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Sprachtherapie mit Kindern


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zuerst aktiviert. Anschließend wird das dazu passende Lexem abgerufen, das neben den Informationen über die phonologische Gestalt des Wortes auch morphologisches Wissen, z. B. zum Flexionsverhalten eines Eintrags, enthält.

      Die getrennte Speicherung von Wortform- und Wortbedeutungsinformation lässt sich im Alltag gut über das Tip-of-the-tongue-Phänomen („Es liegt mir auf der Zunge.“) nachvollziehen: Wir wissen genau, was wir sagen möchten (= Lemma, semantische Repräsentation), können die entsprechende Wortform (= Lexem, phonologische Repräsentation) jedoch nicht abrufen.

      Verbindungen zwischen den Einträgen Nicht nur die verschiedenen Aspekte des Wortwissens zu einem Eintrag sind miteinander verbunden, auch zwischen den Lexikoneinträgen bestehen zahlreiche Vernetzungen. Diese basieren auf semantischer Verwandtschaft von Wörtern (z. B. Ober- und Unterbegriffe, nebengeordnete Begriffe, Gegensätze), auf lautlicher Ähnlichkeit (z. B. gleicher Anlaut, Silbenanzahl, Betonungsmuster), auf syntaktischen oder morphologischen Beziehungen (z. B. Ableitungen vom gleichen Verbstamm bei verlaufen, zerlaufen, entlaufen) sowie assoziativen, thematischen, emotionalen, situativen Verknüpfungen.

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      Kannengieser, S. (2015): Sprachentwicklungsstörungen – Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Elsevier, München

      Netzwerk des mentalen Lexikons Aufgrund der vielfältigen Vernetzungen des lexikalischen Wissens entsteht ein komplexes Netzwerk an miteinander verbundenen und interagierenden Informationspunkten. Im Rahmen von konnektionistischen Modellen wird diese Netzwerkstruktur des mentalen Lexikons nachgebildet. Solche Netzwerkmodelle (Dell / O’Seaghdha 1991; Dell et al. 1999; Schwartz et al. 2006) nehmen in der Regel eine interaktive und parallele Verarbeitung an. Gespeichert sind die Informationen in sogenannten Knotenpunkten, die für den Wortabruf drei verschiedene Ebenen umfassen: die semantische Ebene, die lexikalische Ebene und die phonologische Ebene (Rupp 2013; Abb. 7). Zunächst werden die passenden semantischen Knotenpunkte zu einem Eintrag aktiviert. Jeder aktivierte Knoten „schickt“ nun Aktivierungsenergie an alle Knoten der nächsttieferen, lexikalischen Ebene, mit denen er verbunden ist. Werden dort auf diese Weise mehrere, semantisch ähnliche Kandidaten aktiviert, kann es zu einem „Wettstreit“ der Einträge kommen. Im günstigsten Fall erhält jedoch nur einer der lexikalischen Einträge das Höchstmaß an Aktivierung von den oberen Ebenen. Wird für diesen Knoten nun eine bestimmte Aktivierungsschwelle überschritten, führt dies zur Auswahl des Knotens, ähnlich dem Feuern einer Nervenzelle bei Überschreiten des Aktionspotentials. Im Anschluss aktiviert dieser Knoten alle phonologischen Segmentknoten, mit denen er verbunden ist, so dass die phonologische Gestalt des Wortes zusammengesetzt werden kann.

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      Wie Abbildung 7 verdeutlicht, erfolgt auch im konnektionistischen Modell der Wortabruf in einem zweistufigen Prozess nach der grundsätzlichen Reihenfolge: Wortbedeutung vor Wortform. Allerdings sind im Unterschied zu rein seriellen Modellen Rückaktivierungen von tieferen auf höhere Ebenen möglich. Dies bedeutet, dass die semantischen und die phonologischen Informationen in ständigem Austausch miteinander stehen und sich wechselseitig beeinflussen (Schwartz et al. 2006). Eine gute Vernetzung der unterschiedlichen Informationen zu einem Lexikoneintrag führt somit zu einer leichteren Aktivierungsausbereitung im Netzwerk und damit einem erleichterten Zugriff auf die Lexikoneinträge (Ulrich 2012; Rupp 2013).

