G. D. Brademann

Comanchen Mond Band 2


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Heimstätte von Menschen. Doch es passierte. Die Luft vibrierte, der Schall pflanzte sich fort – seine Töne in dieser Umgebung unheimlich und schrill.

      Storm-Rider betrachtete flüchtig das Gewehr. Sein Blick ging zurück zu ihr, die bereits bei ihren beiden Pferden war. Schon verschwand sie mit ihnen zwischen den Bäumen flussaufwärts. Im nächsten Augenblick machte sich Storm-Rider, seinen Schimmel anfeuernd, auf den Weg zur Pferdeherde, denn um diese Zeit befanden sich fast alle Männer dort. Da war das Lager bereits alarmiert. Männer griffen sich Pferde – irgendwelche, es kam nicht darauf an, wem sie gehörten. Diejenigen, die ihre besten Kriegsponys in der Nähe wussten, nahmen diese.

      Alles ging rasend schnell – keiner verlor ein unnützes Wort. Storm-Riders Stimme hallte laut bis über den Fluss, seine Anweisungen kamen so klar und überlegt, als wäre das schon immer so gewesen. Plötzlich hörten sie alle auf ihn. Unbewusst hatte er das Kommando übernommen. Wenig später tauchte sein Vater neben ihm auf seinem Kriegspony auf. Auch Icy-Wind kam von irgendwoher. Aus sämtlichen Himmelsrichtungen strömten sie herbei, formierten sich auf ihren Pferden, bereits bewaffnet, während die Frauen die Tipis abzureißen und ihren Hausrat zusammenzupacken begannen.

      Nachzügler, die auf der Jagd gewesen waren, stießen zu ihnen – noch, als Storm-Rider Späher ausschickte, um sich ein genaueres Bild von dem anrückenden Feind zu verschaffen. Er wies die Pferdejungen an, die Herde in Bewegung zu setzen und in eine bestimmte Gegend zu bringen. Wie eine einzige Welle rannten die Mustangs los – eine riesige lebende Masse davonstürmender Leiber, Hufe und Mähnen. Fast 700 Pferde donnerten den Canyon entlang, begleitet von erfahrenen, aber noch halbwüchsigen Jungen und zwei älteren Männern. Sie tauchten hinter den terrassenförmig ansteigenden Felsenklippen unter und verschwanden dort. Einen Teil der Pferde benötigte die Antilopenbande für sich selbst. Sie blieben zurück, wurden durch die flache Furt getrieben, von den Frauen und halbwüchsigen Jungen in Empfang genommen und verteilt.

      Die Krieger machten sich bereit. Sie saßen auf ihren bestens ausgebildeten Kriegsponys, manch einer hatte sogar noch die Zeit gefunden, seine Lanze aus einem nahen Versteck zu holen, denn ihre Kriegslanzen bewahrte niemand im Tipi auf. Nach den ersten Einschüssen war nur so viel Zeit vergangen, wie ein Falke brauchen würde, um hoch in den Wolken ihr Lager zu umsegeln. Storm-Rider setzte sich ohne zu zögern an die Spitze der Krieger. Die Frauen hatten bereits die meisten Tipis abgerissen; nun beluden sie die Pferde und die Travois mit den zusammengerollten Büffelplanen und ihrem Hausrat. Von überall den Flusslauf entlang kamen sie auf den Hauptweg. Es war der kürzeste Weg, der durch den Felsendurchgang hinaus in die Weite führte.

      Dort, wo Summer-Rain vorbeigekommen war, war man schon mit dem Zusammenpacken fertig. Die ersten Travois zogen bereits durch den breiten Bogen aus Felsen nach Südwesten, fort von dem Beschuss, denn ein weiterer Kanonendonner trieb sie zur Eile. Inzwischen wusste Storm-Rider auch mehr über den plötzlich erfolgten Angriff. Er hatte zwei Männer ausgeschickt, um den Flussabschnitt weiter unten im Auge zu behalten. Die Späher ritten in aller Eile auf die andere Seite des Flusses hinüber. Von dort signalisierten sie Storm-Rider, dass von da keine Gefahr drohte. Diesseits des Flusses hatten sie Soldaten gesichtet – Soldaten mit zwei Kanonen – und noch eine abgedeckte Waffe, die sie nicht erkennen konnten. Die beiden Späher waren bis auf etwa 20 Schritte an die aufgeprotzten Haubitzen herangekommen, ohne dass sie jemand entdeckt hatte. Wenig später stießen sie auf weitere Spuren und hatten mit Vogelstimmen Meldung gemacht.

      Kavallerie – das war nicht mehr zu übersehen. Storm-Rider wusste also bereits, mit welchem Feind er rechnen musste. Er rief sich die ersten Einschläge noch einmal ins Gedächtnis und musste sich trotz der Gefahr ein Grinsen verkneifen. Diese Männer mussten verwirrt sein, sagte er sich. Hatten sie doch über den Fluss hinweg geschossen. Dachten sie etwa, ihre Tipis ständen dort drüben? Egal, er hatte sich jetzt um ganz andere Sachen Gedanken zu machen. In fliegender Eile packten die Frauen weiter all ihren Hausstand zusammen. Die ihnen zugetriebenen Pferde wurden eingefangen und beladen. Menschen rannten durcheinander, Kinder weinten und suchten nach ihren Müttern. Aber schon ging das anfängliche Durcheinander in ein geordnetes Chaos über.

