vor allem Kinder mit Wortfindungsstörungen nur unzureichend von einer klassischen Elaborationstherapie (Beier / Siegmüller 2013) und benötigen daher (zusätzlich) eine spezifische, auf ihre Zugriffsprobleme abgestimmte „Abruftherapie“, die auf die Förderung des schnellen und gezielten Wortabrufs sowie die Vermittlung von Speicher- und Abrufstrategien zielt (Kap. 4).
Aus der qualitativen Analyse des erhobenen diagnostischen Materials lassen sich bereits viele wertvolle Hinweise für die inhaltliche Konzeption der Therapie ziehen: Wie sind die Wortarten im kindlichen Lexikon verteilt? Gibt es Hinweise auf spezifische Defizite im Bereich des Verblexikons? Welcher Art sind die Ersetzungen des Kindes beim Fehlbenennen? Werden bereits semantisch oder phonologisch nahe Ersatzwörter verwendet?
In die Planung der Therapie sollten zudem Beobachtungen zu bereits vorhandenen Bewältigungs- und Kompensationsstrategien des Kindes einfließen. Einige Strategien sind möglicherweise gewinnbringend und können in der Therapie aufgegriffen und verstärkt werden, weniger hilfreiche Strategien sollten durch andere Verhaltensweisen ersetzt werden.
Hilfreiche Strategien sind: Lisa, sieben Jahre, schafft es bereits in einigen Fällen, sich selbst semantisch oder phonologisch an ein Zielwort anzunähern, das sie nicht unmittelbar abrufen kann: „Ein Apfel ... nein ... warte mal... eine Kirsche!“, „Hier die Plätze sind seve... seva... resa.. reserviert.“
Yassin, sechs Jahre alt, lässt sich von seinen lexikalischen Lücken nicht beirren und versucht, sich mit allen verfügbaren Mitteln dennoch verständlich zu machen: „ / und da haben wir in de Berge haben wir eine dicke fette ein Hase gesehen / so große <Geste> / bisschen so groß / und der hat nur so gemacht boing, boing < Geste> / .“
Weniger hilfreiche Strategien sind: Johannes, zehn Jahre alt, schlägt sich bei Abrufstörungen mit der Hand gegen den Kopf (= motorischer Blockadelöser).
Martin, vier Jahre alt, entkommt jeglicher Anforderungssituation, indem er angibt, dringend auf die Toilette zu müssen.
Sarah, acht Jahre alt, antwortet auf alle Fragen in Gesprächen mit „Ja“ und setzt dabei ein strahlendes Lächeln auf.
Schließlich fließen in die Überlegungen zur Therapieplanung selbstverständlich die individuellen Interessen des Kindes ein, die bei der Auswahl von exemplarischen Themenbereichen und der Konzeption von Therapieformaten berücksichtigt werden sollten.
Zusammenfassung
Das erste Ziel der Wortschatzdiagnostik besteht darin, therapierelevante Einschränkungen des Wortschatzumfangs bzw. -gebrauchs zu identifizieren und zu objektivieren. Daran schließen sich weiterführende diagnostische Schritte zur Bestimmung des lexikalischen Störungsschwerpunktes sowie der Auswertung von Hinweisen für die spezifische Therapieplanung an.
4 Therapie
4.1 Therapiedidaktik
Aufgabe der Sprachtherapie Was ist die Aufgabe von Sprachtherapeuten im Kontext von Wortschatzstörungen? Viele Kollegen in Praxis und Schule empfinden die Arbeit am Wortschatz als eine schier endlose therapeutische Aufgabe. Hier reicht es nicht, eine bestimmte grammatische Regel zu vermitteln oder dem Kind bei der Überwindung eines phonologischen Prozesses zu helfen. Nach „Bearbeitung“ einer überschaubaren Anzahl exemplarischer Wörter in der Therapie stehen noch viele weitere Wörter „auf dem Programm“, die das Kind auch noch nicht versteht oder korrekt verwendet. Wie soll man diese Mammutaufgabe jemals bewältigen?
Sprachförderung vs. therapie Die Lösung des Problems liegt in der Unterscheidung von Maßnahmen der Sprachförderung einerseits und Maßnahmen der Sprachtherapie andererseits (Glück 2007).
