gilt ebenso bei den Bargeschäften des täglichen Lebens, bei welchen der Abschluss des Kaufvertrags, die Verfügung über die Ware und die Verfügung über das Geld sofort erfolgen.
Die Trennung zwischen Verpflichtungsgeschäften einerseits und Verfügungsgeschäften andererseits ist für das Privatrecht hierzulande charakteristisch. Bedeutsam ist es aber eigentlich erst im Zusammenhang mit dem nächsten und damit unmittelbar zusammenhängenden weiteren Prinzip: dem Abstraktionsprinzip.
Das Abstraktionsprinzip
Das nächste Prinzip zählt ebenfalls zu den Grundlagen des Privatrechts. Gerade BGB-Einsteigern und juristischen Laien bereitet aber eben dieser Grundsatz immer wieder Schwierigkeiten. Dabei ist dieses Prinzip eigentlich nicht allzu schwer zu verstehen. Was hat es also damit auf sich? Das Verpflichtungsgeschäft besteht nicht nur getrennt vom Verfügungsgeschäft, sondern beide Geschäfte sind zudem in ihrer Wirksamkeit voneinander losgelöst zu sehen – sie bestehen unabhängig voneinander: Sollte das Verpflichtungsgeschäft aus irgendwelchen Gründen unwirksam sein, führt das nicht zwangsläufig zur Unwirksamkeit des Verfügungsgeschäfts. Bezüglich ihrer Wirksamkeit sind beide Geschäfte vielmehr unabhängig voneinander zu beurteilen. Man liest in diesem Zusammenhang gelegentlich, dass das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft ein juristisches Eigenleben führen. Das ist eine ganz treffende Beschreibung.
Es kann durchaus vorkommen, dass in einem Fall das Verpflichtungsgeschäft und das Verfügungsgeschäft denselben Mangel aufweisen. Man spricht dann von der sogenannten Fehleridentität. Das Abstraktionsprinzip wird dadurch aber nicht etwa durchbrochen. Im Gegenteil bleibt es vielmehr auch in diesem Fall bestehen.
Das Trennungs- und das Abstraktionsprinzip sind nicht nur akademischer Natur. Die Prinzipien wirken sich unmittelbar auf das Lösen von Fällen aus: So wäre es absolut verfehlt zu argumentieren, dass jemand durch den Abschluss eines Kaufvertrages Eigentum an einer Sache erworben hat. Oder umgekehrt einen Kaufvertrag anzunehmen, weil jemand einem anderen Eigentum an einer Sache verschafft hat. Das wäre wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Der Kaufvertrag ist das Verpflichtungsgeschäft, für den Eigentumserwerb bedarf es einer gesonderten Verfügung. Also: Ein Nichtbeachten des Grundsatzes führt zu fehlerhaften Falllösungen mit fatalen Folgen!
Das Spezialitätsprinzip
Ein letztes Prinzip haben Sie im Grunde schon kennengelernt. Hier daher nur noch einmal das Nötigste: Das Spezialitätsprinzip durchzieht das BGB und besagt: Das Spezielle gilt vor dem Allgemeinen! Das gilt zugleich für die Rechtsanwendung. Es ist möglichst immer die speziellste Norm für die Lösung eines rechtlichen Problems aufzufinden und anzuwenden; die speziellere Norm verdrängt insoweit die allgemeinere Norm. Das kommt Ihnen angesichts der Fülle an Normen wie eine kaum zu bewältigende Aufgabe vor? Keine Sorge: Schon Generationen von Studierenden, Praktikern und interessierten Laien haben es geschafft, sich im BGB zurechtzufinden.
Der Kauf, praktisch einfach – juristisch kompliziert
Der Unterschied zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sowie das Trennungs- und Abstraktionsprinzip lässt sich am Beispiel eines einfachen Vorgangs illustrieren: der Kauf einer Sache.
Der 14-jährige Felix kauft gegen den Willen seiner Eltern im Elektroladen von Edgar eine Spielekonsole für 400 EUR. Felix bezahlt gleich und erhält dafür im Gegenzug von Edgar die Konsole.
Betrachten Sie erst einmal das Verpflichtungsgeschäft. Was gilt in dieser Hinsicht? Zunächst hat der Fall insofern eine Besonderheit, da ein 14-jähriger die Konsole gekauft hat. Wie Sie noch sehen werden, sind Verträge von Minderjährigen (also Personen, die noch keine 18 Jahre alt sind) regelmäßig unwirksam, wenn die Zustimmung der Eltern fehlt und es sich nicht um ein sogenanntes lediglich rechtlich vorteilhaftes Geschäft handelt. Das ergibt sich aus § 107 BGB. Diese Regelung hat Konsequenzen für den Kaufvertrag, der damit hinfällig ist (denn weder haben die Eltern zugestimmt noch ist der Kaufvertrag für Felix lediglich rechtlich vorteilhaft – im Gegenteil hat er einen rechtlichen Nachteil, da Felix aufgrund der synallagmatischen Verbindung seinerseits verpflichtet ist, den Kaufpreis zu zahlen!).
