Michael Reh

Asta


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das ist mein Mitarbeiter Heiko Degen.«

      Clara verzog keine Miene. Polizei. Sie blieb wie angewurzelt stehen, ihre Nackenhaare stellten sich auf. Am liebsten hätte sie ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen. »Können Sie sich ausweisen?«

      Babette behielt die Fassung, wäre aber am liebsten ins Haus geplatzt, so wütend war sie. Sie zog den Ausweis aus ihrer Manteltasche und hielt ihn der Frau vors Gesicht.

      Clara inspizierte ihn langsam. Dann schaute sie Heiko an.

      »Entschuldigen Sie bitte.« Er zeigte der Frau seinen Dienstausweis.

      Sie verzog keine Miene. »Und der da?«

      »Das ist Thomas Morten, ihr Nachbar.« Babette blieb ruhig, denn sonst würde sie nie aus diesem gottverdammten Regen ins Haus kommen.

      Tom sah die ältere Frau mit einem um Verzeihung bittenden Lächeln an. »Ich habe leider keinen Ausweis dabei. Ich war gerade mit Schoko auf dem Deich spazieren. Ich hoffe, Sie entschuldigen.«

      Sie schaute den Hund an. Schoko wich ihrem Blick nicht aus. Er legte den Kopf etwas zur Seite und wartete geduldig. Zumindest der Hund hatte Manieren, dachte Clara, drehte sich um und ging in die Halle.

      »Na, dann kommen Sie rein und ziehen Sie Ihre Schuhe aus. Ich habe gestern die Halle gewischt.«

      Tom schaute Schoko an: »Tja, Dicker, du hast Glück, dass du barfuß bist.«

      Sie betraten die Halle. Der Raum war riesig und hatte eine Deckenhöhe von mindestens vier Meter fünfzig. Auf der linken Seite stand ein großes altes Sofa, daneben ein Sessel, ein schmaler Couchtisch, an den Wänden Bilder und Fotografien. Über dem Sofa ein riesiges Gemälde aus dem letzten Jahrhundert, Tom blieb fasziniert davor stehen. Der Maler hatte die einzigartige Schönheit des alten Gebäudes erkannt. Der Himmel darüber war dunkel, ein runder, gelber Vollmond füllte die rechte Ecke des Bildes aus. Alles in klaren, starken und kurzen Pinselstrichen erfasst, eine Arbeitsweise, die ihn an van Gogh erinnerte.

      Das diffuse Licht an diesem regnerischen Nachmittag verstärkte die Faszination des Raums. Gegenüber der Couch war ein großer Kamin, wie so oft in den Hallen der alten Höfe dieser Gegend. Auf der rechten Seite sah Tom drei kleine Türen. Zwei waren geschlossen, aus dem mittleren Raum drangen Stimmen. Schoko lief darauf zu, aber Clara stellte sich ihm in den Weg und schaute ihn nur an. Der Hund setzte sich und wich ihrem Blick nicht aus. Sie streichelte kurz seinen Kopf. Am Ende der Halle stand ein großer alter Eichentisch mit acht unterschiedlichen Stühlen, darüber eine alte Lampe, die ein milchiges Licht verströmte.

      Clara wies auf die Stühle. »Nehmen Sie Platz!«

      In diesem Moment kamen Bünting und Onken aus der Küche in die Halle. Bünting sprang auf den Tisch und blieb sitzen. Onken ging geradewegs auf Schoko zu. Tom rutschte das Herz in die Hose, denn er hatte keine Ahnung, wie der Hund reagieren würde. Der Kater schnüffelte an Schokos Pfote und rieb sich dann an ihm, schnurrte behaglich. Schoko verzog keine Miene. Clara strich ihm erneut über den Kopf. Dann sah sie Tom an.

      »So, Sie sind also der neue Mieter des Gesindehauses. Habe Sie noch gar nicht gesehen.«

      »Frau Jolcke, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, wir sind nicht zum Kaffeeplausch gekommen.« Babette schüttelte ärgerlich den Kopf, und das Wasser aus ihren Haaren tropfte auf den Hallenboden.

      Der Anflug von Freundlichkeit verschwand augenblicklich aus Claras faltigem Gesicht. Ihre kurzen weißen Haare, die sie sich offensichtlich selbst schnitt, standen am Hinterkopf ab. Die ausgebeulte alte Jogginghose hing locker auf den schmalen Hüften, darüber ein alter grauer Wollpullover. Sie nahm einen Schluck aus der Kaffee­tasse und lehnte sich an eine alte Stiege. Tom bemerkte erst jetzt, dass zwischen dem Kamin und dem Fernsehzimmer eine schmale, sehr steile dunkle Leiter nach oben in einen weiteren Raum führte. Erkennen konnte er nichts, die Tür war halb geschlossen.

      »Frau Jolcke, haben Sie in den letzten Tagen irgendetwas Außergewöhnliches auf Ihrem Anwesen bemerkt? Personen, Fahrzeuge, ungewohnten Lärm?« Babettes Ton war unfreundlich.