      Summer-Rain suchte fieberhaft nach ihrer Familie. Da sie nicht wusste, wo sich ihr Tipi befand, ritt sie noch einmal zurück. Endlich tauchte Großmutter aus einer Baumgruppe neben dem Hauptweg auf, vor sich ein beladenes Pony. Eine andere Frau griff danach, befestigte ein Travois und setzte ein kleines Mädchen hinein. Weitere Einschläge erfolgten, fetzten Äste von den Bäumen und schlugen eine Schneise neben dem Hauptweg. Und immer wieder dieses Geräusch. Das war fast schlimmer zu ertragen als die Einschläge danach. Eine Qualmwolke breitete sich von dort, wo die ersten Tipis unten am Fluss gestanden hatten, aus. Durch die Schneise, die die Kanonenkugeln gerissen hatten, konnte man sogar schon blaue Uniformen zwischen den Baumlücken erkennen. Sie kamen jedoch nur langsam voran. Von flussabwärts zogen schwere Pferde zwei Geschütze mühsam weiter.

      Die Strahlen der abendlichen Sonne lagen auf den langen Rohren und ließen das Metall glitzern. Eben verhallte das Donnern der Pferdeherde in der Ferne; sie mussten den Canyon bereits weit hinter sich gelassen haben. Die Krieger hoben kurz die Köpfe – ein erstes Aufatmen. Schon preschten sie an den flüchtenden Menschen vorbei, ließen sie hinter sich, stoppten und warteten auf Storm-Rider, der für sie alle die nächsten Entscheidungen traf. Niemand stellte seine Führungsrolle in Frage. Niemand hatte ihn dazu aufgefordert; es war einfach so gekommen. In ihrer aller Gesichter stand eine Entschlossenheit, die Furchtlosigkeit signalisierte. Niemand nahm sich Zeit, Kriegsfarben anzulegen; auch so sahen sie schon furchterregend genug aus. Sie würden ihre Familien – das Liebste, was sie besaßen – verteidigen und, wenn es sein musste, bis zum Tod kämpfen. Als die letzten Krieger das Geröllfeld erreichten, um sich den anderen anzuschließen, kamen die von Storm-Rider ausgesandten Späher zurück. Nach ihrem ausführlichen Bericht wechselte er einen Blick mit seinem Vater Red-Eagle. Es brauchte keine Worte, um sich miteinander zu verständigen. Sechzehn junge, achtzehn ältere und vier bereits sehr betagte Krieger warteten auf seinen Befehl. Achtunddreißig Comanchen, die bereit waren, ihr kleines Volk – wenn es sein musste, bis zum bitteren Ende – gemeinsam zu verteidigen.

       4. Kapitel

      In Fort Concho war vor einigen Tagen ein neuer Mann zusammen mit sechs Pawnee-Spähern und einer berittenen Abteilung Artillerie von 80 Mann eingetroffen. Statt der üblichen vier Geschütze führten sie nur zwei dabei – plus eine Gatling-Kanone. Bei dem Mann handelte sich um Oberstleutnant William Smith. Er hatte im Sezessionskrieg den Rang eines Generalmajors bekleidet und war nach seinem Übertritt zur siegreichen Armee des Nordens als Oberstleutnant übernommen worden. Sowohl der Quartiermeister als auch einige der Offiziere blickten den Ankömmlingen mit Argwohn entgegen. Oberst Ronald S. Mackenzie, Kommandeur von Fort Concho und Fort Richardson, von den Comanchen als Eagle Chief Bad Hand Mangoheute genannt, 32 Jahre alt und damals der beste Indianerkenner, den der Westen vorzuweisen hatte, lag mit einer schweren Erkältung im Lazarett. Die vierzig Gebäude des Forts beherbergten zur Zeit etwas mehr als 500 Infanteristen und Kavalleriesoldaten.

      General Mackenzie hatte im Februar 1871 das Kommando des 4. US-Kavallerieregiments in diesem Fort übernommen. Im März desselben Jahres beorderte man ihn nach Fort Richardson. Nun, ein Jahr später, war er für eine Inspektion mit einer Kompanie und einer Handvoll seiner ihm treu ergebenen Tonkawa-Spähern zurückgekommen. Oberstleutnant William Smith hatte man telegrafisch als Unterstützung im Kampf gegen marodierende Comanchen herbefohlen. Eine dementsprechende Depesche mussten Mackenzie und der jetzige Befehlshaber des Forts leider akzeptieren – ob sie nun wollten oder nicht. Mackenzie wollte durchaus nicht. Was, um Himmels willen, fragte er sich, hatte sich General Sherman, der derzeitige Oberbefehlshaber der US-Armee, nur dabei gedacht? Dieser neue Mann, der sich einbildete, etwas von Kriegsführung gegen die Indianer zu verstehen, war in seinen Augen eine völlige Niete. Noch dazu hatte er sich angemaßt, 80 Mann berittene Artillerie inkl. Captain mitzubringen – dazu noch sechs Pawnee-Späher, die er ohne vorherige Absprache einfach dem Kavallerieregiment, das hier zur Zeit stationiert war, einverleibte – sehr zum Verdruss von Mackenzies bewährten Tonkawa-Spähern. Das würde unweigerlich Ärger mit sich bringen. Laut Shermans Befehl sollte er 180 Soldaten der Kavallerie hier aus dem Fort übernehmen, um mit ihnen und seiner Artillerie nach