Marianne Franz

Die katholische Kirche im Pressediskurs


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zur strukturellen Kopplung von Kognition und Kommunikation bei und erzeugen über die geschilderten virtuellen Strukturen bei Beobachtern erster Ordnung die intuitive Überzeugung der gesellschaftlichen Verbindlichkeit der eigenen Wirklichkeitskonstruktion.“

      Gesellschaftliche und individuelle Wirklichkeitskonstruktion sind untrennbar miteinander gekoppelt. Es handelt sich eben um „zirkuläre Wirklichkeitskonstruktion“. Die Kopplung macht schließlich auch die Definition eines Mediums als vermittelnde Instanz sinnlos (vgl. Schmidt 1999: 127). Schmidts Modell „gilt bis heute als Standardmodell des soziokulturellen und medienkulturellen KonstruktivismusKonstruktivismus“ (Weber 2003b: 188).

      Nun zum zweiten Ansatz, der das Relativismus-Problem des KonstruktivismusKonstruktivismus zu überwinden versucht und dabei noch etwas weiter zu gehen scheint als der von SchmidtRekonstruktion: Es handelt sich um Benteles rekonstruktiven Ansatz, dessen Basis die Evolutionäre ErkenntnistheorieErkenntnistheorie, evolutionäre bildet und der die Denkrichtungen des RealismusRealismus und des Konstruktivismus in sich integriert. Bentele geht von der Frage aus, warum manche Wirklichkeitskonstruktionen mehr Erfolg haben als andere, warum einige akzeptiert werden, andere hingegen nicht, d.h., er spricht die Objektivitäts- bzw. Viabilitätsproblematik an.

      „Während der KonstruktivismusKonstruktivismus – soweit ich sehe – nicht erklären kann, warum bestimmte Wahrnehmungen und Erkenntnisse nun viabel sind und andere nicht, warum sie erfolgreich sind, kann die EE [= Evolutionäre ErkenntnistheorieErkenntnistheorie, evolutionäre] dies erklären. Richtige Wahrnehmungen, wahrheitsgemäße Erkenntnisse, und – im journalistischen Bereich – objektive BerichterstattungBerichterstattung, objektive (s. a. Realität, objektive) sind deshalb erfolgreicher im Vergleich zu falschen Wahrnehmungen, unwahren Erkenntnissen und verzerrter Berichterstattung, weil die entsprechenden Teilstrukturen aufeinander ‚passen‘. Das Konzept der ‚Passung‘ stellt damit gleichzeitig die evolutionsbiologisch fundierte Begründung für die Möglichkeit von objektiver Erkenntnis im Rahmen der EE dar.“ (Bentele 1996: 132)

      Die Evolutionäre ErkenntnistheorieErkenntnistheorie, evolutionäre besagt nämlich, dass es sehr wohl objektive bzw. reale Strukturen gibt, die durch Wahrnehmung zumindest teilweise auch erkennbar sind. Bentele stellt diesbezüglich fest (1996: 133): „Auch wenn sich RealismusRealismus weder beweisen noch widerlegen läßt, ist es vernünftig, sie als real anzusehen. Alles Wissen über diese Realität ist hypothetisch, also vorläufig fehlbar, nicht völlig gewiß.“

      Der subjektive Erkenntnisprozess ist geprägt von den drei Prinzipien Perspektivität, Selektivität und Konstruktivität (vgl. Bentele 1996: 133f.). Objektive und subjektive Erkenntnisstrukturen sind nicht völlig unabhängig voneinander, sondern „passen aufeinander wie ein Werkzeug auf das Werkstück, wie eine Fußsohle auf den Boden paßt oder die Flossen der Fische zum Wasser passen“. Die Evolutionäre Erkenntnistheorie begründet diesen „Passungscharakter“ aller menschlichen Erkenntnis (Bentele 1996: 134) biologisch.

      Bentele macht diese Positionen der Evolutionären ErkenntnistheorieErkenntnistheorie, evolutionäre für seinen rekonstruktiven Ansatz fruchtbar. Dieser unterscheidet verschiedene Realitätstypen und setzt sie zueinander in ein Verhältnis: natürliche, soziale, kommunikative Realität, MedienrealitätMedienwirklichkeit, fiktive Realität. Die drei Wahrnehmungs- bzw. Erkenntnisprinzipien Perspektivität, Selektivität, Konstruktivität werden dabei nicht nur auf das einzelne Individuum bezogen, sondern auch auf den Prozess der öffentlichen Kommunikation (vgl. Bentele 1996: 135). Diese Prinzipien „lassen sich mit kommunikationswissenschaftlichen Teiltheorien wie dem Agenda-SettingAgenda-Setting, der Nachrichtenfaktorentheorie oder dem Kultivierungsansatz gut kombinieren“ (Bentele 1996: 135).

