Das juristische Arbeiten ist im Grunde sehr praxisorientiert, geht es doch stets darum, Fälle zu lösen und Rechtsfragen zu beantworten. Wie funktioniert das? Man könnte ganz einfach antworten: indem man die Regelungen des BGB anwendet. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn damit das überhaupt gelingt, bedarf es zweierlei: Kennen und Können.
Zum einem muss man sich im BGB auskennen (die notwendigen Inhalte bekommen Sie im zweiten, dritten und vierten Teil dieses Buches vermittelt).
Zum anderen muss man das Gelernte umsetzen können (Übungsmöglichkeiten finden Sie insoweit im fünften Teil dieses Buches).
Beide Aspekte sind dabei untrennbar miteinander verbunden: Je besser Sie sich auskennen, desto einfacher kann man Fälle lösen und Rechtsfragen beantworten. Erfolgreich ist die Arbeit mit dem BGB aber letztlich nur, wenn Sie zugleich die juristische Arbeitsweise und Methode etwas beherrschen. Daher finden Sie in diesem Kapitel etwas dazu, wie Gesetze funktionieren, welche Bedeutung die Anspruchsmethode hat und welche Arten von Normen es gibt. Das Wissen gehört mit zur Grundausstattung, um sich im Paragrafendschungel zu behaupten. Und weil die Ausführungen für alles Weitere wirklich wichtig sind, finden Sie sie hier vorab gebündelt dargestellt – also gewissermaßen ebenfalls »vor die Klammer« gezogen. Lernen Sie also zunächst etwas genauer das juristische Handwerkszeug kennen.
Gesetze – oder: Das juristische Handwerkszeug
Angenommen, Sie möchten Klavier spielen lernen wie Lang Lang oder Kicken wie Ronaldo. Was würden Sie tun? Vermutlich würden Sie sich vor ein Klavier setzen und üben oder mit einem Fußball trainieren. Nicht anders verhält es sich mit dem BGB. Wer auf der Klaviatur des Gesetzes spielen möchte (Sie erlauben diese etwas pathetische Formulierung) oder einen »Elfmeter« verwandeln will – sprich: einen Fall zutreffend lösen möchte –, sollte sich beizeiten mit dem juristischen Handwerkszeug vertraut machen. Ihr Klavier bzw. Ihr Ball ist hier das Gesetz. Und zwar nicht nur das jeweilige Gesetzbuch (also beispielsweise das BGB), sondern jeweils die einschlägigen Rechtsnormen.
Zugegeben: Ein Gesetz ist weder ein spannender Unterhaltungsroman noch ein abenteuerlicher Reisebericht oder ein sonstiger erbaulicher Text. Die Gesetzessprache ist etwas spröde, sodass sich der Sinn einer Regelung nicht immer sogleich erschließt. Für viele, die sich erstmals mit dem BGB befassen, ist die Arbeit mit den zahlreichen und ganz unterschiedlichen Rechtsnormen daher nicht einfach. Manche glauben auch, man müsse schon ziemlich »helle« sein, um Jura zu kapieren – entweder man hat »es« oder man hat es eben nicht. Erfahrungsgemäß ist die Arbeit mit dem BGB aber weder sonderlich schwer noch bedarf es besonderer Fähigkeiten. Eher ist es eine Frage der Einstellung und der Ausdauer. Nehmen Sie sich insofern vor, zum Entdecker zu werden.
Werden Sie zum Entdecker!
Warum halten manche Jura (und gerade das BGB) für trocken und langweilig? Und warum wenden andere dagegen ein, trocken sei das Klima in Afrika, guter Wein oder Humor – aber doch nicht Jura. Was unterscheidet beide voneinander? Ganz einfach: die Einstellung. Wer bereit ist, sich auf das BGB einzulassen, der bekommt es in den Griff – garantiert. Wer dagegen gleich die Flinte ins Korn wirft und sich gar nicht erst die Mühe macht, einmal einen Blick in das Gesetz zu wagen, wird sich dagegen schwerer tun. Daher gleich an dieser Stelle die wichtigste Regel vorab, wenn Sie sich das BGB »erobern« wollen: Ohne Gesetz geht nichts! Wenn Sie dieses Buch durcharbeiten, sollten Sie daher stets ein BGB parat haben und die hier genannten Vorschriften alle (!) am besten gleich nachlesen.
