Chiara Maria Buglioni

"Das strittige Gebiet zwischen Wissenschaft und Kunst"


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wird, setzt als Kontext für seine Interpretation eine Partizipationsgeschichte voraus. Ihrerseits formiert sich Partizipation um Verdinglichung herum, weil sie prinzipiell Gegenstände, Konzepte und Worte einbezieht, die ihren Ablauf ermöglichen (67).

      Eine praxisorientierte Gemeinschaft lässt sich dann als eine Sozialstruktur beschreiben, die aus Personen besteht, die sich in einem spezifischen Wissensbereich an einem Prozess vom kollektiven Lernen beteiligen – anders formuliert, sie häufen Wissen zusammen an und sind durch den Wert verbunden, den sie dem Zusammen-Lernen beimessen. Nicht jede Gruppe kann sich als Community of Practice bezeichnen, weil sie gleichzeitig drei Kernelemente umfassen muss: Als erstes Element benötigt sie einen begrenzten Wissensbereich, welcher die Raison d’Être der Gemeinschaft darstellt, sowie ein gemeinsames Unterfangen, was kein festes Ziel oder keine vorher bestimmte Reihe von Aufgaben ist, sondern das Ereignis eines kollektiven Aushandlungsprozesses, die Festlegung von Schwerpunkten, die Mitglieder gemeinsam erleben. Wonach CoPs generell streben ist die Erzeugung, die Pflege und der Austausch von Wissen sowie die Förderung des Lernens und der individuellen Fähigkeiten. Der spezifische Wissensbereich stellt das Wechselspiel zwischen Individuen dar, die ein gemeinsames Projekt erkennen, das dann Gestalt annimmt. Wenn eine Lerngemeinschaft daraufhin dieses Projekt bespricht, werden Verlässlichkeit und gegenseitige Verantwortlichkeit unter den Mitgliedern sichtbar, die zu wesentlichen Komponenten in der Praxis werden. Mitglieder, die die Grenzen, Stärken und Spitzen des Wissensbereichs ihrer Gemeinschaft kennen, sind in der Lage zu beschließen, was sie am besten teilen, wie sie ihre Vorschläge und Ideen darbieten oder welche Aktivitäten sie ausüben können. Erst durch die Aushandlung des spezifischen Wissensbereichs prägen Umstände, Quellen, Materialien und Anforderungen die gemeinsame Praxis. Daraus folgt, dass »[t]he most successful Communities of Practice thrive where the goals and needs of an organization intersect with the passions and aspirations of participants« (Wenger/McDermott/Snyder 2002: 32).

      Das zweite Element einer CoP ist folgerichtig der gemeinsame Einsatz für das ausgehandelte Projekt, bzw. die Gemeinschaft selbst: Die Mitgliedschaft in einer Lerngemeinschaft stützt sich auf die gegenseitige Beteiligung. Diese stellt die solide Basis für die Entwicklung einer partizipativen Identität dar. Der Zusammenhang, der die gegenseitige Beteiligung in eine organisierte Lerngemeinschaft verwandelt, verlangt eine ständige Arbeit seitens der Mitglieder: Jeder muss sich der Erhaltung der Gemeinschaft hingeben. Zusammenhang bedeutet aber nicht Homogenität, sondern Vielfalt, Unterschiedlichkeit der Mitglieder, weil jeder Einzelne einen spezifischen Platz in der CoP findet und fernerhin eine eindeutige Identität bekommt, die im Laufe der Zeit sowie durch die engagierte und kooperative Mitwirkung weiter bestimmt und integriert wird.

      Das dritte und letzte Element ist das gemeinsame Repertoire – eine andere Bezeichnung für die Praxis selbst. Diese Praxis ist demgemäß eine Reihe von Gerüsten, Ideen, Stilen und Diskursen, Instrumenten, Medien, Geschichten und Artefakten, welche die Mitglieder einer praxisbezogenen Gemeinschaft teilen. Die heterogenen Gerüste finden ihren Zusammenhalt in dem Zustand, dass sie zur Praxis einer Gemeinschaft gehören, die an einem eigenen Projekt teilnimmt. Die geteilten Wissensressourcen ermöglichen dann der Gemeinschaft, sich mit ihrem Bereich weiter zu beschäftigen und somit ihr gemeinsames Wissen zu erweitern. Das Repertoire verbindet Aspekte, die sowohl mit der Partizipation als auch mit der Verdinglichung verbunden sind, was dazu führt, dass sich die gemeinsame Praxis als den Ursprung für die Bedeutungsaushandlung konfiguriert. Das gemeinsame Repertoire von Gerüsten muss dementsprechend zur Aushandlung stehen, damit sich die legitimierten Mitglieder einer Gemeinschaft in deren Praxis beteiligen können. Das benötigt einerseits eine genügsame Kenntnis der Geschichte der gemeinsamen Praxis, um sie an den Werkzeugen ihres Repertoires zu erkennen, und andererseits die Fähigkeit und Legitimität, diese Geschichte wieder bedeutsam zu machen. Wenn die drei Bestandteile zusammenwirken, dann wird die betreffende CoP zu einer optimalen sozialen Struktur, wo das Wissen gefördert und vermittelt wird.3 Infolgedessen prägen sich Lerngemeinschaften zum einen als lebendiger Kontext für das Erlernen soziokultureller Praxis seitens der Neueingetretenen aus – »a privileged locus for the acquisition of knowledge« –, zum anderen als einen produktiven Kontext, in dem man neue Impulse ins gemeinsame Wissen verwandeln kann – »a privileged locus for the creation of knowledge« (Wenger 1998: 214).

