Wortfindungstherapie nach PLAN Wie aus Abbildung 11 hervorgeht, findet die Therapie von Wortfindungsstörungen (WFS) nach PLAN auf den drei Ebenen „Training des Kurzzeitgedächtnisses“, „Ausdifferenzierung von Wortformen“ und „Phonologische Bewusstheit“ statt. Dies begründet sich damit, dass Defizite innerhalb der phonologischen Informationsverarbeitung für die Verursachung von kindlichen Wortfindungsstörungen als zentral angesehen werden. Die Intervention richtet sich daher in erster Linie auf die Verbesserung der Sprachverarbeitungsfähigkeiten sowie auf die Ausdifferenzierung der phonologischen Wortformen (Beier / Siegmüller 2013; Gnadt 2016). Versucht man eine Zuordnung zu den anfangs vorgeschlagenen drei Säulen der Wortschatztherapie, finden sich in der Wortfindungstherapie nach PLAN sowohl Elemente der phonologischen Elaborations- als auch der Abruftherapie. Insgesamt werden drei rezeptive und drei expressive Übungsbereiche vorgeschlagen. Die rezeptive Arbeit ist den expressiven Bereichen jeweils vorgeschaltet.
Übungsbereiche ■ Übungsbereich 1 – Identifikation von Wörtern und Pseudowörtern: Aufgabe des Kindes ist es, ein Signalwort in einer vorgegebenen Wortreihe zu identifizieren. Unterschiedliche Anforderungsniveaus können über eine systematische Variation von Wortfrequenz und -länge, die phonologische Ähnlichkeit von Signal- und Ablenkerwörtern sowie den Einsatz von Pseudowörtern als Signalwörter hergestellt werden.
■ Übungsbereich 2 – Wort-Nichtwort-Entscheidung: Das Kind soll entscheiden, ob es sich bei dem vorgesprochenen Wort um ein real existierendes Wort oder um ein Pseudowort (Quatschwort, Roboterwort, o. Ä.) handelt. Die phonologische Ähnlichkeit sowie die Wortfrequenz werden auch hier systematisch variiert.
■ Übungsbereich 3 – Wahrnehmung von prosodischen und phonologischen Charakteristika: In diesem Übungsbereich wird die phonologische Bewusstheit des Kindes gefördert, wobei zunächst ausschließlich rezeptive Leistungen von ihm erwartet werden (z. B. Reimentscheidungen treffen).
■ Übungsbereich 4 – Merkfähigkeit für Wörter und Pseudowörter: Aufgabe des Kindes ist das kurzzeitige Merken und Wiedergeben von Einzelwörtern, Wortsequenzen und Pseudowörtern jeweils mit steigender Silbenanzahl.
■ Übungsbereich 5 – Analyse und Synthese: Hier werden Übungen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit durchgeführt, bei denen von den Kindern eine expressive Leistung verlangt wird. Hierzu gehört das Segmentieren von Wörtern in Silben oder einzelne Phoneme, sowie die Synthese von Silben oder Lauten zu Wörtern.
■ Übungsbereich 6 – Abruf von Einzelwörtern: Dieser expressive Übungsbereich zielt auf den hochfrequenten Abruf von exemplarisch ausgewählten Einzelwörtern, die die Eltern des Kindes als besonders problematisch eingeschätzt haben (Beier 2013). Hierzu werden Kontexte geschaffen, die einen mehrfachen Abruf dieser Wörter erfordern. Ziel ist der mindestens dreimalige, spontane Abruf des Wortes in einer Therapieeinheit.
Insbesondere für Kinder mit hohem Störungsbewusstsein empfehlen die Autorinnen den Einsatz einer „Abrufhilfe“ oder „Abrufkarte“ (Siegmüller / Kauschke 2013; Beier 2013). Diese kann das Kind immer dann einsetzen, wenn in realen Kommunikationssituationen Abrufschwierigkeiten auftreten. Die Situation wird dann „eingefroren“ und der Therapeut hilft dem Kind mit der größtmöglichen externen Hilfe (z. B. semantische Hilfe, phonologische Hilfe, Vorgabe des Wortes) beim Deblockieren seines Abrufs (Gnadt 2016).
semantische und phonologische Inhalte in PLAN Im Gegensatz zu den oben beschriebenen semantisch ausgerichteten Therapiebereichen 1-3 erfolgt die Auswahl des Wortmaterials für wortfindungsgestörte Kinder in Therapiebereich 4 nicht anhand von semantischen Überlegungen. Vielmehr steht hier die phonologische Struktur eines Wortes, seine Silbenanzahl und seine Wortfrequenz für die Auswahl im Mittelpunkt. Die Wortfindungstherapie ist damit sowohl inhaltlich als auch methodisch weitgehend losgelöst von der vorherigen Arbeit an den drei semantisch orientierten Therapiebereichen. Dies ist durchaus so gedacht. So richtet sich die soeben skizzierte Wortfindungstherapie ausschließlich an „Kinder, die eine Verarbeitungsstörung, nicht aber lexikalische und / oder semantische Defizite aufweisen“ (Beier 2013, 4). Aus patholinguistischer Sicht basiert die WFS auf der sogenannten Abrufhypothese (Kap. 2), derzufolge defizitäre Speicherbedingungen der lexikalischen Repräsentationen eine untergeordnete Rolle bei der Verursachung spielen, weshalb sie auch in der Konzeption von Therapiemaßnahmen nicht berücksichtigt werden müssen (Gnadt 2016).