Gilt das auch für das Verfügungsgeschäft – oder genauer: die Verfügungsgeschäfte (also die Erfüllung des Kaufvertrags durch die Übergabe der Konsole an Felix und die Eigentumsverschaffung daran einerseits und das Begleichen des Kaufpreises durch die Übergabe des Geldes an Edgar)? Hier ist zu unterscheiden: Isoliert betrachtet ist die Verfügung über die Konsole für Felix durchaus vorteilhaft (er bekommt ja etwas, nämlich Eigentum). Die Tatsache, dass der Kaufvertrag unwirksam ist, lässt die Wirksamkeit der Eigentumsverschaffung unberührt (Abstraktionsprinzip!). Die Konsequenz: Felix erwirbt Eigentum an der Konsole, obwohl der Kaufvertrag mit Edgar selbst unwirksam ist (wenn die Eltern nicht zugestimmt haben). Anders verhält es sich dagegen bei der Übereignung des Geldes. Hier gibt Felix etwas aus der Hand. Das ist für ihn rechtlich nicht vorteilhaft. Und da es wiederum an der Zustimmung der Eltern fehlt, ist die Übereignung des Geldes an Edgar unwirksam.
Sie finden das Ergebnis ungerecht? Felix hat wirksam etwas bekommen (Eigentum an der Konsole) und die Zahlung war letztlich unwirksam? Gemach, das BGB kennt dafür eine Lösung. In den Fällen, in denen nämlich Leistungen ausgetauscht wurden, obwohl das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft unwirksam war, können die Leistungen wieder »zurückgeholt« werden. Das geschieht über die bereicherungsrechtliche Vorschrift des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB. Aber dazu später mehr in Kapitel 8.
Im BGB steht zwar das Allgemeine vor dem Speziellen. In der Rechtsanwendung ist es aber genau umgekehrt: Hier sind die speziellen Regelungen vor den allgemeinen zu beachten. Lassen Sie sich nicht verwirren!
Fährtenleser
Die Gesetzestechnik, allgemeine Normen vorzuziehen und speziellere Normen hintanzustellen, ist für das BGB typisch. Sie ist vor allem ökonomisch, da sich Wiederholungen so leicht vermeiden lassen. Doch es gibt Nachteile: Zum einen bringt es ein solcher Aufbau mit sich, dass Gesetzesvorschriften abstrakt formuliert sind; der Inhalt ist daher für Laien auf den ersten Blick manchmal schwer zu erfassen. Zum anderen wird damit die Rechtsanwendung kompliziert, da man sich gegebenenfalls »bücherübergreifend« durch die verschiedenen Bücher des BGB »hindurchhangeln« muss. Rechtsanwendung ist also ein bisschen wie Fährten lesen.
Streitzeit: Recht haben – Recht bekommen
Sie hatten bereits gesehen, dass das im BGB geregelte Privatrecht in gewisser Weise ein Freiheitsrecht ist, indem es grundsätzlich jedem ermöglicht, seine Rechtsbeziehungen innerhalb eines bestimmten Rahmens eigenständig zu gestalten. Das BGB enthält dazu eine Fülle an Regelungen, die das Miteinander vereinfachen sollen. Dennoch klappt das nicht immer. Häufig kommt es zu Streitigkeiten. Übrigens ist man sich gerade in der juristischen Praxis nicht immer einig, wie ein Fall zu behandeln ist. Was also, wenn es hart auf hart kommt?
Dann stellt sich die Frage, wie man seine Rechte (oder merken Sie sich an dieser Stelle bereits den treffenderen Begriff Ansprüche) durchsetzen kann. Solche Ansprüche können beispielsweise auf Vertragserfüllung, Schadensersatz, Herausgabe von Sachen oder ähnliche Leistungen gerichtet sein. Ob ein Anspruch überhaupt besteht, das ist eine Frage, die sich nach dem sogenannten materiellen Recht bestimmt, das sich für das Privatrecht aus dem BGB ergibt. Auf einem anderen Blatt steht dagegen die Frage: Wie kann ein solcher Anspruch gegebenenfalls durchgesetzt werden? Das ergibt sich jedoch nicht aus dem BGB. Einschlägig ist insoweit vielmehr das prozessuale Recht nach der Zivilprozessordnung (ZPO).