Marianne Franz

Die katholische Kirche im Pressediskurs


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zu erschließen (vgl. z.B. Staab 1990, Donsbach 1991, Maier u.a. 2009, Fretwurst 2008, zitiert nach Maier/Marschall 2010: 98–102), um Redundanz der inzwischen 22 Nachrichtenfaktoren und damit „Mehrfachmessung der journalistischen Auswahlkriterien“ zu vermeiden. Denn allem Anschein nach „berücksichtigen Journalisten bei der Auswahl wichtiger Ereignisse für die Berichterstattung vermutlich nicht so viele Ereignismerkmale, wie die aktuelle Forschung zur Nachrichtenwerttheorie suggeriert“ (Maier/Stengel 2010: 101). Die von den verschiedenen Forschern aufgezeigten Dimensionen sind nachstehend gegenübergestellt (Tab. 6).

      Tab. 6:

       Übergeordnete Faktorendimensionen der journalistischen Auswahl (Quelle: Maier/Stengel 2010: 103)

      Maier und Stengel haben die vergleichbaren Faktorendimensionen zeilenweise nebeneinander angeordnet. Auch wenn sich die Termini zum Teil unterscheiden, sind die dahinterstehenden Merkmale großteils sinnverwandt (z.B. Status, Personalisierung, Prominenz, Personen). Hervorheben möchte ich den Faktor „Visualität“, der in der Tabelle bei Maier u.a. (2003–2009) vorkommt und ursprünglich von Ruhrmann u.a. eingeführt wurde, die sich mit dem Nachrichtenwert im deutschen Fernsehen auseinandergesetzt haben (vgl. Ruhrmann 2003, zitiert nach Maier/Stengel 2010: 108).

      „Ausgehend von den Ergebnissen einer Journalistenbefragung zeigen sie zunächst, dass die Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigem Film- und Bildmaterial einen der wichtigsten Einflussfaktoren für die Entscheidung über die Publikation eines Ereignisses als Nachrichtenmeldung darstellt (vgl. Diehlmann, 2003).“ (Maier/Stengel 2010: 108)

      Dass Bilder in den letzten Jahrzehnten nicht nur im Fernsehen, sondern auch in der Presse immer wichtiger wurden und werden, wird auch in Abschnitt 3.2 erläutert. Rössler, Marquart, Kersten, Bomhoff (2009) sprechen diesbezüglich von Fotonachrichtenfaktoren und übertragen die Text-Nachrichtenfaktoren auf Bilder. Faktoren, die die Bildauswahl sowie den Grad der Aufmerksamkeit der RezipientInnen beeinflussen, sind Schaden, Gewalt und Aggression, Prominenz sowie Sex und Erotik (vgl. Rössler u.a. 2009, zitiert nach Maier/Stengel 2010: 110). Inwieweit das Vorhandensein von Bildern einen Nachrichtenfaktor in der Presse darstellt, ist noch nicht belegt.

      Interessant ist, dass bisherigen Studien zufolge die Nachrichtenfaktoren medienübergreifend ähnlich sind. In Frage steht jedoch, ob die Ausprägung der Nachrichtenfaktoren, d.h. die den Faktoren zugesprochenen Werte, je nach MediumMedium und Redaktion unterschiedlich sein kann (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010c: 132f.). Ein weiteres Forschungsdesiderat besteht darin, ob die Nachrichtenwerttheorie auf verschiedene Kulturen gleichermaßen zutrifft, oder inwiefern die Nachrichtenfaktoren themenabhängig sind (vgl. Maier/Stengel 2010: 112f.). Die vorliegende Arbeit kann hier einen Beitrag leisten, da sie die Berichterstattung verschiedener Länder und verschiedener Redaktionen bezüglich eines spezifischen Themas vergleicht.

      Kepplinger und Ehmig gehen in ihrer Zwei-Komponenten-Theorie davon aus,

      „dass sowohl die Merkmale der Ereignisse (Nachrichtenfaktoren) als auch der Nachrichtenwert, den jeder einzelne Nachrichtenfaktor für ein spezifisches MediumMedium hat, die Nachrichtenauswahl bestimmen. Sie argumentieren, dass davon auszugehen sei, dass bestimmte Nachrichtenfaktoren z.B. für BoulevardzeitungenBoulevardzeitung wichtiger seien als für QualitätszeitungenQualitätszeitung. Daher versuchen sie den relativen Einfluss jedes einzelnen Nachrichtenfaktors zu errechnen und testen dann anhand einer zweiten StichprobeStichprobe (s. a. Künstliche Woche) die Qualität dieses Prognosemodells. Ihrer Meinung nach ist diese Prognosemöglichkeit eine der herausragenden Eigenschaften der Nachrichtenwerttheorie […]. Allerdings variieren diese Maßzahlen eben von Medium zu Medium und von Redaktion zu Redaktion, und auch die Forschung hierzu steht noch am Anfang […].“ (vgl. Kepplinger 2008 und Kepplinger/Ehmig 2006, zitiert nach Maier 2010a: 19)

      Vorab kann festgestellt werden, dass die Nachrichtenwerttheorie die Hypothesen, von der die vorliegende Arbeit ausgeht (siehe Abschnitt 1.2), zu bestätigen scheint, wenn es um die tendenziell negative Darstellung der Kirche geht. Denn bisherige Studien zeigen:

