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Sprachtherapie mit Kindern


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dass es sich um eine semantisch motivierte Ersetzung handelt: Anne hat bisher zu wenig differenzierende semantische Merkmale gelernt, um die Bedeutungen dieser beiden nebengeordneten Einträge voneinander abzugrenzen. Alternativ könnte diese Fehlbenennung jedoch auch durch unzureichendes Wissen auf der Wortformebene entstanden sein: Die phonologische Wortform ‚Libelle’ […] ist nur als grobes Klangfragment im Wortformlexion gespeichert. Für die Produktion ist dieser Eintrag zu ungenau. Daher wird stattdessen ein Eintrag ausgewählt, der eine semantische Ähnlichkeit mit dem Zielwort hat (daher wurde auch bereits eine Vielzahl seiner semantischen Merkmale aktiviert) und dessen phonologische Wortform leichter zugänglich ist“ (Motsch et al. 2016, 30).

      Charakteristischerweise reichen defizitär gespeicherte lexikalische Einträge oftmals für das Verstehen bzw. Wiedererkennen eines Wortes aus. Aus diesem Grund erreichen Kinder mit qualitativen lexikalischen Defiziten in der Regel bessere Normwerte bei der Überprüfung des Wortverstehens (rezeptiver / passiver Wortschatz) gegenüber der Wortproduktion (expressiver / aktiver Wortschatz, Kap. 3; Nash / Donaldson 2005; Rupp 2008, 2013; Motsch et al. 2016).

      Wortfindungsstörungen Eine besondere Stellung kommt den lexikalischen Zugriffs- oder Abrufstörungen (auch: kindliche Wortfindungsstörungen) zu.

      „Wortabrufstörungen betreffen die Aktivierung von vorhandenen lexikalischen Einträgen für die Sprachproduktion. Das Kind verfügt über einen lexikalischen Eintrag, kann diesen für die Sprachproduktion aber nicht, nur ungenau oder nach längerem Suchen (Pause) abrufen“ (Motsch et al. 2016, 31).

      Gemäß der sogenannten „Speicherhypothese“ sind Wortfindungsstörungen als Oberflächensymptom einer zugrundeliegenden, qualitativen lexikalischen Störung zu interpretieren (Rothweiler 2001; Glück 2010; Rupp 2008, 2013; Ulrich 2012).

      In der Spontansprache des Kindes sehen wir somit die Symptome einer Wortfindungsstörung, diese kommen zustande durch die „unter der Oberfläche liegenden“ undifferenzierten semantischen oder phonologischen Repräsentationen. Gemäß dieses Ansatzes können qualitative lexikalische Störungen somit Abrufstörungen nach sich ziehen; liegen Abrufstörungen vor, ist aber in jedem Fall von defizitär gespeicherten lexikalischen Einträgen auszugehen.

      Eine Gegenposition wird im Rahmen der sogenannten „Abrufhypothese“ vertreten: Hier sei die Speicherqualität der lexikalischen Einträge intakt, allein der Zugriff auf diese gelinge nicht (Beier / Siegmüller 2013). Empirische Evidenz für diese Hypothese gibt es bisher nicht, was sicherlich der sehr engen Verwobenheit von Speicher- und Abrufprozessen geschuldet ist (bzw. in Netzwerkmodellen gar keine Trennung von Speicherung und Abruf angenommen wird, Kap. 1). Zudem führt die Diskussion um Speicher- oder Abrufhypothese nur bedingt zu unterschiedlichen Implikationen hinsichtlich Diagnostik und Therapie. In dieser Hinsicht wesentlich lohnenswerter erscheint die Frage danach, ob die Schwierigkeiten des Kindes primär den Zugriff auf die Wortbedeutungs- oder auf die Wortforminformation betreffen. Eine Reihe von Studien deutet darauf hin, dass die Defizite wortfindungsgestörter Kinder schwerpunktmäßig subsemantisch, also in der Aktivierung und dem Abruf der Wortforminformation liegen dürften (Constable et al. 1997; German / Newman 2004; Siegmüller 2005).

      typische Symptome für Abrufschwierigkeiten Kinder mit Wortfindungsstörungen zeigen als Leitsymptom ein fluktuierendes Gelingen des Wortabrufs, das sich in inkonsistentem Benennverhalten zeigt (Siegmüller 2008; Beier / Siegmüller 2013, Kap. 3): Während der Zugriff auf ein Wort in einem Moment gelingt, ist dies kurze Zeit später nicht mehr möglich. Da die Kinder die Wörter gut kennen (also verstehen können), sind ihre Leistungen in rezeptiven Wortschatztests meist nur leicht oder überhaupt nicht beeinträchtigt (German 1989). Im Gegensatz dazu bestehen erhebliche Schwierigkeiten bei der Wortproduktion (Glück 2010). Beim Benennen von Bildern oder in der Spontansprache fallen Verzögerungen in der zeitlichen Struktur der Äußerungen auf (Dockrell et al. 2001, 2003; Glück 2010). Die charakteristischen Meta-Kommentare sind Ausdruck eines hohen Störungsbewusstseins vieler Kinder mit Wortfindungsstörungen. Artikulatorisches Suchverhalten ebenso wie semantische oder phonologische Annäherungen an ein Zielwort treten ausschließlich bei dieser Form der lexikalischen Störung auf. Zudem profitieren Kinder mit Wortfindungsstörungen häufig vom Angebot semantischer oder phonologischer Abrufhilfen (Glück 2010, 2011a).