      Ähnlich wie Schmidt stellt Bentele (1996: 135) einen Einfluss der Umwelt (bei Schmidt Kultur und Medien) auf die Wirklichkeitskonstruktion fest: „Eine bestimmte Menge von Realitätsausschnitten ist sozial konstituiert, eine Teilmenge dieser Realitätsausschnitte wird durch die Existenz von Medien mitkonstituiert.“ Voraussetzung für die Wirklichkeitskonstruktion ist die Kommunikation (wieder eine Parallele zu Schmidt), die Sprache (Bentele 1996: 137): „Durch verbale Kommunikation sind Menschen in der Lage, außersprachliche Sachverhalte zu repräsentieren oder dies nicht zu tun, also z.B. zu lügen. Aber auch die Fähigkeit zu lügen setzt immer die Fähigkeit, die Welt zu erkennen, voraus.“

      „Mediensysteme produzieren trotz aller Unschärfe und trotz aller Unterschiede meist ein ausreichend adäquates Bild über das Geschehen in lokalen, regionalen und internationalen Räumen. Ansonsten könnten wir uns überhaupt nicht über das politische, wirtschaftliche, sportliche oder kulturelle Weltgeschehen informieren.“ (Bentele 1996: 136f.)

      Dies bedeutet, dass es eine vom Berichterstatter relativ unabhängige (ontologische) Realität gibt, die in die Berichterstattung auch tatsächlich einfließt – so die erste von fünf Grundpositionen Benteles zur journalistischen Berichterstattung.

      „Jeder Akt der Berichterstattung ist nur durch das Wechselspiel von subjektiven Strukturen der Berichterstattung und des Berichterstatters einerseits und objektiven Wirklichkeitsstrukturen andererseits beschreib- und erklärbar.“ (Bentele 1996: 135)

      Ereignisse werden von Bentele als „zeitlich, räumlich, örtlich abgrenzbare Realitätsausschnitte“ bzw. „Prozesse“ gesehen, die „bestimmte Charakteristika (Nachrichtenwerte) aufweisen müssen“, damit sie überhaupt in die Berichterstattung Eingang finden (Bentele 2008: 281). Neben Ereignissen können auch Entwicklungen und Trends zu Realitätsausschnitten werden. Sobald über sie berichtet wird, sind sie schon zur MedienrealitätMedienwirklichkeit geworden. Berichtete, bewertete Ereignisse, deren Berichte dann wiederum bewertet werden, können sich zu einem Thema oder einem Realitätskomplex entwickeln (vgl. Bentele 2008: 281f.).

      Die zweite Grundposition bezüglich journalistischer Berichterstattung lautet: „Jeder Akt der Berichterstattung ist nur durch das Wechselspiel von subjektiven Strukturen der Berichterstattung und des Berichterstatters einerseits und objektiven Wirklichkeitsstrukturen andererseits erklärbar“ (Bentele 2008: 279). Die MedienrealitätMedienwirklichkeit ist also ein „Produkt der Realitätsverarbeitung durch Journalisten, Redaktionen und Medien“. Sie ist „zumindest in ihrer informierenden Komponente [Nachrichtensendungen, BerichteBericht, aber auch KommentareKommentar usw.] Rekonstruktion der Realität“ (Bentele 2008: 282). Journalistische Berichterstattung vollzieht sich in einem Prozess sogar mehrstufiger Realitätsrekonstruktion (durch Presseagentur, Redakteur, Chefredakteur, Rezipient usw.) (vgl. Bentele 2008: 283).

      Die dritte Grundposition wird von Bentele (2008: 279) folgendermaßen formuliert: „Eine bestimmte Menge von Realitätsausschnitten ist sozial konstituiert, eine Teilmenge dieser Realitätsausschnitte wird durch die Existenz von Medien mitkonstituiert.“ MedienwirklichkeitMedienwirklichkeit ist nicht zuletzt wirklich in dreifachem Sinn: wirklich als real existierende konstruierte Zeichenwirklichkeit, die wahrgenommen (gelesen, angesehen, gehört) werden kann; wirklich als Repräsentation anderer Realitäten, die andere Menschen direkt erfahren haben und die die Medien mehr oder weniger präzise (oder wirklich) wiedergeben (vgl. Bentele 1996: 137f.); und wirklich im Sinne von „wirkend“: Die Medienwirklichkeit zieht „gesellschaftliche Auswirkungen und psychologische Wirkungen“ (auf Leser, Zuseher, Zuhörer) nach sich (Bentele 1996: 138). Das heißt, Medienwirklichkeit ist nicht nur Rekonstruktion der Realität, sondern selbst auch Teil davon.

      Die vierte Grundposition besagt:

      „Nachrichten werden normativ als Rekonstruktion von Wirklichkeit aufgefaßt, unabhängig davon, ob Wirklichkeit sozial konstituiert ist oder nicht. Empirisch ist feststellar, inwieweit sie (mehr oder weniger) adäquate Rekonstruktionen darstellen, oder inwieweit sie verzerrt sind.“ (Bentele 2008: 279f.)

      Adäquate Realitätskonstruktion, also „wahrheitsgemäße und objektive Berichterstattung“Berichterstattung, objektive (s. a. Realität, objektive) (Bentele 1996: 135) ist nach diesem Ansatz (im Gegensatz zum radikalen Konstruktivismus) nicht nur möglich, sondern auch überprüfbar. Der Begriff „Verzerrung“, im radikalen KonstruktivismusKonstruktivismus, radikaler seines Sinns entleert, erhält im rekonstruktiven Ansatz wieder eine Bedeutung. Bentele