Christoph Barmeyer

Konstruktives Interkulturelles Management


Скачать книгу

zurückzugreifen.

      Aus der Perspektive der Managementforschung zeichnet Scholz (2014a, 900) einen Weg nach, der von einer betriebswirtschaftlichen »Kulturignoranz« über verschiedene Zwischenphasen bis hin zu einer Integration von Kultur in die Wirtschaftsforschung führt (Tab. 7). Er konzentriert sich damit auf die Rezeption kultureller Themen in der klassischen Managementforschung. Der beschriebene Entwicklungspfad spiegelt den »Paradigmenwechsel der Managementlehre von der Analyse ökonomischer, nach Nutzenmaximierung orientierter Leistungsprinzipien hin zur wertorientierten und verhaltenswissenschaftlichen Betrachtungen organisationalen Handelns von Mitarbeitern wider« (Barmeyer 2000, 99).

ZeitAusgangsebeneStadiumBetrachtungsweise
bis 1960betriebswirtschaftliche »Kulturignoranz«Kultur als nicht-existierendes Phänomen
ab 1960MakroebeneCross-Cultural Managementkulturfreier Managementansatz kulturgebundener Managementansatz (Landeskultur als unabhängige Variable)
ab 1970Comparative ManagementWechselbeziehungen zwischen Landeskultur und Managementverhalten
ab 1980MikroebeneUnternehmenskulturforschungUntersuchung/Beeinflussung der Unternehmenskultur weitgehend ohne landeskulturellen Kontext:a)Ansatz der (individuellen) Verhaltensforschungb)organisationstheoretischer Ansatzc)Ansatz des strategischen Managements
ab 1990Makro- und MikroebeneKulturintegrationWechselbeziehungen zwischen Unternehmens- und Landeskultur
ab 2000GlobalebeneKulturpointillismuskleinste Kultureinheiten in einem grenzenlosen Raum, die je nach Perspektive zu unterschiedlichen Kulturansichten führen
ab 2010eingebettete MikroebeneKultursituativitätUnternehmen gestalten in Abhängigkeit von Strategie und Kontext bewusst ihre individuelle Kultur

      Adler (1983) wählt eine andere Perspektive, welche die Suchrichtung der Interkulturellen Managementforschung im Zeitverlauf nachzeichnet (Tab. 8). Von der Suche nach Ähnlichkeiten des Managens in verschiedenen Kulturräumen verschiebt sich der Fokus nach und nach auf die Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden im Management verschiedener Länder als für Unternehmen bewusst nutzbare Ressource. Unterschiedlichkeit wird nicht länger als Defizit verstanden, sondern als Wertschöpfungspotenzial (Barmeyer 2012a, 118–119).

ForschungKulturbezug der StudienAnsatz in Bezug auf Ähnlichkeit und UnterschiedlichkeitZentrale Forschungsfrage
EngStudien in einzelnen KulturenAngenommene ÄhnlichkeitWie verhalten sich Menschen in Organisationen bei ihrer Arbeit? Obwohl die Ergebnisse nur anwendbar sind für das Management in einer Kultur, wird angenommen, dass sie für das Management in vielen Kulturen gelten.
EthnozentrischStudien in einer zweiten KulturSuche nach ÄhnlichkeitKönnen Theorien aus dem eigenen Stammland im Ausland angewendet werden? Kann eine Theorie für Organisationen in einem Land A auf Organisationen in einem Land B übertragen werden?
PolyzentrischStudien in vielen KulturenSuche nach UnterschiedlichkeitWie arbeiten Manager und wie verhalten sich Mitarbeiter in einem Land X? Welche Muster der organisationalen Beziehungen herrschen in einem Land X vor?
VergleichendStudien zur Gegenüberstellung vieler KulturenSuche nach Ähnlichkeit und UnterschiedlichkeitInwieweit sind Managementstile und Mitarbeiterverhalten über Kulturen hinweg ähnlich oder verschieden? Welche Theorien gelten kulturübergreifend und welche nicht?
GeozentrischInternationale ManagementstudienSuche nach ÄhnlichkeitWie funktionieren multinationale Organisationen?
SynergetischInterkulturelle ManagementstudienNutzung von Ähnlichkeit und Unterschieden als RessourceWie kann die interkulturelle Interaktion in einer nationalen oder einer internationalen Organisation gemanagt werden? Wie kann eine Organisation Strukturen und Prozesse gestalten, die eine effektive Zusammenarbeit mit Mitgliedern aller Kulturen ermöglichen?

