Marianne Franz

Die katholische Kirche im Pressediskurs


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als Spiegel der Wirklichkeit (Quelle: Burkart 2002: 272)

      Die Folge dieser Ansicht war massive MedienkritikMedienkritik an der sogenannten „verzerrten“ MedienwirklichkeitMedienwirklichkeit (vgl. Schulz 1989: 140f.).1

      Viele Studien hatten das Ziel, MedienrealitätMedienwirklichkeit mit außermedialer Realität zu vergleichen und die Verzerrung dieser objektiven RealitätRealität, objektive durch die Medien nachzuweisen. Es entstanden Theorien wie das Modell der Schweigespirale, die Gate-Keeper-Forschung sowie die News-BiasNews-Bias-Forschung oder auch in ihren Anfängen die NachrichtenwerttheorieNachrichtenwert (vgl. Marcinkowski/Marr 2005: 431; Schulz 1989: 140).

      Im Laufe der Zeit musste jedoch festgestellt werden, dass auch außermediale Realitäten (Umfragen, Statistiken usw.) nicht mit der „objektiven RealitätRealität, objektive“ gleichzusetzen waren, oder wie Luhmann sagt: dass es keine „ontologische, vorhandene, objektiv zugängliche, konstruktionsfrei erkennbare Realität“ gibt, wie es das Wort „Verzerrung“ unterstellt (Luhmann 1996: 20). Schulz (1976: 9) stellt dazu fest: „Jede Wahrnehmung, auch wenn sich der Beobachter um noch so akribische Feststellung der ‚Tatsachen‘ bemüht, ist immer schon eine Interpretation der Realität“. Und Schulz ein Jahrzehnt später (1989: 143):

      „Die Annahme einer ‚Verzerrung‘ kann, wenn man es genau nimmt, immer nur als Hypothese aufrecht erhalten werden, die sich niemals falsifizieren läßt, die also immer ungesichert bleiben muß. Dasselbe gilt für die Annahme der Wirklichkeitstreue.“

      Es kam zu einer kopernikanischen Wende – weg vom RealismusRealismus hin zum Konstruktivismus. Der KonstruktivismusKonstruktivismus ist keine Neuerfindung des 20. Jahrhunderts, das trifft lediglich auf den Terminus zu. Konstruktivistisches Denken gab es im Grunde bereits in der griechischen Philosophie der Antike. Die grundlegende Aussage des Konstruktivismus lautet:

      „‚[…] daß wir – nach den Operationsweisen unserer Gehirne – nur Modelle von Wirklichkeiten entwerfen, nicht aber auf ‚die Realität‘ direkt zugreifen können. Bei dieserWirklichkeitskonstruktion Wirklichkeitskonstruktion geht es nicht um absolute Maßstäbe wie ‚wahr‘ oder ‚richtig‘, sondern um subjektabhängige Wirklichkeiten, mit deren Hilfe der einzelne Mensch in der prinzipiell unzugänglichen Realität durchkommt.‘“ (Weischenberg 1992/1993, zitiert nach Maletzke 1998: 128f.)

      Radikale Konstruktivisten vertreten die Meinung, dass der Mensch „immer nur etwas von sich selbst [weiß], niemals aber etwas über die Realität außerhalb seiner selbst“; Maletzke (1998: 128) spricht vom radikalen KonstruktivismusKonstruktivismus, radikaler auch als „erkenntnistheoretischen Agnostizismus“. Die Beschränktheit geht auf die autopoietische Geschlossenheit des Menschen zurück, der von der Umwelt abgetrennt, aber zugleich auch mit ihr gekoppelt ist (vgl. Weber 2003b: 185). Der Begriff „Autopoiesis“ stammt ursprünglich vom Neurobiologen Maturana, dessen Bio-Epistemologie den KonstruktivismusKonstruktivismus wesentlich beeinflusst hat. Die Sinnesorgane und das Nervensystem des Menschen können zwar durch Reize der Umgebung irritiert werden, zur Sinngebung, zum Verstehen kommt es erst im bzw. durch das kognitive System, also im bzw. durch das Gehirn des Menschen.

      „Es lassen sich also Signale oder Reize übermitteln, nicht jedoch Informationen oder Bedeutungen. […] Lediglich die Tatsache, dass wir Menschen über ein gemeinsames biologisches Erbe sowie innerhalb der Gesellschaft auch über kulturelle und soziale Gemeinsamkeiten verfügen, macht es möglich, dass wir uns verstehen. Kommunikation ist also ein sehr unwahrscheinlicher und voraussetzungsvoller Prozess.“ (Beck 2007: 47)

      Hier drängt sich schon der erste Einwand auf: Wie kann es sein, wenn Kommunikation doch so unwahrscheinlich ist, dass derart häufig kommuniziert wird und diese Kommunikation dann auch noch gelingt? Die Theorie des (radikalen) KonstruktivismusKonstruktivismus steht im Widerspruch zur Alltagswahrnehmung, aber auch zu Wissenschaftlern wie etwa Paul Watzlawick, auf den der berühmte Satz zurückgeht „Man kann nicht nicht kommunizieren.“

