André Niedostadek

BGB für Dummies


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Umgekehrt muss der Anspruchsgegner, der sich auf eine Einwendung beruft, vortragen, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen, und dies eventuell beweisen. Ihn trifft insofern gegebenenfalls auch eine Beweislast. Indem das BGB also zwischen Ansprüchen und Einwendungen differenziert, bestimmt es zugleich, wer möglicherweise das Risiko trägt, wenn sich vor Gericht nicht mehr aufklären lässt, was sich tatsächlich zugetragen hat.

      Wenn Sie das Gesetz verstehen wollen, lohnt es sich manchmal, genauer zwischen den Zeilen zu lesen und auf ungewöhnliche Formulierungen zu achten: Sehen Sie sich dazu beispielsweise § 280 Abs. 1 BGB an (eine wichtige Schadensersatznorm, die Ihnen noch mehrfach über den Weg laufen wird). Dort heißt es: »Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat«. Achten Sie auf den zweiten Satz mit der doppelten Verneinung, der nicht ohne Grund so ungewöhnlich formuliert ist: Der Gesetzgeber hat das Vertretenmüssen nicht als Anspruchsvoraussetzung gesehen (die gegebenenfalls vom Gläubiger, also dem Geschädigten, zu beweisen gewesen wäre). Denn dann hätte er eher formuliert »…wenn der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat«. Er hat eben diese doppelte Verneinung gewählt. Daraus ergibt sich, dass es sich bei dem sogenannten Vertretenmüssen statt um eine Voraussetzung um eine rechtshindernde Einwendung handelt. Konsequenz: Hier hat gegebenenfalls der Schuldner (Schädiger) zu beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Sie können in diesem Zusammenhang in anderen Büchern gelegentlich lesen, dass das Vertretenmüssen widerleglich vermutet wird. Apropos: Bei einem anderen Schadensersatz ist der Gesetzgeber dagegen ganz anders vorgegangen: Sehen Sie sich nur § 823 Abs. 1 BGB an. Dort ist die Frage des Vertretenmüssens (was mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit gleichzusetzen ist, siehe § 276 BGB) eine vom Anspruchssteller (das heißt dem Geschädigten) zu beweisende Anspruchsvoraussetzung.

      Hilfsnormen sind dabei keinesfalls bloßes Beiwerk, sie sind ganz im Gegenteil von überragender Bedeutung – insbesondere um festzustellen, ob die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen einer (Anspruchs-)Norm überhaupt gegeben sind. Dazu zwei Beispiele, einmal aus dem Schuldrecht und einmal aus dem Sachenrecht.

      

Sie hatten schon gesehen, dass § 433 Abs. 1 BGB eine Anspruchsgrundlage bietet, wenn jemand das Eigentum an einer gekauften Sache bekommen möchte. Das einschlägige Tatbestandsmerkmal, dass dazu erfüllt sein muss, ist – genau – das Merkmal »Kaufvertrag«. Ob aber ein Vertrag vorliegt, ergibt sich nicht aus der Anspruchsgrundlage. Das ist vielmehr mittels weiterer Normen zu klären. Insoweit helfen die Regelungen zu den Rechtsgeschäften, insbesondere über den Vertrag (siehe §§ 145 ff. BGB zum Antrag und zur Annahme; Näheres dazu in Kapitel 4).

      

Sie hatten ebenfalls gesehen, dass ein Eigentümer vom Besitzer die Herausgabe einer Sache verlangen kann. Anspruchsgrundlage dafür ist § 985 BGB. Voraussetzung für den Anspruch ist, dass es sich beim Anspruchssteller tatsächlich um den »Eigentümer« und beim Anspruchsgegner um den »Besitzer« handelt. Um das jeweils festzustellen (der ursprüngliche Eigentümer könnte sein Eigentum ja zwischenzeitlich möglicherweise verloren haben), sind ergänzend weitere Regelungen heranzuziehen – hier die Hilfsnormen über den Erwerb und Verlust von Eigentum an beweglichen Sachen (ab § 929 BGB). Sie füllen gewissermaßen das Merkmal »Eigentum« aus. Selbstverständlich gibt es für das zweite Tatbestandsmerkmal, den »Besitz«, ebenfalls Hilfsnormen. Sehen Sie sich dazu § 854 BGB an (Näheres zu alledem in Kapitel 9).

      Ein besonderer Typ von Hilfsnormen sind die sogenannten Legaldefinitionen. Sie sind leicht daran erkennbar, dass die definierten Begriffe in Klammern gesetzt sind, wie etwa der in § 194 Abs. 1 genannte Begriff Anspruch.