      1.2 Zeitlicher Verlauf des Wortschatzerwerbs

      1.2.1 Prälexikalische Phase

      Routinen und Formate Über den Blickkontakt kann das Baby schon früh mit seinen Bezugspersonen in Kontakt treten. Wiederkehrende Interaktionssituationen, auch „Routinen“ oder „Formate“ (Bruner 2008) genannt, werden von den Eltern für den kommunikativen „Austausch“ mit ihren Babys genutzt. Sie greifen die vom Kind geäußerten Laute, Geräusche und nonverbalen Impulse auf und geben ihnen eine Bedeutung.

      elterliches Sprachangebot Die Eltern passen dabei ihre Sprechweise intuitiv an die noch eingeschränkten Fähigkeiten ihres Kindes, Sprache wahrnehmen und verarbeiten zu können, an. Diese intuitive elterliche Didaktik (Papousek 2008; Clark 2009) ermöglicht es dem spracherwerbenden Kind, möglichst viele relevante Informationen aus dem Sprachinput zu ziehen. Zu Beginn der Sprachentwicklung ist die elterliche Sprechweise unter anderem durch eine übertriebene Sprechmelodie, eine erhöhte Sprechstimmlage, ein reduziertes Sprechtempo sowie viele Wiederholungen und Pausen gekennzeichnet („Ammensprache“ oder „Baby Talk“, Grimm 2012; Papousek 2008; Clark 2009). Die ausgeprägten prosodischen Merkmale der Ammensprache helfen dem Baby dabei, einzelne sprachliche Einheiten aus dem Sprachstrom zu isolieren. Zum Ende des ersten Lebensjahres rücken dann semantisch-lexikalische Merkmale besonders in den Fokus des elterlichen Sprachangebots. Neue Wörter werden innerhalb von Spiel- und Interaktionssituationen mehrfach wiederholt, semantische Charakteristika und Abgrenzungsmöglichkeiten zu anderen Einträgen versprachlicht (Clark 2009; Ulrich 2012).

      vorsprachliche Konzepte Die zunehmende Fähigkeit eines Kindes, seine Aufmerksamkeit längere Zeit auf Objekte, Personen oder Handlungen richten zu können, sowie seine fortgeschrittenen motorischen Fertigkeiten ermöglichen es, Dinge und Personen ausführlich und mit allen Sinnen zu erkunden. Auf diese Art und Weise erwirbt das Kind vielfältiges Wissen über Dinge, Personen und Handlungen in seiner Umgebung und speichert dieses Wissen in Form von vorsprachlichen Konzepten ab. Konzepte dienen dazu, unsere Erfahrungen und unser Weltwissen zu strukturieren und stellen zu einem späteren Zeitpunkt „Füllungen“ für die Wortbedeutungen dar (Ulrich 2012).

      Der sechs Monate alte Anton hat, lange bevor er das Wort „Ball“ zum ersten Mal selbst gebraucht, bereits vielfältige Erfahrungen mit diesem Gegenstand gemacht: Er hat Wissen über die wahrnehmbaren Merkmale des Balles (welche Form er hat, wie er sich anfühlt, riecht und schmeckt), ebenso wie über seine Funktionen (er kann ihn rollen, tippen und wegtreten) erworben (Aufbau vorsprachlicher Konzepte). Er weiß ebenfalls schon, dass der Ball weiterhin existiert, selbst wenn er aus seinem Blickfeld gerät (Objektpermanenz).

      Die Objektpermanenz stellt eine wichtige kognitive Vorläuferfähigkeit für den Wortschatzerwerb dar (Zollinger 2010). Die Erkenntnis, dass ein Objekt weiterhin existiert, auch wenn es aus dem Bereich der eigenen Wahrnehmung verschwindet, ist Voraussetzung, um innere Repräsentationen von Objekten, Handlungen und Ereignissen aufbauen zu können (Dittmann 2006; Ulrich 2012).

      gemeinsame Aufmerksamkeit Für die Bezugspersonen ergeben sich mit zunehmender Eigenaktivität ihres Kindes vielfältige Gelegenheiten, seinem Interesse zu folgen und einen „gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus“ herzustellen („joint attention“, Tomasello 2001, 2003; Akhtar / Tomasello 2000; Clark 2009).

      Studien zeigen, dass die Fähigkeit von Eltern, dem Interesse ihres Kindes zu folgen, und so einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus herzustellen, positiv mit der Wortschatzentwicklung eines Kindes korreliert (Tomasello / Farrar 1986). Neigen Eltern hingegen dazu,