Will man das BGB entdecken, muss man die Normen erfahrungsgemäß sogar nicht nur einmal, sondern immer wieder einmal lesen. Der Sinn einzelner Vorschriften erschließt sich häufig nicht sofort beim ersten Überfliegen. Wenn Sie eine Vorschrift aber mehrmals aufmerksam gelesen haben, wird sich mit der Zeit das eine oder andere Aha-Erlebnis einstellen. Das BGB ist eine durchaus anspruchsvolle Lektüre. Nicht ohne Grund lautet ein weiteres »geflügeltes Wort« in der juristischen Ausbildung: »Ein Blick in das Gesetz erleichtert die Rechtsfindung.« Dazu sind neben der schon genannten Ausdauer ein bisschen Hartnäckigkeit sowie die Bereitschaft hilfreich, nicht nur in diesem Buch zu schmökern, sondern tatsächlich den Umgang mit dem Gesetz zu lernen. Das lässt sich meistern und führt zwangsläufig zum Erfolg.
Das A und O dabei ist zunächst zu wissen, wie eine gesetzliche Regelung (auch Vorschrift, Norm oder einfach Gesetz genannt) aufgebaut ist. Das ist zum Glück wiederum ganz einfach.
Das Gesetz verstehen: Tatbestand und Rechtsfolge
Gesetze sollen für eine Vielzahl unterschiedlicher Fälle gelten. Daher sind sie abstrakt formuliert. Trotzdem ist es nicht allzu schwer, sich selbst ein unbekanntes Gesetz zu erschließen. Dazu muss man zunächst wissen, dass Vorschriften regelmäßig nach einem bestimmten Schema aufgebaut sind. Sie bestehen in aller Regel aus zwei Teilen: dem Tatbestand und der Rechtsfolge. Der Tatbestand enthält die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit als Konsequenz dessen eine bestimmte Rechtsfolge eintritt.
Ohne dass es im BGB selbst so steht, können Sie sich das ganz einfach als eine »Wenn …dann«-Verbindung vorstellen: Wenn diese(s) und jene(s) Merkmal(e) erfüllt ist (sind), dann soll als Konsequenz diese oder jede Rechtsfolge eintreten.
Der Tatbestand
Der Tatbestand selbst besteht aus mindestens einem, oft aber aus mehreren sogenannten Tatbestandsmerkmalen. Die jeweilige Rechtsfolge tritt regelmäßig nur ein, wenn sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind (Ausnahme: Das Gesetz sieht manchmal selbst mehrere Alternativen oder Varianten vor – sie sind leicht erkennbar an dem Wörtchen »oder«; dann braucht nur das eine oder eben das andere Tatbestandsmerkmal erfüllt zu sein). Man muss also schon genau lesen …
So setzt nach § 823 Abs. 1 BGB die dort geregelte Schadensersatzpflicht (Rechtsfolge!) als Tatbestand voraus, dass jemand vorsätzlich oder (!) fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder (!) ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt hat.
Die wichtigste Aufgabe für Rechtsanwender ist es, zunächst die Tatbestandsmerkmale zu erkennen.
Bei den Tatbestandsmerkmalen lässt sich noch differenzieren zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen. Erstere sind explizit in der jeweiligen Norm aufgeführt. Letztere sind in ein paar (wenigen) Fällen nach Meinung der Rechtsprechung oder der rechtswissenschaftlichen Forschung ergänzend zu beachten. Sofern es einmal darauf ankommt, finden Sie gegebenenfalls an den entsprechenden Stellen in diesem Buch einen ausdrücklichen Hinweis dazu.
Die Rechtsfolge
Wie bereits erwähnt, ist mit einem Tatbestand regelmäßig eine bestimmte Rechtsfolge verknüpft. Als Bestandteil einer Gesetzesnorm drückt die Rechtsfolge aus, was gelten soll, wenn der Tatbestand einer Vorschrift erfüllt ist.
Zusammenfassende Beispiele
Im Einzelfall kann die Analyse eines Gesetzes schon etwas verzwickt sein. Sie lässt sich aber mit etwas Übung gut in den Griff bekommen. Versuchen Sie ruhig, parallel im Gesetz anhand der nachfolgenden Beispiele den Unterschied zwischen Tatbestand und Rechtsfolge nachzuvollziehen.
Norm | Tatbestand | Rechtsfolge |
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§ 280 Abs. 1 BGB | Wenn ein Schuldner eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis verletzt und das zu vertreten hat sowie hierdurch ein Schaden entsteht … |
… dann kann der Gläubiger Ersatz des Schadens verlangen.
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