      Clara legte die Stirn in Falten. »Bis auf den Lärm, den Bauer Jensen hier täglich veranstaltet, habe ich nichts gehört. Vielleicht sollten Sie den mal fragen, der bekommt mehr mit als ich. Ich verlasse bei diesem Wetter selten das Haus. Was soll die Frage? Warum sind Sie hier?« Sie verschränkte die Arme und bleckte die Zähne.

      Tom kam es fast vor, als fletschte sie ihr Gebiss. Was für eine interessante Frau, dachte er. Wie aus einem Film von Hitchcock! Mit der wollte er lieber in guter Nachbarschaft leben.

      Heiko lenkte ein. »Frau Jolcke. Herr Morten hat heute Mittag in einem Baum, der zu Ihrem Grundstück gehört, den Leichnam einer Frau gefunden. Deswegen sind wir hier.«

      Clara ging langsam zum Tisch, Schoko folgte ihr. Sie setzte sich, trank einen Schluck Kaffee und fragte ruhig: »Eine Leiche in einem Baum? Ist sie dort hochgeklettert?«

      Babette platzte der Kragen. »Das ist weiß Gott nicht der Zeitpunkt, um Witze zu machen. Es handelt sich um einen alten abgesägten Baum. Die Leiche liegt auf dem Boden des ausgehöhlten Baumstumpfs. Was können Sie dazu sagen?«

      Clara hob die Schultern und schaute dann Schoko an. »Rein gar nichts, vielleicht fragen Sie mal bei Bauer Jensen nach, denn soviel ich weiß, gehört der Baum zu seinem Grundstück. Leider! Deswegen hat er ihn auch vor zwei Jahren abgesägt, damit angeblich mehr Licht auf sein Feld kommt. Ich hätte ihn nie abgeholzt, er war weit über hundert Jahre alt, wenn nicht mehr als zweihundert, und wunderschön. Vielleicht ist es seine Leiche.«

      »Sie haben Nerven! Sie werden sich wohl denken, warum wir zu Ihnen kommen. Sie sind ja keine Unbekannte bei der Polizei, was Mord betrifft«, zischte Babette.

      Tom horchte auf: Keine Unbekannte, was Mord betrifft? Was hatte diese Frau auf dem Kerbholz?

      Clara schwieg weiter.

      Ein Klopfen unterbrach die Stille. Ein Polizist in Uniform stand vor der Tür. Ohne zu warten, trat er ein und kam mit seinen schlammbeschmutzten Stiefeln durch die Halle direkt zur Gruppe am Tisch. Er sah Clara feindselig an. Dann wandte er sich an Babette: »Wir haben die Leiche geborgen und einen Personalausweis in ihrer Handtasche gefunden. Es handelt sich um eine Frau aus Hemmoor, ihr Name ist Petra Harlor.«

      Heiko hatte schlecht geschlafen. Nachdem in der letzten Woche die beiden Leichen gefunden worden waren, hatte es einfach nicht aufgehört zu regnen. Er hatte das Wochen­ende durchgearbeitet, und als er an diesem Montag verschlafen die Vorhänge zurückzog, bot sich das gleiche Bild wie seit Wochen. Ein grauer Himmel, die Straßen nass und das Thermometer zeigte knapp sieben Grad. Am liebsten wäre er gleich wieder ins Bett gegangen, aber um 8 Uhr hatte er eine Besprechung in der Inspektion. Heiko streckte sich, gähnte laut und versuchte, die aufkommende Lethargie zu vertreiben. Müde ging er in die Küche und machte sich einen doppelten Espresso.

      Seit vier Jahren wohnte er im Stader Hafengebiet. Er liebte die alte Hansestadt, sein Zuhause, seinen Job. Alles war bedächtig, das Leben verlief in ruhigen Bahnen. Man kannte sich. Am liebsten war ihm die Natur, die die Stadt weitläufig umgab. Er hatte sich günstig ein altes Segelboot gekauft, liebevoll restauriert und schipperte im Sommer viel damit herum, ging regelmäßig zum Sport, sofern sein Job es ihm erlaubte, kannte fast jeden. Einsam war er nicht, aber oft allein, und den Traum, in Stade einen passenden Mann zu finden, hatte er schon länger aufgegeben. Ab und zu fuhr er nach Hamburg, hatte Abenteuer, nichts Festes. Er hatte sich daran gewöhnt. Er suchte nicht weiter.

      Heiko trank den starken Espresso und ging an das große Fenster im obersten Stockwerk des runden Gebäudes. Seine Wohnung mit Blick auf die Innenstadt lag direkt im alten Hafen an der Schwinge. Er schaute auf das Museumsschiff, das unter ihm im grauen Wasser hin und her schwankte. Es war noch nicht ganz hell, kurz nach sieben. Jetzt zog auch noch Nebel auf wie in einem schlechten Edgar-Wallace-Film der Sechzigerjahre. Seit Mittwoch hatte er selbst den Eindruck, in einen Film geraten zu sein, allerdings in einen falschen. Es gab kaum Mordfälle in dieser Gegend und nun hatten sie zwei Leichen auf dem Seziertisch und waren in den letzten Tagen nicht