Gisa Bauer

Grundwissen Konfessionskunde


Скачать книгу

vor allen anderen Machtansprüchen. Das geistliche Schwert stehe über dem weltlichen und dieses habe sich der Kirche nicht nur zu beugen, sondern ihr auch zu dienen:

      Beide also sind in der Gewalt der Kirche, nämlich das geistliche Schwert und das materielle. Jedoch ist dieses für die Kirche, jenes aber von der Kirche zu handhaben. (DH 873)

      Außerdem stehe der geistlichen Macht zu, über die weltliche zu richten:

      Wenn also die irdische Gewalt abirrt, dann wird sie von der geistlichen Gewalt gerichtet werden; wenn aber eine niedrigere geistliche abirrt, dann von ihrer höheren; wenn aber die höchste, dann wird sie allein von Gott, nicht vom Menschen gerichtet werden können. (DH 873)

      Konzentriert formuliert die Bulle diesen Machtanspruch in dem Satz:

      Wir erklären, sagen und definieren nun aber, daß es für jedes menschliche Geschöpf unbedingt notwendig zum Heil ist, dem Römischen BischofBischof unterworfen zu sein. (DH 875)

      Damit hatte das PapsttumPapsttum zumindest ideell den Zenit seiner Macht erreicht. Faktisch konnte Bonifatius$Bonifatius VIII., Pontifikat 1294–1303, römisch-katholischer Papst den französischen König mit der Bulle allerdings nicht in die Schranken weisen. Vielmehr demütigte Philipp IV.$Philipp IV., (der Schöne), 1268–1314, König von Frankreich, als Philipp I. König von Navarra den Papst 1303, indem er ihn in der päpstlichen Sommerresidenz in Anagni festnehmen ließ. Wenige Wochen danach starb Bonifatius.

      1309 verlegte Papst Clemens V. (Pontifikat: 1305–1314)$Clemens V., Pontifikat 1305–1314, römisch-katholischer Papst, der ehemalige ErzbischofBischofErzbischof von Bordeaux, unter Einfluss der französischen Krone den Sitz der päpstlichen Kurie nach Avignon. In den folgenden Jahrzehnten wurde das PapsttumPapsttum zum Spielball der französischen Könige. Die babylonische Gefangenschaft der KircheBabylonische Gefangenschaft der Kirche, so die nachträgliche Bezeichnung in Anlehnung an das Exil Israels in Babylonien, endete erst 1377 mit der Rückverlegung der päpstlichen Residenz nach Rom durch Gregor XI. (Pontifikat: 1370–1378)$Gregor XI., Pontifikat 1370–1378, römisch-katholischer Papst.

      Das Abendländische SchismaSchismaAbendländischesAbendländisches SchismaDie Epoche der babylonischen Gefangenschaft der Kirche hatte dem von Frankreich abhängigen PapsttumPapsttum schweren Schaden zugefügt. Die weiteren Papstwahlen waren vor diesem Hintergrund problematisch, geprägt von Interessenkonflikten und Machtkämpfen. Das Ergebnis wurde von der jeweils unterlegenen Seite meist angezweifelt. Papst Urban VI.$Urban VI., Pontifikat 1378–1389, römisch-katholischer Papst (Pontifikat: 1378–1389), der die Macht der französischen Kardinäle im Kardinalskollegium zu brechen versuchte, sah sich 1378 mit einem von eben den französischen Kardinälen erhobenen Gegenpapst konfrontiert. Damit war ein SchismaSchisma vollzogen. Der Gegenpapst residierte in Avignon, Urban VI. in Rom. Beide Päpste fanden Nachfolger im AmtAmt, sodass das Schisma aufrecht erhalten blieb, die Kirche zwei Päpste hatte und das westliche Christentum in zwei Lager geteilt wurde. Auf einem KonzilKonzil / Konziliarismus 1409 in Pisa versuchten die Konzilsteilnehmer das Problem zu lösen, indem sie die beiden zu der Zeit amtierenden Päpste für abgesetzt erklärten und einen neuen Papst wählten. Die anderen Päpste akzeptierten dieses Vorgehen und ihre Absetzung nicht, was dazu führte, dass nun drei Päpste den Stuhl Petri für sich beanspruchten. Das Vertrauen in das Papsttum war zerrüttet und die Zeit gekommen, dass eine andere Institution an die Spitze der Kirche trat.

