G. D. Brademann

Comanchen Mond Band 2


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einfach alles. Als wäre er unsichtbar für alle, ritt er unbehelligt bis zu seinem Tipi. Niemand stellte Fragen, sie ließen ihn einfach nur stumm an sich vorbeireiten.

      Sein Handeln jedoch wurde ihm anders ausgelegt. Jeder bewunderte seine Großherzigkeit Light-Cloud gegenüber. Die Entscheidung, ihn am Leben zu lassen, brachte ihm mehr Ehre und Ansehen ein als alle seine Taten jemals zuvor. Manche vergaßen dabei sogar seine erfolglosen Versuche, Kriegszüge organisieren zu wollen, die allesamt gescheitert waren. Ihn zeichneten keinerlei Führungsqualitäten aus wie Red-Eagle. Trotzdem wären einige der jungen Männer nach diesem Vorfall bereit gewesen, ihm zu folgen. Im Nachhinein begriff er das verwundert. Jedenfalls machte das den Verlust von Dark-Night mehr als wett. Die schlaue Finte von Großmutter tat er als Weiberkram ab, damit konnte er leben. In ein paar Tagen würde er darüber lachen. Eine Frau war leicht zu ersetzen. Schlimmer wäre der Verlust eines Pferdes gewesen.

      Großmutter hatte von ihrem Platz aus das Kampfgeschehen beobachtet. In dem Moment, als die untergehende Sonne ihre Strahlen auf die Haare ihres Neffen warf, hatte auch sie den Atem angehalten, denn sie erinnerte sich plötzlich an ihre Schwägerin. Dankbar schickte sie ein Gebet an die Geister, die ihren geliebten Light-Cloud beschützt hatten. Während Icy-Wind ihren Blicken entschwand, wendete sie ihre Stute und ritt eilig zurück. Jetzt galt es, die Wunden Light-Clouds zu versorgen und sich um Dark-Night zu kümmern. Alles wird gut, sagte sie sich immer wieder – alles wird gut, Icy-Wind wird keinen Anspruch mehr auf sie erheben. Schließlich hatte es genügend Zeugen für ihr Gespräch mit Icy-Wind gegeben.

      Moon-Night, Red-Eagles Frau, erwartete sie bereits, um ihr vom Zustand Dark-Nights zu berichten, und natürlich wollte sie wissen, was am Geröllfeld passiert war. Großmutter machte nicht viele Worte, denn schließlich musste Light-Clouds Tipi für ihn vorbereitet werden. Er brauchte jetzt ihre volle Aufmerksamkeit. Nach einem kurzen Bericht huschte sie, beladen mit Verbandsmaterial und Kräutern, hinüber in Light-Clouds Tipi.

      Unterdessen hievten Storm-Rider und Gray-Wolf den Schwerverletzten auf sein Kriegspony, das sie bereits abgesattelt hatten. Er hätte kein anderes reiten mögen. Sich über seinen Hals beugend, flüsterte er ihm Kosewörter zu. Eine tiefe Wunde in der Kruppe des Tieres würde besonderer Pflege bedürfen. Darum mussten sich seine Pferdejungen kümmern. Vorsichtig drehte er sich um, legte die Handfläche in das Blut und wischte sacht darüber. Storm-Rider, der wie immer Summer-Wind ritt, tauchte neben ihm auf, griff – ohne ein Wort zu sagen – zu ihm hinüber, um ihn zu stützen. Einen Augenblick später war auch Gray-Wolf da. Beide nahmen ihn in die Mitte, um ihn nach Hause zu bringen. Währenddessen wanderten Light-Clouds Gedanken zurück zum Kampfgeschehen. Er versuchte gar nicht erst, Icy-Winds Handeln zu verstehen. Was ihn auch immer dazu bewogen hatte – er wollte es nicht wissen. Jetzt, während er zurück zu seinem Zuhause ritt, flankiert von seinen Freunden, quälte ihn mehr und mehr der Gedanke an Dark-Night. Diese Angst betäubte für kurze Zeit seine Schmerzen. Die beiden tiefen Wunden an seiner Seite pumpten noch immer Blut. Die Zähne zusammengebissen, blies er den Atem nach oben gegen seine Stirn, gegen den herunterhängenden, halb abgerissenen Wulst über den Augen, der nicht weiter ins Gewicht fiel. Er presste die Hand gegen seine Rippen und atmete flach. Die Schmerzen waren plötzlich wieder da. Damit konnte er umgehen. Schon seit Kindesbeinen lernten Comanchenjungen das. Undenkbar, dass jemand auch nur einen einzigen Jammerlaut von ihm zu hören bekommen würde.

      Die ihn begleitenden beiden Männer waren unterschiedlicher Ansicht über den Ausgang des Kampfes. Während sie laut darüber nachdachten, nahm Gray-Wolfs Gesicht einen nachdenklichen Zug an. Er war der Meinung, Icy-Wind wäre vielleicht zur Vernunft gekommen und wollte, zwar etwas verspätet, endlich Frieden mit Light-Coud schließen. Diese Fehde zwischen den beiden Familien dauerte nun schon viel zu lange – und niemand kannte den Grund dafür. Storm-Rider jedoch hätte es an Light-Clouds Stelle erst nie so weit kommen lassen. Er wäre mit seinem Mädchen auf und davon. Dark-Nights Verstümmelung wäre somit auch nicht passiert. Nun ja, das alles war nun nicht mehr rückgängig zu machen; geschehen war geschehen.