      Die Praxis ist wie irgendein locus innerhalb einer soziokulturellen Landschaft, die Grenzen und Peripherien hat. Grenzen entsprechen logischerweise Diskontinuitäten zwischen der einzelnen CoP und ihrer Umwelt, weil die kontinuierliche Aushandlung von gemeinsamen Geschichten und Ressourcen zu Differenzen zwischen Innen und Außen bringt. Man muss allerdings bemerken, dass Grenzen in Wengers Auffassung keine Hemmung für die Weiterentwicklung von Lerngemeinschaften bedeuten; ganz im Gegenteil bilden sie neue Verflechtungen und Wechselspiele von Erfahrung und Expertise, wobei sie zur produktiven Bedeutungsaushandlung beitragen.4 Neben Diskontinuitäten existieren auch Kontinuitäten, die bestimmte Verbindungsarten unter den Grenzen herstellen: Diese werden Peripherien genannt, um ihre Zwitterstellung zu pointieren. Denn sie enthalten immer Gleichgewichtprobleme zwischen unterschiedlichen Innen- und Außenperspektiven, weil jede Grenzüberschreitung den Lernprozess sowie das Leben der CoP potenziell sowohl erleichtern als auch erschweren kann (140). Am wichtigsten wirken aber Grenzen und Peripherien als Schauplätze für die Bewirtschaftung und Übersetzung des allgemeinen Wissensgutes. Die Beziehungen, welche die gemeinsame Praxis begründen, werden folgerichtig vom Lernen bestimmt: »As a result, the landscape of practice is an emergent structure in which learning constantly creates localities that reconfig­ure the geography« (131). Es sei die Praxis selbst, die Abgrenzungen von und Vernetzungen mit der Außenwelt einer Gemeinschaft schaffe und die somit das Gewebe von Diskontinuitäten und Kontinuitäten der sozialen Landschaft bilde. Im Besonderen lassen sich drei von der Praxis ausgebaute Vernetzungstypologien erkennen: boundary practices, Überlappungen und Peripherikalitäten. Die ersten Praktiken entstehen vor allem in Organisationen, wenn grenzüberschreitende Treffen wiederholt und stabilisiert werden – dabei muss es notwendigerweise ein gemeinsames spezifisches Projekt geben. Direkte und anhaltende Überlappungen geschehen wiederum zwischen Praxen und ermöglichen eine konkrete Wissensbeschaffung. Peripherikalitäten, wie zuvor angedeutet, sind schließlich periphere Erfahrungen oder Beteiligungsformen an der Lerngemeinschaft, die als legitimiert betrachtet werden, ohne alle Voraussetzungen für eine volle Mitgliedschaft zu erfüllen. Dank des jeweils ausgehandelten Zugangs zum Praxisfeld und der spezifischen Peripherikalität erweist sich jede CoP als ein dynamischer Organismus, als »a node of mutual engagement that becomes progressively looser at the periphery, with layers going from core membership to extreme peripherality« (118). Das Wort Organismus zeigt eigentlich auf etwas Lebendiges, was bestimmte aufeinander folgende Entwicklungsstufen durchläuft. Auch wenn Lerngemeinschaften sich entwickeln und verändern, kann man nicht jede Interaktionseinheit für eine CoP halten. Die Sozialstruktur einer CoP hat eine mittlere Größe, und zwar unterscheidet sie sich von zu kleinen Kreisen, wo Mitglieder keine gemeinsame Praxis erzeugen können und wo langfristige Kontinuitäten nicht sicherzustellen sind, und von zu heterogenen Gruppen, in denen die unterschiedlichen Perspektiven der Mitglieder zusammenstoßen und die Trennung zwischen der CoP und der üblichen Welt bzw. anderen Lerngemeinschaften nicht eindeutig ist. Mit Bezug hierauf listet Wenger die Kennzeichen einer CoP auf:

      1 Sustained mutual relationships

      2 Shared ways of engaging in doing things together

      3 The rapid flow of information and propagation of innovation

      4 Absence of introductory preambles, as if conversations and interactions were merely the continuation of an ongoing process

      5 Very quick setup of a problem to be discussed

      6 Substantial overlap in participants’ descriptions of who belongs

      7 Knowing what others know, what they can do, and how they can contribute to an enterprise

      8 Mutually defining identities

      9 The ability to assess the appropriateness of actions and products

      10 Specific tools, representations, and other artifacts

      11 Local lore, shared stories, inside jokes, knowing laughter

      12 Jargon and shortcuts to communication as well as the ease of producing new