      Das KonzilKonzil / Konziliarismus von KonstanzKonzil / KonziliarismusKonzil von Konstanz1414 wurde das KonzilKonzil / Konziliarismus von KonstanzKonzil / KonziliarismusKonzil von Konstanz einberufen, das u.a. das bedeutende Dekret „Haec sancta“ verabschiedete, welches das Konzil zur gegenwärtigen Vertretung der Christenheit erklärte. Jeder, auch der Papst, schulde ihm Gehorsam. Der markante Satz dazu lautete:

      Diese heilige SynodeSynodalitätSynode zu Konstanz […] erklärt erstens, daß sie, im Heiligen GeistHeiliger Geist rechtmäßig versammelt, ein allgemeines KonzilKonzil / Konziliarismus abhaltend und die irdische katholische Kirche repräsentierend ihre Vollmacht unmittelbar von Christus hat. Ihr ist ein jeder, welchen Standes und welcher Würde auch immer, sei es auch die päpstliche, in denjenigen Angelegenheiten zum Gehorsam verpflichtet, die sich auf den Glauben, auf die Ausrottung des besagten SchismasSchisma und die allgemeine Reform der Kirche Gottes an Haupt und Gliedern beziehen. (Dekret ,Haec sancta‘ 2001, 235)

      Der sogenannte KonziliarismusKonzil / Konziliarismus war damit auf der Höhe seines Einflusses und ebnete den Weg für eine neue Papstwahl. 1417 wurde Martin V.$Martin V., Pontifikat 1417–1431, römisch-katholischer Papst (Pontifikat: 1417–1431) zum alleinigen Papst gewählt. Das Konzil beendete somit das Abendländische SchismaSchismaAbendländischesAbendländisches Schisma und ermöglichte dem PapsttumPapsttum die Rückkehr an die Macht.

      Neue AufbrücheSignifikant für die Herausforderungen und Anfragen, mit denen sich die römische Kirche bald konfrontiert sehen sollte, war das Auftreten und Wirken von Jan Hus$Hus, Jan, 1370–1415, Theologe, Vorreformator in Böhmen [ Herrnhuter Brüdergemeine] und seine Forderungen nach weitreichenden Reformen in der Kirche. Noch war es möglich, Reformer wie Hus ebenso wie zuvor die Aufbrüche der KatharerKatharer oder → Waldenser zu unterdrücken. Hus wurde trotz der Zusicherung freien Geleits 1415 durch das KonzilKonzil / Konziliarismus verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ein Jahrhundert später gelang das im Falle eines weiteren Reformers, des Wittenberger Theologen Martin Luther$Luther, Martin, 1483–1546, evangelischer Theologe, Reformator, Namensgeber der Lutheraner, nicht mehr [→ Evangelische Kirchen].

      Spezifika in der Neuzeit

      Das KonzilKonzil / Konziliarismus von TrientKonzil / KonziliarismusKonzil von Trient (Tridentinum)Auf die theologischen und ekklesiologischen Herausforderungen der Reformation reagierte die römische Kirche durch das KonzilKonzil / Konziliarismus von TrientKonzil / KonziliarismusKonzil von Trient, das in mehreren Tagungsphasen zwischen 1545 und 1563 stattfand und die katholische Identität in einer gegenwärtig noch prägenden Weise bestimmte. Die Bedeutung dieses Konzils für den heutigen Katholizismus ist sehr hoch anzusetzen. Erst durch dieses Konzil wurde die alte Reichskirche zur „römisch-katholischen“ Kirche. Insofern ist die Römisch-katholische Kirche ebenfalls eine Kirche, die durch die Reformation entscheidend geprägt wurde und entscheidende Impulse für ihre ekklesiologische Formung erhielt.

      Die römische Kurie stand lange Zeit einem KonzilKonzil / Konziliarismus ablehnend gegenüber, da sie den Höhepunkt des Konziliarismus und dessen Implikationen für das PapsttumPapsttum noch deutlich vor Augen hatte. Allerdings war der Druck auf die gesamte Kirche durch die fortschreitende Reformation so hoch geworden, dass auch die Kirchenführung die Notwendigkeit eines Konzils und von Reformen einsah. Es war deutlich, dass sich die Kirche selbst reformieren musste, um sich in den Auseinandersetzungen mit den reformatorischen Ideen und Forderungen zu behaupten und der Ausbreitung des Protestantismus etwas entgegen setzen zu können. Auch das Papsttum musste sich neu finden und der ganzen Kirche eine zeitgemäße Form geben, denn durch die Reformation wurde der alten Reichskirche verdeutlicht, dass die katholische Kirche eine Kirche war, die im Wesentlichen durch das Papsttum repräsentiert wurde.

      Ignatius von Loyola

      Eine tragende Säule der katholischen Reformen wurde der spanische PriesterPriester Ignatius von Loyola (1491–1556)$Ignatius von Loyola, 1491–1556, römisch-katholischer Priester, Mitbegründer der Societas Jesu (Jesuiten), der 1540 den Jesuitenorden, die „Societas JesuSocietas Jesu“, gründete. Er verband das Bild des Frommen mit dem des Ritters und schuf damit einen Typ des Glaubenskämpfers, der in der Welt für den Papst und die katholische Sache stritt. Die Jesuiten wurden zur Mission ausgesandt und standen für eine unbedingte Erneuerung der Kirche ein. Sie etablierten das katholische Bildungswesen, dienten als Seelsorger und konnten große Erfolge bei der Rekatholisierung protestantischer Gebiete verzeichnen, z.B. in Polen. Ausgangspunkt der sogenannten Gegenreformation bildete das KonzilKonzil / Konziliarismus von TrientKonzil / KonziliarismusKonzil von Trient.