durch Erinnern sämtlicher verfügbarer Information zu dem lexikalischen Eintrag (z. B. semantische Eigenschaften, Anlaut, Betonungsstruktur, Silbenanzahl, Lernkontext) mit dem Ziel, sich selbst zu deblockieren.
Abschließend soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die soeben vorgenommene Trennung in Speicherung und Abruf vorrangig theoretischer Natur ist. De facto sind Speicher- und Abrufprozesse eng miteinander verbunden und wirken wechselseitig aufeinander ein; nach konnektionistischer Vorstellung existieren überhaupt keine getrennten Verarbeitungsebenen für Speicherung und Abruf (Rothweiler 2001; Ulrich 2012).
Kannengieser, S. (2015): Sprachentwicklungsstörungen – Grundlagen, Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Elsevier, München
Kauschke, C. (2015): Frühe Entwicklung lexikalischer und grammatischer Fähigkeiten. In: Sachse, S. (Hrsg.), 3-14
Rupp, S. (2013): Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern. Sprachentwicklung: Blickrichtung Wortschatz. Springer, Berlin / Heidelberg
Zusammenfassung
Der Wortschatzerwerb stellt eine lebenslange Lernaufgabe dar. Einträge im mentalen Lexikon werden als Bündel miteinander vernetzter Informationen verstanden, die vielfältig mit anderen Einträgen verbunden sind. Ab dem Kleinkindalter besitzen Kinder die Fähigkeit, blitzschnell einen ersten Eintrag für neue Wörter abzuspeichern. Prozesse der Ausdifferenzierung von Wortform- und -bedeutungsinformation benötigen jedoch deutlich mehr Zeit.
2 Störungen des Wortschatzerwerbs
2.1 Begriffsbestimmung
(semantisch) lexikalische Störungen In der deutschsprachigen Fachliteratur werden unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet, um auf Störungen des Wortschatzerwerbs zu referieren. Die Bezeichnung „semantisch-lexikalische Störung“ wird von Glück / Elsing (2014a, 73) verwendet als
„umfassender Begriff […] für erhebliche, nicht altersgemäße, häufige und anhaltende Schwierigkeiten, die eigenen Äußerungsintentionen in angemessenen lexikalisch besetzten Äußerungen auszudrücken bzw. Äußerungen anderer lexikalisch zu interpretieren […]“.
Während unter „Semantische Störungen“ auch Einschränkungen im Satz- und Textverstehen fallen (sententiale semantische Störung, Crystal 1981), soll der Fokus dieses Beitrags auf den Einschränkungen auf Einzelwortebene liegen. Entsprechend des in der englischen Fachliteratur meist verwendeten Begriffs des „lexical deficit“ wird daher die Bezeichnung „lexikalische Störung“ verwendet (Ulrich 2012; Motsch et al. 2016). Lexikalische Störungen werden als Sammelbegriff für verschiedene Formen von Wortschatzstörungen verstanden:
„Lexikalische Störungen sind Störungen im Lexikoninventar (Wortschatz und Komposition des Wortschatzes), Störungen im semantischen Lexikon (Bedeutungsaufbau und Bedeutungsbeziehungen) und im Wortformlexikon (phonologische Repräsentation) sowie lexikalische Zugriffsstörungen (Wortfindung, Wortabruf und Worterkennung)“ (Rothweiler 2001, 97).
Wie aus dieser Definition deutlich wird, handelt es sich bei lexikalisch gestörten Kindern um eine heterogene Gruppe. Die unterschiedlichen Erscheinungsbilder werden in Kapitel 2.2.2 genauer in den Blick genommen.
Lexikalische Störungen treten meist in Zusammenhang mit (spezifischen) Sprachentwicklungsstörungen auf (Glück 2001; Glück / Elsing 2014a). Jedoch auch bei Kindern mit kognitiven Einschränkungen, Hörstörungen, frühkindlichem Autismus sowie erworbenen neurologischen Störungen können lexikalische Defizite beobachtet werden (McGregor 2008; Glück / Elsing 2014a; Motsch et al. 2016).
Immer stärker kristallisieren sich die engen Zusammenhänge zwischen lexikalischen Störungen und (späteren) Schriftspracherwerbsstörungen heraus (Beier / Siegmüller 2013; Motsch et al. 2016; Beitrag 5).