      P3 – oder: Das Ping-Pong-Prinzip

      Viele Regelungen im BGB, ja sogar der überwiegende Teil, sind Hilfsnormen. Ausgehend von einer Anspruchsgrundlage sind also unter Umständen ganze Paragrafenketten zu prüfen, um letztlich überhaupt entscheiden zu können, ob ein Tatbestandsmerkmal erfüllt ist oder nicht. Das gilt ebenso für die Gegennormen (die allerdings nur dann zu prüfen sind, wenn der Sachverhalt Anlass dazu bietet). Sie haben es insofern leicht, als dass in einer Fallprüfung keinesfalls alle denkbaren Hilfsnormen zu prüfen sind. In dem Paragrafendschungel ist es also wichtig, die richtigen »Lianen« zu greifen, um hier wieder einmal im Bild zu bleiben. Dazu gilt es, mit der Zeit den Blick für das Wesentliche zu schärfen und zu lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

      Wesentlich ist all das, was nach dem Sachverhalt eines konkreten Falles problematisch ist. Alles andere hat hinten anzustehen. Damit ist auf solche Punkte nicht einzugehen, die unproblematisch sind – mag es dafür auch Hilfsnormen geben. In der Fallbearbeitung spricht man vielfach auch davon, dass die Rechtsanwendung ausgehend vom Sachverhalt durch den »hin und her wandernden Blick« bestimmt wird. Insofern ist es also ein bisschen wie beim Pingpong.

      

Geht es etwa um einen Vertrag, den zwei Erwachsene miteinander schließen, wäre es geradezu verfehlt, die Geschäftsfähigkeit (ab § 104 BGB) der Beteiligten zu problematisieren, wenn gar kein Zweifel daran besteht, dass sie gegeben ist. Anders mag das hingegen aussehen, wenn einer der Beteiligten minderjährig ist und somit möglicherweise gar nicht oder nur beschränkt geschäftsfähig ist (Näheres zu diesem Themenkomplex übrigens in Kapitel 5).

      Sie haben bereits erfahren, dass die im BGB verwendete (Fach-)Sprache wichtig ist. Sie ist zugleich – wie die juristische Terminologie allgemein – nicht immer leicht verständlich. Auch das BGB verwendet Begriffe, die gerade für Laien oft schwer zugänglich sind. Grund dafür ist, dass das BGB nicht konkret, sondern abstrakt formuliert ist. Hinzu kommt: Manche Begriffe sind im allgemeinen Sprachgebrauch unbekannt (oder fällt Ihnen spontan etwas zum »Eigentumsvorbehalt« ein?).

      Was mit einem bestimmten Begriff gemeint ist, erschließt sich also nicht immer gleich auf Anhieb. Wenn in § 433 Abs. 1 BGB von Kaufvertrag die Rede ist, haben Sie vielleicht noch eine Vorstellung. Aber wüssten Sie sofort, was unter einem unbestimmten Begriff wie »gute Sitten« im Sinne des § 138 BGB zu verstehen ist? Manchmal muss man ein Gesetz interpretieren, um den Bedeutungsgehalt zu erschließen. Man spricht in diesem Zusammenhang davon, dass ein Gesetz auszulegen ist.

      

Die Auslegungsmethoden gehören zum Kernbestand juristischer Tätigkeit und können – ausnahmsweise – auch in Fallbearbeitungen eine Rolle spielen. Man sollte sie daher kennen.

      Die wichtigsten Auslegungsmethoden sind:

       die wörtliche Auslegung. Sie knüpft am möglichen Wortsinn eines Gesetzesbegriffes an.

       die systematische Auslegung. Sie knüpft an die systematische Stellung einer auszulegenden Vorschrift innerhalb des Regelungsrahmens an. Dadurch lässt sich beispielsweise ermitteln, ob es sich um eine Regel oder eine Ausnahme handelt.

       die historische Auslegung. Sie knüpft an die Entstehungsgeschichte einer gesetzlichen Regelung an. So lässt sich beispielsweise anhand von Gesetzesbegründungen herausfinden, wie der ursprüngliche Gesetzgeber eine Bestimmung verstanden hat.

       die teleologische Auslegung. Sie knüpft am Sinn und Zweck einer gesetzlichen Regelung an.

      Im BGB steht zwar vieles. Dennoch lässt sich damit nicht jede Detailfrage spontan beantworten.