Besonderheiten der französischen Arbeitskultur, insbesondere in Abgrenzung zu unserer deutschen Wahrnehmung?

      Wenn Sie sich vorstellen können, als Frankreichspezialist eine derartige Einführung für uns vorzubereiten und durchzuführen, würden wir uns sehr freuen, von Ihnen zu hören.

      Im Rahmen der Internationalisierung sind Fach- und Führungskräfte in internationalen Organisationen zentrale Akteure der Gestaltung konstruktiver Interkulturalität. Dies wird in diesem Buch in Theorie und Anwendung anhand zahlreicher Themenbereiche, Illustrationen und unter Rückbezug konzeptioneller Bezugsrahmen behandelt.

      Die Interkulturelle Managementforschung ist relativ jung. Ab den 1960er Jahren hat sie sich von Nordamerika und Westeuropa aus mittlerweile vor allem in angelsächsischen, skandinavischen, deutschsprachigen und frankophonen Ländern verbreitet – und mit ihr die faszinierende Idee, Management nicht allein als betriebswirtschaftliche Herausforderung zu begreifen, sondern zudem als kulturabhängiges Gestaltungsfeld, in dem interkulturelle Interaktion