Prävalenz Hinsichtlich der Häufigkeit, mit der lexikalische Störungen auftreten, finden sich unterschiedliche Angaben. So ermittelten Dockrell et al. (1998) anhand einer Befragung unter britischen Sprachtherapeuten, dass 23 % der Kinder in sprachtherapeutischer Behandlung Symptome von lexikalischen Störungen zeigten. Glück / Elsing (2014a) interpretieren die Ergebnisse einer Studie von van Weerdenburg et al. (2006) dahingehend, dass 64 % der untersuchten sechs- bis achtjährigen spracherwerbsgestörten Kinder im lexikalischen Bereich auffällig waren. Im förderschulischen Kontext finden sich teilweise noch höhere Prävalenzraten: So schätzten die von Glück (2010) befragten Lehrkräfte an Schulen mit dem Förderschwerpunkt Sprache 60 % ihrer Schülerschaft als lexikalisch auffällig ein, eine Untersuchung an Drittklässlern der Sprachheilschule ermittelte bei 86 % der 212 untersuchten Kinder eine therapierelevante lexikalische Störung (Marks 2017).
Entwicklungsverlauf Typischerweise starten lexikalisch gestörte Kinder bereits verspätet in den Spracherwerb: Die ersten Wörter produzieren sie durchschnittlich erst mit 23 Monaten, also fast ein Jahr später als sprachunauffällige Kinder (Trauner et al. 2000). Im Alter von 24 Monaten erfüllen sie oftmals das diagnostische Kriterium eines „Late Talkers“, d. h. weniger als 50 verschiedene, produktiv verwendete Wörter (Hachul 2015). Für die weitere Prognose eines Late Talkers scheinen die rezeptiven sprachlichen Leistungen eine besondere Rolle zu spielen. So haben Late Talker mit zusätzlichen rezeptiven Einschränkungen ein erhöhtes Risiko, in der Folge eine manifeste Sprachentwicklungsstörung (SES) zu entwickeln, die sicher ab dem Alter von drei Jahren diagnostiziert werden kann (Schlesiger 2009; Hachul 2013, 2015; Sachse 2015). Im Vorschulalter zeigen sich lexikalische Störungen in unterschiedlichen Ausprägungen und Erscheinungsformen (Kap. 2.2.2). Spätestens zu dieser Zeit erfolgt bei den meisten lexikalisch gestörten Kindern eine sprachtherapeutische Diagnostik mit anschließender Therapie. Ab dem Vorschulalter und insbesondere mit dem Eintritt in die Schule werden gehäuft Schwierigkeiten beim Zugriff auf Lexikoneinträge (kindliche Wortfindungsstörungen) beobachtet (Glück 2010). Wortfindungsstörungen ebenso wie sententiale semantische Störungen – also Schwierigkeiten beim Verstehen von Sätzen, Texten und Geschichten – können bis ins Jugendlichen- und Erwachsenenalter persistieren. Sie erschweren den betroffenen Schülern die Aneignung schulischen Wissens, bildungs- und fachsprachlichen Vokabulars und gefährden insgesamt den schulischen Erfolg (White et al. 1990; Stothard et al. 1998; Glück 2001). Darüber hinaus entwickeln viele lexikalisch gestörte Kinder Verhaltensauffälligkeiten sowie psychische Störungen (Dannenbauer 1997; Toppelberg / Shapiro 2000).
2.2 Erscheinungsbild
2.2.1 Mögliche Symptome einer lexikalischen Störung
Im Gegensatz zu Auffälligkeiten der Aussprache oder der Grammatik sind Defizite im Bereich des Wortschatzes für Eltern, Erzieher oder Lehrer oftmals schwieriger zu erkennen. Dennoch weist eine Reihe von Auffälligkeiten in der Spontansprache, beim Benennen von Bildern sowie im Verhalten der Kinder auf mögliche lexikalische Defizite hin.
Eine ausführliche Aufstellung möglicher Symptome findet sich im SemLexKrit von
Glück, C. W. (2011a): Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- bis 10-Jährige: WWT 6-10. 2. Aufl. Elsevier, München und bei
Motsch, H.-J., Marks, D.-K., Ulrich, T. (2016): Wortschatzsammler. Evidenzbasierte Strategietherapie lexikalischer Störungen im Kindesalter. Ernst Reinhardt, München / Basel.
unspezifische Wörter So verwenden diese Kinder vielfach allgemeine, unspezifische Wörter wie „Dings, so was, so ein Teil“. Als Verben werden „machen, tun“ in vielfältigen Kontexten als semantisch unspezifizierte Passe-par-tout-Wörter gebraucht. Aus diesem Grund werden sie auch als GAP-Verben (general all purpose) bezeichnet (Conti-Ramsden / Jones 1997). Vielfach helfen lexikalisch gestörte Kinder sich auch mit Umschreibungen, wenn ihnen die Wortform zu einem bestimmten lexikalischen