      Gray-Wolf lächelte jetzt unverhohlen. Großmutters Art, Icy-Wind Dark-Night abzuschwatzen, ja, ihn zu überlisten, fand er beachtenswerter. Natürlich konnte Light-Cloud davon noch nichts wissen. Diese Botschaft sollte ihn erfreuen. Doch er war nicht derjenige, um sie ihm zu überbringen. Dies gebührte einzig und allein Großmutter. Gray-Wolf war darüber froh – und besonders über den Ausgang des Kampfes. In seiner praktischen, einfachen Art interessierten ihn keine komplizierten Gründe. Man musste es eben hinnehmen, so wie es war.

      Während sich Gray-Wolf mit Storm-Rider weiter an ihm vorbei über Kampfmethoden unterhielt, wendete Light-Cloud seinen Kopf von einem zum anderen. Sie waren schon eine ganze Strecke geritten, als er die Frage stellte, die ihn am meisten beschäftigte: „Weiß jemand von euch, wie es Dark-Night geht?“

      Storm-Rider schürzte leicht die Lippen und schüttelte den Kopf. Seine Haare, offen und vom Wind zerzaust, fielen ihm in leichten Wellen unordentlich über den Rücken. Nervös fuhr er sich mit einem Finger über den breiten Rücken seiner Nase. In seinem männlich herben Gesicht erschien ein ernster Zug. „Spar dir deine Spucke“, meinte er dann leichthin, „denn du bist nicht leicht zu ersetzen. Was Dark-Night betrifft, um die kümmern sich Großmutter und meine Mutter.“ Er hüstelte verlegen, weil er auch nichts weiter wusste – und ebenso wie Gray-Wolf der Meinung war, dass ihm das mit Dark-Night Großmutter sagen musste.

      Light-Cloud richtete sich mühsam auf, ihm einen dankbaren Blick zuwerfend. Gray-Wolf, der den Zügel von Light-Clouds Mustang in der Hand hielt, lenkte ihn den Fluss hinunter seinem Tipi zu.

      „Großmutter wird dich schon wieder zusammenflicken“, meinte Storm-Rider, um das Thema zu wechseln. Er wollte einfach nicht mehr davon sprechen, auch nicht über den Kampf mit Icy-Wind – sich keine Gedanken mehr darüber machen, was vielleicht hätte sein können.

      Vom Fluss her tauchte Little-Wolf auf und ritt ihnen entgegen. Nachdem er gesehen hatte, wohin Icy-Wind verschwunden war, wollte er wissen, wie es Light-Cloud ging, und schloss sich ihnen an. Gray-Wolf und er waren im gleichen Alter. Er jedoch war sehniger, etwas größer – und seine Haut hell. Fast ein Drittel aller Comanchen waren Mischlinge oder sogar weiß. Die Mitglieder der Antilopenbande dagegen hatten – bis auf wenige Ausnahmen – eine dunkle Haut. Ein weiterer Freund, der wie Little-Wolf das Kampfgeschehen beobachtet hatte, stieß aus dem seitlichen Gebüsch zu ihnen. Er war zu Fuß, passte sich aber leicht dem ruhigen Gang der Mustangs an. Ursprünglich stammte er aus Mexiko und war jetzt einer der Pferdejungen. Storm-Rider musterte ihn kurz. Ihm war eben etwas eingefallen. Oh, dachte er verwirrt. Ja, „Swims-Through-The-River“, hieß er – „Swimmer“, nannten sie ihn nur kurz. Hatte er doch im Mond, in dem die gelben Blumen blühen, versucht, mit Summer-Rain anzubandeln. Das war nun schon etwas über einen Winter her.

      Nach einem prüfenden Blick auf Light-Clouds Pferd zeigte der junge Mexikaner auf das Blut, das dem Tier die Flanken hinunterlief. „Ich werde mich um deinen Braunen kümmern“, stellte er sachkundig fest, ihm die Flanke streichelnd. „Lass mich das für dich tun, Light-Cloud; es wäre mir eine Ehre.“

      Sein Lächeln ist umwerfend, stellte Storm-Rider neidlos fest. Auch gehörte er zu den angesehensten Männern und war bekannt für seine heilenden Hände, wenn es um Pferde ging – beinahe so gut wie Light-Cloud selbst. Ohne auf das Angebot einzugehen, murmelte der nur Unverständliches vor sich her. Anscheinend hatte er gerade jetzt große Schmerzen.

      Statt seiner antwortete Storm-Rider für den verletzten Freund: „Er wird es nicht selber tun können, das siehst du ja. Also wäre es schön, wenn du das übernimmst.“

      „Ihr braucht nicht so zu tun, als wäre ich nicht hier“, schnappte Light-Cloud, der sich damit wieder ins Leben zurückmeldete. „Ich weiß, was ihr denkt, doch dieser Mann hier hat nur ein paar Kratzer abbekommen und wird in der nächsten Zeit noch nicht sterben. Auch verkriecht er sich nicht wie ein wundgeschossener Wolf irgendwo. Also, haltet euch besser zurück!“

      „Oho, gib nur nicht so an!“ Gray-Wolf lachte glucksend. Man sah es ihm an, wie froh er über den Zustand des Freundes war. Wenn er schon wieder scherzen konnte, dann würde es sicher nicht so schlimm sein. Doch Light-Clouds Lächeln war nicht echt. Storm-Rider hatte es sehr wohl bemerkt, verbiss sich jedoch