      Wieder eine andere Perspektive nehmen Boyacigiller et al. (2004, 102–138) zunächst für die internationale Kulturforschung sowie später Sackmann und Phillips (2004) für die Interkulturelle Managementforschung ein: Sie unterscheiden die drei Hauptströmungen (1.) nationenübergreifender Kulturvergleich, (2.) interkulturelle Interaktion und (3.) multiple Kulturen (Tab. 9). Wichtig ist für sie der Einfluss des jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kontexts:

      –Die Strömung nationenübergreifender Kulturvergleich (Cross-National Comparison) versteht Kultur als Ausdruck der jeweiligen Nationalität, die Individuen durch Sozialisation erfahren. Dementsprechend vergleichen meist quantitativ-statistisch angelegte Studien Nationalkulturen, um kulturübergreifende, universelle Kulturdimensionen zu verdeutlichen, wie dies etwa Hofstede (1980) und die GLOBE-Studie (House et al. 2004) tun.

      –Die Strömung interkulturelle Interaktion (Intercultural Interaction) versteht Kultur als das in einer Gemeinschaft geteilte Bedeutungssystem, das aus einer Innenperspektive der Akteure und an konkreten Interaktionssituationen manifest wird. Dementsprechend betrachten induktiv angelegte, qualitative Feldstudien insbesondere, wie kulturelle Passung zwischen den Interaktionspartnern sozial konstruiert und ausgehandelt wird.

      –Die Strömung multiple Kulturen (Multiple Cultures) setzt an den Individuen an, die in zunehmend fragmentierten und dynamischen Lebenswirklichkeiten multiple kulturelle Identitäten ausbilden, die der Vielfalt ihrer kulturellen Referenzsysteme und sozialer Milieus entsprechen. Dementsprechend untersuchen vornehmlich interpretativ-emische Studien Identitätsbildungsprozesse in Mikrokontexten, also beispielsweise Subkulturen auf Gruppenebene.

      In jüngster Zeit führen die in »westlichen« Gesellschaften beobachtbaren spätmodernen »postmaterialistischen« (Inglehart 1998) oder »singularistischen« (Reckwitz 2017) Entwicklungen zu einer Aufwertung der plurikulturellen Multiple-Kulturen-Ansätze (z. B. Mahadevan 2012), was sich auch in der Entwicklung des Diversity Management-Ansatzes (Cox 1993; Özbilgin/Tatli 2008; Genkova/Ringeisen 2016) widerspiegelt.

Nationenübergreifender KulturvergleichInterkulturelle InteraktionMultiple Kulturen
Die Entstehung der Strömung begünstigender Kontext–Nach dem 2. Weltkrieg–Aufkommen multinationaler Unternehmen–US-amerikanische Praktiken als Vorbild–Aufkommen des Vergleichenden Managements–Nationalstaat als zentraler wirtschaftlicher Akteur–Sich verändernde Balance der globalen wirtschaftlichen Macht–Dramatischer Anstieg ausländischer Direktinvestitionen (Joint Ventures, Auslandsniederlassungen, multinationale Unternehmen)–Verschmelzung nationaler Grenzen–Zunehmende Globalisierung–Zunehmende strategische Allianzen in nationalen Grenzen/über nationale Grenzen hinweg–Wachsende globale Mobilität von Menschen–Wachsende Beachtung von Identitätsunterschieden
Theorien, Annahmen, Modelle–Nationalstaat = »Kultur«–Kulturelle Identität als eine gegebene, einheitliche, unveränderliche individuelle Eigenschaft–Kulturelle Konvergenzthese–Suche nach universell anwendbaren Kulturdimensionen–Kultur = sozial konstruiert–Nationalkultur/-identität ist von entscheidender Wichtigkeit–Emergente/ausgehandelte Kultur abgeleitet aus•organisationaler Kulturforschung•interpretativem Paradigma•anthropologischen Theorien•interkulturellem Kommunikationsmodell–Kultur = kollektives, sozial konstruiertes Phänomen–Organisationen = Multiplikation von Kulturen–Individuen können sich mit vielen Kulturen identifizieren–Das Wechseln zwischen kulturellen Gruppen und Identitäten ist eine empirische Fragestellung
Beitrag zum Wissensstand–Kultur ist lenkbar – Generalisierungen, Kulturcluster–Nationenübergreifende Überprüfung organisationaler Theorien, Prozesse und Praktiken–Entwicklung von Kulturdimensionen und Kulturkategorien–Begrenztes Set an Kulturdimensionen kann von anderen Disziplinen genutzt werden–Wichtigkeit der Kontextanalyse–Prozessorientierung–Emergente »ausgehandelte« Kultur–Lenkung