      Semantische Annäherung: „Darin kann man kochen ... für’s Rührei ... die Pfanne.“

      Phonologische Annäherung: „Der hatte so eine Mant... Munt... Mundharmonika.“

      Vermutlich ist eine Reihe unterschiedlicher Faktoren an der Entstehung und Aufrechterhaltung einer lexikalischen Störung beteiligt (Glück / Elsing 2014a). Welche Faktoren im Einzelnen zur Verursachung beigetragen haben, kann nicht in allen Fällen retrospektiv rekonstruiert werden und hat auch nur eingeschränkt Relevanz für die therapeutischen Bemühungen. Aufrechterhaltende sowie verstärkende Faktoren sollten jedoch im Rahmen der sprachtherapeutischen Diagnostik identifiziert und in der Therapieplanung entsprechend berücksichtigt werden (Motsch et al. 2016).

      fehlende Vorausläuferfähigkeiten Einigen Kindern fehlen wichtige kognitive bzw. vorsprachliche Fähigkeiten, um die kommunikative und repräsentative Funktion von Sprache entdecken zu können (Zollinger 2010; Kap. 1). Insbesondere bei Kindern mit umfassenden Entwicklungsstörungen bzw. kognitiven Einschränkungen ziehen Verzögerungen in vorsprachlichen Entwicklungsbereichen oftmals einen verspäteten Einstieg in den Wortschatzerwerb nach sich. So ermöglicht bspw. das Triangulieren überhaupt erst die Erkenntnis, dass Wörter als Symbole für etwas verwendet werden können. Fehlt diese Einsicht, bleibt das Verstehen der Kinder oftmals an die konkrete Situation gebunden.

      fehlendes Nachfragen Wortschatzauffällige Kinder fragen insgesamt seltener nach, wenn sie auf eine lexikalische Lücke stoßen. Dies kann zum einen Ausdruck eines unzureichenden Erkennens der eigenen lexikalischen Lücken sein. Manche Kinder sind sich dem Unterschied zwischen „komplett verstehen“ und „nur halb verstehen“ gar nicht bewusst (Amorosa / Noterdame 2003).

      „Ihnen fehlt meist auch der aktive und kreative Umgang mit Sprache. Sie fragen kaum nach, sie äußern weder Korrekturen noch bilden sie neue Wortformen. Die Kinder vermitteln sogar oft den Eindruck, als falle ihnen gar nicht auf, dass sie vieles nicht benennen können […]“ (Füssenich 2002, 86).

      Bei anderen Kindern spiegelt diese Passivität bereits einen ersten Rückzug aus kommunikativen Situationen aufgrund wiederholter Frustrationserfahrungen wider (Dannenbauer 2001a). In jedem Fall zeigen Kinder mit lexikalischen Störungen gegenüber sprachunauffälligen Kindern eine geringere „Neugier“ für neue Wörter. So machen sie von einem der wichtigsten Antriebsmotoren der physiologischen Entwicklung, dem Fragen, nur unzureichend Gebrauch (Motsch et al. 2016; Brinton / Fujiki 1982; Hargrove et al. 1988).

      Einige Kinder hatten zu wenige Gelegenheiten, die Dinge ihrer Umgebung umfassend und mit allen Sinnen zu erfahren. Fehlen konkrete, multisensorische Erfahrungen, können keine facettenreichen Konzepte aufgebaut werden, Wörter bleiben „bedeutungsleere Hülsen“ (Motsch et al. 2016, 38).

      defizitärer Sprachinput Mittlerweile belegt eine ganze Reihe empirischer Untersuchungen deutliche Zusammenhänge zwischen der sozialen Schichtzugehörigkeit und der Quantität sowie der Qualität des elterlichen Sprachangebots. Eltern aus bildungsfernen Schichten sprechen weniger mit ihren Kindern und verwenden dabei weniger unterschiedliche Wörter als Eltern mit einem höheren Bildungsniveau. Zudem bevorzugen Eltern aus niedrigen sozialen Schichten einen eher direktiven Kommunikationsstil (Hart / Risley 1995; Hoff-Ginsberg 1991, 1998; Rowe 2008; Clark 2009). Diese Unterschiede schlagen sich in der Wortschatzentwicklung der Kinder nieder. So bestehen deutliche Zusammenhänge zwischen Quantität und Qualität des elterlichen