H. D. Kittsteiner

Out of Control


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kompensatorischen Denken beim Betrachten der Weltgeschichte geschuldet. Ein Weltplan kann nicht behauptet werden. Aus dem erschlichenen Gesichtspunkt des „Weltgeistes“ wird der Ausgangspunkt vom duldenden und handelnden Menschen; daher wird Burckhardts Standpunkt „gewissermaßen pathologisch“. Und doch lehnt Burckhardt die Arbeit der „geschichtsphilosophischen Centauren“ nicht rundweg ab. Man sehe sie gerne am Waldesrand der geschichtlichen Studien, weil sie in der Lage seien, einzelne mächtige Ausblicke in den Wald zu hauen. Denn den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen – das ist ein weit verbreitetes Schicksal der Historiker.

       V. Geschichtsdenken nach dem Ende der teleologischen Sekurität

      Wenn man fragt, ob das Zeitalter der Revolutionen beendet sei, dann ist man über Marx hinaus. Denn Marx ist der letzte Methusalem des teleologischen Denkens, auch wenn sich seine Teleologie darauf beschränkt hatte, in der Bewegung des kapitalistischen Substanz-Subjekts die krisenhaften Vorbedingungen für die revolutionäre Tat der Arbeiterklasse bereitzustellen. Insofern hatte Marx die politische an die ökonomische Revolution gebunden und in der kapitalistischen Krise noch einmal eine „List der Vernunft“ am Werke gesehen. Die Geschichte des sozialistischen Denkens zeigt selbst schon eine Entkoppelung dieser Prämissen; als die Oktoberrevolution in Russland dann stattfindet, ist sie der Akt einer Kaderpartei und keineswegs notwendig im Sinne von Marx. Inzwischen hat der globale Weltmarkt als der Nachfahre des Weltgeistes dieses „sozialistische“ Gebilde wieder in sich zurückgenommen. Nun zeigt es sich: Die ökonomische Umwälzung aller Verhältnisse durch das Kapital war die eigentliche Revolution des 19. und 20. Jahrhunderts; die sozialistischen Revolutionen waren nur die Reaktion darauf. So ist das, was Marx zusammengedacht hatte, heute auseinandergefallen. Der unbewussten Einsicht in die Unentrinnbarkeit des Kapitalverhältnisses korrespondiert ein frei flottierender Enthusiasmus, der sich in der nun auch schon wieder am Ende ihrer Herrlichkeit angekommenen „Postmoderne“ an Geschichtszeichen relativ beliebiger Art attachieren konnte.

      Ich hatte oben eine revolutionäre von einer zivilisationskritischen Linie im deutschen Denken des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts unterschieden. Die Unterscheidung darf nicht zu streng sein, denn beide Linien überschneiden sich vielfach und bilden in der Zeit um den Ersten Weltkrieg ein brisantes Gemisch. Romantisches Denken in der entzauberten Welt zieht anhand einer Passage aus Thomas Manns Doktor Faustus einige Linien dieses Selbstverständnisses nach. Die als Stufe der „Heroischen Moderne“ charakterisierte Grundhaltung zur Geschichte versucht sich an der Sinngebung des Sinnlosen. An einigen Büchern und programmatischen Verlautbarungen des Eugen Diederichs Verlags in Jena wird dieses Denken näher umrissen: Immer ist es auf der Suche nach einer Kraftzufuhr, denn um diesen an sich selbst sinnlosen Prozess des Geschehens noch bändigen zu können, bedarf es offenbar übermenschlicher Kräfte, die schließlich fichteanisch im Rückgriff auf die Deutschen als das Urvolk auch gefunden werden. So gerät das romantische auf die abschüssige Bahn des völkischen Denkens.

      Erkenne die Lage. Über den Einbruch des Ernstfalls in das Geschichtsdenken. Auch das klingt aktuell. Gemeint ist aber die Auslegung einer Sentenz von Carl Schmitt, der Gedanke, dass Gott mit uns spiele, könne ebenso sehr eine optimistische Theodizee wie eine verzweifelte Ironie hervorbringen. Die Ironie wird durchgespielt anhand Hegels Kritik an den Romantikern, denn er selbst hielt eine substanziellere bereit: die Ironie des Weltgeistes, der die Intentionen der Akteure prismatisch bricht und zu seiner eigenen Sache macht. Mit der Kritik an der Geschichtsphilosophie zerfällt diese spielerische Ironie. Der Ernstfall bricht in die Geschichte ein. Die Akteure betrachten sich nun selbst als die letzten Instanzen des historischen Handelns. Sie spalten sich auf in Freund und Feind, doch scheint hier eine gewisse Asymmetrie am Werk. Denn Carl Schmitts „Feind“ kämpft nicht mit offenem Visier. Die anglo-amerikanische Kampfeinheit „Ethik & Ökonomie“ bedient sich politisch der Weltmoral des Völkerbundes und ist der deutschen Traditionsfirma „Freund & Feind“ haushoch überlegen. Seinem Glossarium vertraut Carl Schmitt seinen späten Ärger über die Ironie an: die elende Selbstgefälligkeit, mit der Hegel sich mit der „Ironie“ in der Geschichte identisch gewusst habe. C.S. hingegen sieht sich als Opfer dieser Ironie in doppelter Weise – habe er doch zuzeiten mit „intensivster Ironie“ gearbeitet, dadurch aber „Caliban/Papageno“ in eine Prüfung versetzt, die er nicht bestehen konnte.

       VI. Geschichtsschreibung und Gedächtniskultur

      Der Text über Carl Schmitt endet mit der Bemerkung, man brauche sich über die Zukunft der Ironie keine Sorgen zu machen, denn die Erinnerungskultur in Deutschland bringe mit ihrem Denkmals-Betrieb von eitlen Auslobern, undurchsichtigen Jury-Entscheidungen und geschäftstüchtigen Künstlern langsam aber sicher einen ironischen Tonfall in die düsterste Epoche