      „Das Weltbild in unseren Medien ist durch negative Ereignisse geprägt, die in relativer Nähe zu uns stattfinden, in denen vorrangig prominente Personen und aggressives Verhalten vorkommen, und die sich gut in (bewegten) Bildern darstellen lassen. Negativität, Personalisierung, Visualisierung, Boulevardisierung: all das sind oft beklagte mediale Trends unserer Zeit […].“ (vgl. Maier/Stengel/Marschall 2010c: 133)

      Vorherrschende Methode, um festzustellen, welche Ereignisse welche Nachrichtenfaktoren aufweisen, ist die InhaltsanalyseInhaltsanalyse bereits publizierter Medienbeiträge. Dazu werden Nachrichtenfaktoren meist auf Artikel- oder Beitragsebene codiert (vgl. Maier 2010b: 53), indem durch „eine subjektive Interpretationsleistung“ „die Merkmale des berichteten Ereignisses“ analysiert „und auf der zur Verfügung stehenden Skala“ eingeordnet werden (Maier 2010b: 55). Die Distribution der Nachrichtenfaktoren gibt Aufschluss über ihre Relevanz bei der NachrichtenselektionNachrichtenselektion. Daneben wird, wie bereits erwähnt, auch der Nachrichtenwert festgestellt, indem man den Beachtungsgrad des Ereignisses in der Berichterstattung anhand seiner Platzierung und seiner Berichtlänge misst (vgl. Maier 2010a: 21). Damit die Zuweisung der Nachrichtenfaktoren nicht beliebig geschieht, muss ein Codebuch erstellt und Inter- bzw. Intracoder-Reliabilität sichergestellt werden.

      In der vorliegenden Arbeit ist eine Intercoder-Reliabilität, bei der verschiedene Codierer dasselbe Material auf dieselbe Weise codieren, nicht möglich. Umso wichtiger ist die Einforderung der Intracoder-Reliabilität, bei der derselbe Codierer zur Überprüfung dasselbe Material mithilfe desselben Codebuchs mit zeitlichem Abstand ein weiteres Mal auf dieselbe Weise codiert (vgl. Maier 2010b: 58). Geachtet werden muss darüber hinaus auf Inhaltsvalidität (vollständiges KategorieKategoriensystem, das misst, was die Forschungsfrage beinhaltet) sowie Kriteriumsvalidität (externe Stützung der Studie durch andere Studien, frühere Befunde) und Inferenzvalidität (Prüfung der Plausibilität der vorgenommenen Inferenzschlüsse mit Ergebnissen anderer Studien oder Daten) (vgl. Rössler 2005, zitiert nach Maier 2010b: 60). Empfohlen wird eine Triangulation auf mehreren Ebenen (z.B. Daten-, Methoden-, Theorien- oder Forschertriangulation; vgl. Maier 2010b: 69), die in der vorliegenden Arbeit z.B. durch die JournalistInnen-Befragung versucht worden ist.

      In der hier vorgenommen Untersuchung werden die Nachrichtenfaktoren im Rahmen der ThemenfrequenzanalyseThemenfrequenzanalyse relevant. Ziel ist es herauszufinden, inwieweit die Nachrichtenwerttheorie auf die Berichterstattung über die katholische Kirche zutrifft, welche Nachrichtenfaktoren vornehmlich Eingang finden, und welche Ereignisse von den JournalistInnen bevorzugt werden. Dazu werden die Themen der Artikel mit den Nachrichtenfaktoren abgeglichen, wofür ich auf die 22 Nachrichtenfaktoren nach Ruhrmann u.a. zurückgreife (vgl. 2003, zitiert nach Maier/Marschall 2010: 80–84). Ich behalte mir jedoch vor, die Liste, wenn nötig, abzuändern. Die 22 Faktoren sind:

Status der EreignisnationOrtsstatusBeteiligung der jeweiligen Nation (Österreich/Frankreich; bei Ruhrmann u.a.: deutsche Beteiligung)Räumliche NähePolitische NäheKulturelle NäheWirtschaftliche NäheEtablierung des ThemasEinfluss (z.B. von Personen oder Gruppen)ProminenzPersonalisierungFaktizitätReichweiteÜberraschungNutzen/ErfolgSchaden/MisserfolgKontroverseKontroverseAggressionDemonstrationDarstellung von EmotionenDarstellung von Sex/ErotikVisualität

      Was mit den einzelnen Faktoren gemeint ist, wird im Codebuch näher erläutert (siehe Abschnitt 16.1).Gatekeeping

      2.3.2 Verwandte Ansätze: Gatekeeping, News-Bias, Agenda-SettingAgenda-Setting, FramingNews-BiasNachrichtenselektion

      Sowohl hinter der Nachrichtenwerttheorie als auch hinter den in diesem Abschnitt vorgestellten Ansätzen steht das Ansinnen, zu untersuchen, aufgrund welcher Kriterien Nachrichten ausgewählt werden, „ob bzw. inwieweit die Berichterstattung als Produkt der journalistischen Selektionstätigkeit der Realität adäquat ist (bzw. es überhaupt sein kann) und welche unbeabsichtigten oder beabsichtigten Verzerrungen auftreten“ (Kunczik/Zipfel 2005: 241). Weiters steht im Zentrum des Interesses, wie sich all dies auf die Rezipienten bzw. auf die Öffentlichkeit auswirkt. Nachrichtenselektion und Nachrichtenrezeption stehen in engem