Möglicherweise zusätzlich bestehende semantische Unsicherheiten eines Kindes sollten „in einer eigenen Therapiephase vor der Wortfindungstherapie“ bearbeitet werden (Siegmüller 2008, 9).
Evidenznachweise PLANE Die Effektivität des patholinguistischen Vorgehens für lexikalisch gestörte Kinder wurde im Rahmen einiger Fallstudien evaluiert (Siegmüller / Fröhling 2003; Siegmüller 2008). Eine Reihe von Effektivitätsstudien wurde zudem zur Methode der Inputspezifizierung bei Kindern im Late-Talker-Stadium durchgeführt (Siegmüller / Ringmann 2015 für einen Überblick).
Siegmüller und Fröhling (2003) evaluierten eine semantische Elaborationstherapie nach PLAN mit Fokus auf der semantischen Kategorisierung. Sechs Late-Talker-Kinder im Alter zwischen 2;2 und 2;10 Jahren bildeten die Untersuchungsgruppe und wurden mit sechs alters- und sprachähnlichen Kindern einer Kontrollbedingung (Wartegruppe) verglichen. Nach elf bis 25 Therapieeinheiten zeigte sich ein signifikant größerer Zuwachs im aktiven Wortschatz für die Therapiekinder gegenüber den Kindern in der Kontrollgruppe.
Siegmüller (2008) untersuchte die Effektivität der patholinguistischen Therapie für wortfindungsgestörte Kinder. An der Studie nahmen N = 10 Kinder im Alter zwischen 4;10 und 10;4 Jahren teil. Die Kinder erhielten zwischen 14 und 25 Therapieeinheiten mit PLAN. Bei acht der zehn Kinder zeigte sich eine signifikante Zunahme der Wortabrufgeschwindigkeit. Da jedoch keine unabhängige Kontrollgruppe vorhanden war, sind interventionsunabhängige Wirkfaktoren, wie allgemeine Reifungsprozesse, nicht auszuschließen. Dies gilt insbesondere, da für viele Altersgruppen noch keine zuverlässigen Normdaten für das Schnellbenennen vorliegen, wir also nicht genau wissen, wie stark sich die Zugriffsgeschwindigkeit altersbedingt innerhalb eines bestimmten Zeitraumes erhöht.
4.3.2 Wortschatzsammler
„Wortschatzsammler“ ist ein strategieorientiertes Therapiekonzept für lexikalisch gestörte Vorschul- und Schulkinder. Es wurde von Motsch, Marks und Ulrich entwickelt und hinsichtlich seiner Effektivität in zwei umfassenden Interventionsstudien überprüft (Kap. 4.4, Motsch et al. 2016; Ulrich 2012; Marks 2017).
Zielgruppe Zielgruppe der Wortschatzsammler-Therapie sind in erster Linie wortschatzauffällige Kinder mit einer (spezifischen) Sprachentwicklungsstörung. Positive Erfahrungen liegen jedoch auch für Kinder mit leichteren kognitiven Einschränkungen im Bereich der Lernbehinderung vor. Das Konzept hat sich für Kinder mit unterschiedlichen lexikalischen Störungsschwerpunkten (Kap. 2) als effektiv erwiesen (Ulrich 2012; Motsch / Ulrich 2012a). Die Therapie eignet sich ausdrücklich auch für Kinder, die mit mehr als einer Sprache aufwachsen (Motsch / Marks 2015b). Die in der Therapie vermittelten Prinzipien und Strategien sind zunächst einmal sprachunspezifisch, weshalb sie auch auf die andere, nicht-therapierte Sprache des Kindes angewandt werden können. Erste Hinweise für positive Übertragungseffekte auf die nicht-therapierte Erstsprache der Kinder liegen vor (Motsch / Marks 2016).
Das Wortschatzsammler-Konzept eignet sich für Kinder ab dem Alter von vier Jahren und kann erfahrungsgemäß gut bis zum Ende der 2. Schulklasse eingesetzt werden. Daran schließt sich ein modifiziertes Konzept für ältere Schulkinder an, dessen Einsatz abhängig von den schriftsprachlichen Fähigkeiten des Kindes ab der 2. bzw. 3. Schulklasse empfohlen werden kann (Motsch et al. 2016).
Im Folgenden werden zunächst die grundlegenden Prinzipien, Methoden und Vorgehensweisen beschrieben, die beiden Konzepten zugrunde liegen, bevor anschließend ein Ausblick auf die Modifikationen erfolgt, die für die älteren Schulkinder vorgenommen wurden.