      Die Rede war von der autopoietischen Geschlossenheit des Menschen: Die autopoietische Systemtheorie sieht Menschen als autopoietische, selbst-referentielle, in sich geschlossene Systeme (Maletzke 1998: 128). Niklas Luhmann überträgt schließlich die Rede von der autopoietischen Geschlossenheit auf soziale Systeme. Luhmanns Systemtheorie findet in den KonstruktivismusKonstruktivismus insofern Eingang (manche sprechen diesbezüglich auch vom operativen Konstruktivismus (vgl. Marcinkowski 2006: 139) oder von konstruktivistischer Systemtheorie (vgl. Weber 2002: 24)), als dass nun auch MassenmedienMassenmedien „als operativ geschlossenes Kommunikationssystem, dessen Kontakt zur Umwelt sich auf Beobachtung beschränkt“, konzipiert werden (vgl. Marcinkowski 2006: 139). Beobachtend konstruieren sie ihre mediale Wirklichkeit. Es sind also nicht nur Menschen, die Wirklichkeit schaffen, sondern auch Medien oder andere Systeme (vgl. Weber 2002: 24).

      Diese Erkenntnisse des KonstruktivismusKonstruktivismus blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Medienforschung, denn:

      „Wenn Realität immer nur über Informationsverarbeitungsprozesse konkret erfahrbar ist, dann läßt sich der Anteil der Verzerrung nie genau bestimmen. Eine Überprüfung der MedienrealitätMedienwirklichkeit an einer von subjektiver Informationsverarbeitung, von Selektion und Strukturierung unbeeinflußten, gleichsam ‚reinen‘ Realität ist nicht möglich.“ (Schulz 1989: 143)

      Auch die Arbeiten der Soziologen Berger und Luckmann in den 1960er Jahren („Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“, 1966; dt. 1969) waren für die Wende in der Medienforschung von Bedeutung. Demnach ist Wirklichkeit oder: sind die vielen verschiedenen Wirklichkeiten (Alltagswelt, Kunst, Theater, Religion u.a.) gesellschaftliche Konstruktionen. Erhalten und auch modifiziert wird die Wirklichkeit durch einen „permanenten Konstruktionsprozeß“ – und zwar durch Kommunikation. Dabei „leistet die Sprache die Übersetzung der objektiven in die subjektive Wirklichkeit“ und ist auch die Verbindung zwischen den verschiedenen Wirklichkeiten (Früh 1994: 18).

      Medien „als Mittel[n] zur kollektiven Konversation“ kommt bei der Wirklichkeitskonstruktion „eine zentrale Rolle“ zu (Früh 1994: 18). Die kopernikanische Antwort der Medienforschung sieht die Medien als Teil der Gesellschaft und nicht länger als Spiegel der Realität (Abb. 7).

      Abb. 7:

       Kopernikanische Perspektive: Medien als Teil der Wirklichkeit (Quelle: Burkart 2002: 273)

      Die Aufgabe der Medien wird forthin nicht mehr in der Abbildung der Realität gesehen, sondern darin „die Stimuli und Ereignisse in der sozialen Umwelt zu selektieren, zu verarbeiten, zu interpretieren“ (Schulz 1989: 142) und so eine „valable Zweitversion“ der Realität herzustellen und zu verbreiten, nicht zuletzt um „eine gesellschaftlich geteilte Vorstellung von Wirklichkeit als Basis gemeinsamen Handelns zu schaffen“ (Marcinkowski/Marr 2005: 431). Schulz (1989: 141f.) nennt Medien daher auch „Weltbildapparate“: „Die Realität, die in der ‚ptolemäischen‘ Auffassung als Gegenstand und Voraussetzung von Kommunikation angesehen wird, ist in der ‚kopernikanischen‘ Sichtweise deren Ergebnis.“

      Wenn die Medien nun aber Wirklichkeit konstruieren und nicht spiegeln, bringt massenmediale Berichterstattung

      „niemals ein Abbild der Wirklichkeit zustande. Keine Nachrichtenberichterstattung kann daher auch nur im entferntesten Sinne ‚umfassend‘ oder ‚vollständig‘ sein, denn sie ist ihrem Wesen nach eher das Gegenteil: Ereignisse werden erst dadurch zu Nachrichten, daß sie aus der Totalität und Komplexität des Geschehens ausgewählt werden. Nur durch die Unterbrechung und Reduktion der raum-zeitlichen Kontinuität und der Ganzheit des Weltgeschehens läßt sich Realität umsetzen in Nachrichten.“ (Burkart 2002: 275)

      Es gibt nach dem radikalen KonstruktivismusKonstruktivismus, radikaler keine Berechtigung, die mediale Wirklichkeit mit „wirklicher Realität“ zu vergleichen, da beides menschliche Konstruktionen sind (vgl. Maletzke 1998: 130). „‚Die Berichterstattung spiegelt die Realität weder angemessen noch unangemessen. Sie stellt vielmehr ein Konstrukt dar, das nichts anderes reflektiert als die Arbeitsbedingungen der Journalisten‘“ (Kepplinger 2011: 60). Was bedeutet dies