Ein wichtiger Fokus von allgemeinen Sprachfördermaßnahmen ist die Wortschatzerweiterung. Ziel ist es, den kommunikativen Einschränkungen, die aus einem zu geringen Wortschatzumfang resultieren, entgegen zu wirken (Glück 2007; Motsch et al. 2016). Die Wortschatzerweiterung stellt einen lebenslangen, fortlaufenden Prozess dar. Auf Grund dieser Tatsache erscheint es plausibel, dass Wortschatzerweiterung nur von den Personen umgesetzt werden kann, die das Kind in seinem Alltag kontinuierlich begleiten – also den Erziehern im Kindergarten, den Lehrern in der Schule und den Eltern. Die Erweiterung des kindlichen Wortschatzes um mehrere hundert oder tausend Wörter kann nicht innerhalb einer 45-minütigen Therapiestunde pro Woche durch Sprachtherapeuten geleistet werden.
Therapieziel Generalisierung Aufgabe von Sprachtherapeuten ist es vielmehr, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kinder mit lexikalischen Störungen von dieser Wortschatzerweiterung im alltäglichen Leben profitieren können (Motsch et al. 2016). Methodisch bedeutet dies, dass mit den Kindern an einem exemplarisch umgrenzten Ausschnitt des Wortschatzes Merkmale erarbeitet und Prinzipien verdeutlicht werden, die von den Kindern anschließend auf andere Bereiche des lexikalischen Wissens übertragen werden sollen. Erfolgreiche lexikalische Therapie muss also eine Generalisierung auf ungeübtes Wortmaterial nach sich ziehen (Motsch et al. 2016).
Didaktik semantischlexikalischen Lernens Die Didaktik semantisch-lexikalischer Therapie nahm ihren Anfang in den 1990er Jahren und basiert auf dem Prinzip des „inszenierten Spracherwerbs“ (Dannenbauer 2002, 138; Füssenich 2002; Braun 2002). Grundlegende Idee ist es, exemplarisches Lernen in einer vorstrukturierten Situation zu initiieren. In Situationen mit „Aufforderungscharakter“ (Grohnfeldt 1993, 150) soll dem Kind zum einen die Wahrnehmung und Erfahrung mit allen Sinnen ermöglicht werden, zudem soll es die kommunikative Bedeutsamkeit von Sprache in der Interaktionssituation erfahren können (Füssenich 2002). Als Gegenentwurf zu funktionslosen Benenn-Übungen wird somit die Relevanz eines „für das Kind sinnvoll veranlassten, erfahrungsbezogenen und dialoggerichteten Sprachgebrauch[s]“ (Kleinert-Molitor 1989; 227) in den Mittelpunkt gestellt. In den folgenden Jahren entwickelte sich auf dieser Basis eine ganze Reihe unterschiedlicher Therapiekonzeptionen und -vorschläge, die den in Abbildung 10 dargestellten drei Säulen zugeordnet werden können.
Abb. 10: Drei Säulen der Therapie bei lexikalischen Störungen (nach Glück / Elsing 2014a)
Innerhalb ihres EAST-Konzeptes (Elaborations-, Abruf- und Strategietherapie) machen Glück / Elsing (2014a) den Vorschlag, sämtliche Säulen innerhalb eines umfassenden Therapiekonzepts miteinander zu kombinieren. Dabei sollte sich die Auswahl der einzelnen Schwerpunkte an der individuellen Symptomatik des Kindes orientieren.
Begleitet und unterstützt können die therapeutischen Bemühungen über eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern werden. Insbesondere, wenn sprachliche Inputbedingungen oder ein wenig sprachfördernder Kommunikationsstil als aufrechterhaltende oder verstärkende Faktoren wirksam sind, ist darüber hinaus eine gezielte Elternberatung und -anleitung sinnvoll.
Konkrete Anregungen zur Elternberatung und -anleitung zur Etablierung sprachförderlicher Verhaltensweisen finden sich u. a. bei:
Buschmann, A. (2011): Heidelberger Elterntraining zur frühen Sprachförderung: Trainermanual. 2. Aufl. Elsevier, München,
Motsch, H.-J., Marks, D.-K., Ulrich, T. (2016): Wortschatzsammler.
Evidenzbasierte Strategietherapie lexikalischer Störungen im Kindesalter. Ernst Reinhardt, München / Basel und
Rodrian, B. (2009): Elterntraining Sprachförderung. Handreichung für Lehrer, Erzieher und Sprachtherapeuten. Ernst Reinhardt, München / Basel.
Im Folgenden werden die grundsätzlichen Ziele sowie mögliche Methoden und Inhalte einer jeden Therapiesäule vorgestellt. In Kapitel